Für einen sofortigen Ausstieg sieht der Bundesumweltminister jedoch keine Gründe. Ein Schutz vor Abstürzen großer Flugzeuge sei bei alten Meilern nicht gebeben, sagte er aber warnend. RWE will erstmals AKW im Ausland betreiben.

Berlin. Nach dem AKW-Sicherheitstest hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat ein Aus für die ältesten deutschen Meiler zumindest angedeutet. Die Überprüfung der Reaktorsicherheits-Kommission gäbe allerdings keinen Grund für einen sofortigen Komplett-Ausstieg aus der Atomkraft, sagte Röttgen am Dienstag bei der Übergabe des Berichts zum sogenannten Stresstest. Allerdings sei der Schutz vor Abstürzen großer Flugzeuge und teilweise auch kleiner bei den Alt-Meilern nicht gegeben. „Das sind Zivilisationsrisiken, vor denen man nicht die Augen verschließen kann.“ Die politische Bewertung werde daran anknüpfen. Kommissionschef Rudolf Wieland nannte die 17 deutschen Reaktoren trotz der Unterschiede insgesamt solide: „Es gibt einen großen Robustheitsgrad der untersuchten Anlagen.“ Empfehlungen zur weiteren Laufzeit von AKW gab die Kommission nicht.

Der Bund hatte nach der Fukushima-Katastrophe über die sieben ältesten Meiler ein Moratorium für zunächst drei Monate bis Mitte Juni verhängt. Im Lichte des Unfalls sollten besonders diese aber auch alle anderen AKW auf ihren Schutz gegen Anschläge, Naturkatastrophen und Flugzeugabstürze getestet werden. Über die Zukunft der 17 AKW will die Regierung Anfang Juni entscheiden und dabei den Bericht sowie den der begleitenden Ethik-Kommission berücksichtigen.

Röttgen wertete die Untersuchung so auch nicht als Zwang für einen sofortigen Atomausstieg: „Das ist kein Argument zu sagen, wir müssen da Hals über Kopf von heute auf morgen raus.“ Es bleibe aber bei dem Postulat, dass man einen Weg suchen sollte, so schnell wie möglich und vernünftig, nämlich ersetzbar die Kernenergie zu verlassen.

Die Grünen kritisierten, die Kommission habe für ihre Aufgabe viel zu wenig Zeit gehabt. Das Ergebnis sei dennoch schockierend, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin. Lediglich zwei Anlagen könnten Hochwasser oder Erdbeben vollständig standhalten. Bei Flugzeugabstürzen sei das Resultat für die Alt-AKW noch dramatischer. „Keines dieser alten Kraftwerke darf jemals wieder ans Netz gehen.“

Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte, der Bericht besiegele das Schicksal der sieben ältesten AKW. „Ein Weiterbetrieb wäre unverantwortlich“, sagte Energieexperte Heinz Smital. Eine Nachrüstung zum Schutz gegen Flugzeugabstürze sei praktisch nicht möglich.

Die vier AKW-Betreiber wollten sich zunächst nicht äußern. RWE erklärte aber, man wolle sich am AKW Borssele in den benachbarten Niederlanden beteiligen. Der Essener Konzern könnte damit erstmals ein AKW im Ausland betreiben.

Die Reaktorsicherheits-Kommission betonte, die deutschen Reaktoren hätten große Sicherheitsreserven bei Erdbeben und auch ihre Stromversorgung sei durchgehend robuster als die der japanischen AKW. Kommissionschef Wieland kritisierte auch die japanischen Sicherheitsvorkehrungen: „Aus dem jetzigen Erkenntnisstand müssen wir feststellen, dass es hier nicht ein Ereignis war, was nicht denkbar, nicht vorhersehbar war“, sagte er zu den Folgen des Tsunamis, der die Katastrophe ausgelöst hatte. Vielmehr habe es sich um ein Ereignis gehandelt, das nach bisherigen Erfahrungen in dieser Region „in der normalen Störfallauslegung hätte berücksichtigt werden müssen“.

