Bundeskanzlerin Angela Merkel hat wenige Tage vor der Bundestagswahl ihre Zurückhaltung im Wahlkampf abgelegt. Allerdings nur ein wenig.
Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im Wahlkampfendspurt. Und jetzt endlich findet sie deutlichere Worte. Ausgesucht hatte sie sich am Freitag die Bundespressekonferenz. Bei einem ungewöhnlichen Auftritt spitzte sie ihren Wahlkampf auf der Zielgraden zu - millimeterweise. Allerdings auch so, dass es auch dem Schläfrigsten auffallen musste. Nachdem sie lange nichts auf die Arbeit der großen Koalition hatte kommen lassen, sprach Merkel der SPD nun die politische Zuverlässigkeit für die Zukunft ab. Hält sich die CDU-Chefin an ihre Worte, dürfte es keine Neuauflage der großen Koalition nach dem 27. September geben. Merkel setzt alles auf die Karte Schwarz-Gelb, selbst zum Preis, dass die Union bei einem Scheitern in die Opposition geht.
Auch alte Kenner der Bonner Republik können sich nicht daran erinnern, dass sich ein Kanzler so kurz vor der Wahl noch einmal für 90 Minuten der Bundespressekonferenz stellt. Aber Merkel will sich nicht nachsagen lassen, dass sie diese Möglichkeit zur Profilierung nicht genutzt hat.
So erscheint die Kanzlerin am Freitagmittag überpünktlich. Laut Ankündigung soll es um den G20-Gipfel in der kommenden Woche in Pittsburgh und „allgemeine Themen“ gehen. Die Kameras feuern bei jeder Geste der Kanzlerin ihr Knipsfeuerwerk ab. Merkel sagt selbst, sie sei wegen des Themenmixes als „Mischangelegenheit“ gekommen. Überhaupt bemüht sie sich, immer nett zu lächeln und damit den angestrengten Eindruck, den sie beim TV-Duell am Sonntag über einige Strecken vermittelte, vergessen zu machen. Die Frau im weißen Jackett will zeigen, dass sie beim Duell nicht in Normalform war, auch wenn sie erläutert, mit dem Redewettstreit zufrieden gewesen zu sein.
Um den G20-Gipfel geht es, wie zu erwarten war, nur am Rande. Merkel will eine andere Botschaft unter die Leute bringen, als nur die, dass in den USA noch mehr herauskommen müsse als im April in London. Nach 20 Minuten wird sie gefragt, ob sie ein Problem damit hätte, wenn eine Koalition mit den Liberalen nur aufgrund von Überhangmandaten zustande kommen würde. Nein. „Überhangmandate sind keine Mandate zweiter Klasse“, sagt sie.
Aber das für sie die Gelegenheit, ihre politische Botschaft des Tages unterzubringen. Ungefragt kommt sie auf die SPD zu sprechen. Die Sozialdemokraten seien in einer Situation, „die die einer inneren Zerrissenheit ist“, formuliert sie gedrechselt. Die einen würden in der SPD über eine große Koalition nachdenken. Andere über eine rote Ampel, also ein Bündnis mit den Grünen und der FDP. Weitere seien schon auf dem Weg zu den Linken. So geht das aus Sicht der Kanzlerin natürlich nicht. Eine Partei müsse schon eine „innere politische Stabilität über Koalitionsabsichten“ haben.
Gleich zweimal spricht sie auch danach in ähnlicher Form der SPD die Zuverlässigkeit ab. Sie erinnert daran, dass einst in der Hauptstadt Berlin auch Klaus Wowereit eine große Koalition habe platzen lassen, um dann mit den Grünen und Linken zusammenzugehen. Auch der Name Andrea Ypsilanti fällt. Merkel versucht, die Warnung ohne Schaum vor dem Mund zu formulieren. Sie bemüht sich, zur Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft zu polarisieren, aber bloß nicht zu viel, um nicht ihren Anspruch zu beschädigen, Integrationsfigur zu sein.
Andere unangenehme Themen vermag sie bei diesem Auftritt recht geräuschlos wegzudrücken. Was sagt sie dazu, dass die CSU nun ein eigenes 100-Tagesprogramm vorlegen will? Das halte sich „im Rahmen dessen, was CDU und CSU immer so gelebt haben“, gibt sie zurück und kann dabei wirklich ziemlich unaufgeregt wirken. Was sie zum Taktieren der FDP bei der Koalitionsfrage sagt? Es spreche doch viel dafür, dass die Liberalen am Sonntag auf ihrem Parteitag eine „klare Entscheidung treffen“. Was bedeuten soll, dass die Liberalen klar Ja zu Schwarz-Gelb sagen sollen.
Sie wirkt entschlossen an diesem Tag, ohne Wenn und Aber auf diese Karte zu setzen. Mit der SPD kann es nach ihren Aussagen kaum ein zweites Mal geben. Auch einem Bündnis mit den Grünen erteilt sie eine Absage. Manche in ihrer Partei vermuten bereits länger, dass sie lieber in die Opposition gehen würde, als die Union in der großen Koalition einer Zerreißprobe auszusetzen oder sich gegenüber der SPD erpressbar zu machen.
Solche Gedanken äußert sie am Freitag natürlich nicht. Sie nennt die neuen Umfragen ermutigend, weil das bürgerliche Lager immer noch knapp vor dem Rest liegt. Kanzlerin will sie bleiben. Sie habe im Amt mehr dazugewonnen als verloren. Nur im Supermarkt werde sie nun immer erkannt und beraten, wenn sie nur eine Dose Artischocken sucht.