Die deutschen AKW wurden von der Kommission anhand verschiedener Kriterien wie längerer Stromausfall, Erdbeben, Hochwasser oder Flugzeugabstürze in drei verschiedene Sicherheitsstufen eingeteilt. Dabei zeichnete sich – abgesehen von Flugzeugabstürzen – kein durchgehend größeres Risiko bei den älteren Reaktoren ab. Eine Reihe von Fragen mussten allerdings auch aus Zeitmangel offenbleiben, wie die Kommission einräumte. (rtr)

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Röttgen deutet Aus für AKW Brunsbüttel an

Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) hat keine klare Empfehlung für die Abschaltung von deutschen Atomkraftwerken abgegeben. Das geht aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Bericht der Kommission hervor. Es werden zwar Schwachpunkte beim Schutz vor Flugzeugabstürzen eingeräumt. Die ältesten Anlagen könnten aber möglicherweise entsprechend nachgerüstet werden.

Im Fazit zu dem Bericht heißt es, die Bewertung der Kernkraftwerke bei den ausgesuchten Einwirkungen zeige, dass „abhängig von den betrachteten Themenfeldern über alle Anlagen kein durchgehendes Ergebnis in Abhängigkeit von Bauart, Alter der Anlage oder Generation nachzuweisen ist“.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) stellte die Ergebnisse der Prüfung aller 17 deutschen Atomkraftwerke gemeinsam mit dem RSK-Vorsitzenden Rudolf Wieland vor. Die Ergebnisse sollen wesentliche Grundlage für die Entscheidungen der Bundesregierung zum Abschalten von Atomkraftwerken im Rahmen der geplanten Energiewende sein.

Röttgen sprach von einem differenzierten aber deutlichen Bild. Die Ergebnisse der Überprüfung müssten nun sorgfältig ausgewertet und bewertet werden. Dennoch deutete er Aus für vier Atomkraftwerke an. Röttgen sagte, Biblis A und B sowie Brunsbüttel und Philippsburg I hätten "keine nachgewiesene Sicherheitauslegung". Dies werde bei der politischen Bewertung eine wesentliche Rolle spielen. Die vier Meiler erfüllen nicht die kleinste der drei geprüften Sicherheitsstufen.

Das neue Atomgesetz, das die Restlaufzeiten der AKW festlegt, soll am 6. Juni vom Kabinett verabschiedet werden. Nach dem Atomunfall im japanischen Fukushima hatte die Bundesregierung um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die sieben ältesten Anlagen vorübergehend stillgelegt. Zudem blieb das ohnehin nach Pannen abgeschaltete AKW Krümmel vom Netz. Seit April hatten rund 100 Experten die Anlagen und ihre Sicherheit im Katastrophenfall oder bei Terrorattacken überprüft.

Sigmar Gabriel: Test der Atomkraftwerke nicht aussagekräftig

Die Überprüfung aller deutschen Atomkraftwerke durch die Reaktorsicherheitskommission ist aus Sicht des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht aussagekräftig. Für die Sicherheitsüberprüfung, deren Ergebnisse an diesem Dienstag vorgelegt werden sollen, sei viel zu wenig Zeit gewesen, sagte Gabriel am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Zudem sei sie nicht nach modernen Sicherheitsanforderungen erfolgt.

„Sie brauchen, um ein Kraftwerk wirklich zu überprüfen, ein bis eineinhalb Jahre“, sagte der frühere Bundesumweltminister. Er bemängelte zudem, dass Umweltminister Norbert Röttgen die 2009 entwickelten Sicherheitskriterien wieder außer Kraft gesetzt habe. Es werde „auf der Basis eines 30 Jahre alten Katalogs“ geprüft. „Das finde ich, ist das Unverantwortliche, dass wir uns nicht trauen, oder jedenfalls die Bundesregierung sich nicht traut zu sagen, lasse uns mal moderne Sicherheitsstandards anlegen.“ (dpa/abendblatt.de)