Hamburg. Hendrik Thoma zählt zur seltenen Spezies der Master Sommeliers. Aber auch solch ein Elite-Weinkenner kann schon mal danebenliegen.
Es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, die sich mit Wein so gut auskennen wie Hendrik Thoma. Rund 300 Männer und Frauen dürfen sich wie der Hamburger Master Sommelier nennen – ein Titel, der sehr begehrt und kaum zu bekommen ist. „95 Prozent der Bewerber fallen durch“, sagt Thoma, er selbst habe fünf Anläufe gebraucht, um die Prüfung zu bestehen. Deren schwierigster Teil ist die Blindverkostung von sechs Weinen in 25 Minuten, von denen die Kandidaten vier genau erkennen müssen – Anbaugebiet, Rebsorte, Jahrgang, das ganze Programm.
Thoma hat es 1999 geschafft, seitdem gehört er zur Champions League der Sommeliers. Kann es einen besseren Gast für die neue Folge unseres Weinpodcasts „Vier Flaschen“ geben, in der Wein-Kenner Michael Kutej, Riesling-Liebhaber Lars Haider und Biertrinker Axel Leonhard alle zwei Wochen vier Weine testen?
Natürlich nicht! Erstens wegen der beschriebenen Expertise, zweitens wegen Thomas Vergangenheit als Sommelier im Louis C. Jacob. Und drittens, weil er mit Michael Kutej eine lange Freundschaft pflegt, die in regelmäßigen Duellen und Blindverkostungen gipfelt.
Gucken, schwenken, riechen, schmecken beim Blind Date
So auch diesmal. Und Thoma demonstriert bei der ersten verhüllten Flasche, die Kutej ausgesucht hat, wie man sich Stück für Stück der Frage nähert, um welchen Wein es sich handelt. Schritt eins: Farbe im Glas ansehen („intensiv“). Schritt zwei: Was für Spuren hinterlässt der Wein im Glas? („Ein Film, fast wie Olivenöl, das sieht kräftig aus“). Schritt drei: Schwenken. Schritt vier: Riechen, was kommt da an Aromen? („Gelbe Früchte, mineralisch, Gewürze, sehr komplex“). Schritt fünf: Schmecken!
Thoma sagt zum ersten Wein: „Man kann die Mineralität schmecken, die Frische. Er hat wenig Säure und eine ganz leichte Bitternote wie beim Campari.“ Klingt gut, und jetzt? Jetzt legt sich der Master Sommelier fest, dass es ein Chardonnay aus den Jahrgängen 2015 bis 2017 sein könnte, der aus Südeuropa kommt. Letzteres stimmt: Es handelt sich um einen Voladeros von Victoria Ordóñez aus Málaga in Spanien, Jahrgang 2015, die Flasche kostet knapp 30 Euro. Und ist etwa so selten wie die Rebsorte, Pedro Ximénez.
Der erste Wein, den Thoma für Kutej zur Blindverkostung mitgebracht hat, ist im Gegensatz nicht sonderlich aromatisch, dafür aber sehr, sehr trocken. Und er sieht im Glas komisch aus, eher wie ein naturtrüber Apfelsaft als wie ein Weißwein. Das hat einen einfachen Grund: Der Wein ist nicht filtriert, die Hefe bleibt in der Flasche und „arbeitet dort weiter“.
„International werden ungefilterte Weine deutlich mehr getrunken als bei uns, sind in einigen Ländern ein richtiger Trend“, sagt Michael Kutej. In Deutschland trauten sich viele nicht, sie einzuschenken, „weil es so aussieht, als sei der Wein umgekippt“. Ist er aber nicht, der Auener Weißburgunder, Jahrgang 2017, von Marcus Hees von der Nahe schon gar nicht. In einer Bewertung von Robert Parker, dem bekannten Weinbewerter, bekam er 94 von 100 Punkten. Übrigens: Kutej hat die Rebsorte herausgeschmeckt.
Ein Rosé, der „nach Brausepulver schmeckt“
Das ist bei Thomas zweiter Flasche relativ leicht: Der Master Sommelier, ausgerechnet der Master Sommelier (!), hat einen Rosé mitgebracht und damit einen, von dem Michael Kutej „überhaupt kein Fan ist. Meistens ist das ein Abfallprodukt bei der Rotweinherstellung.“ Immerhin: Das Getränk hat eine tolle Farbe und riecht wie Campari-Orange. „Wenn der Wein so schmeckt, wie er riecht, wäre das eine Entdeckung“, sagt Lars Haider. Tut er aber nicht: Haider findet den Geschmack „enttäuschend“, Kutej wird vernichtend. „Es riecht nach Kopfweh, es schmeckt nach Brausepulver.“
Nur Axel Leonhard mag den Rosé „eigentlich ganz gern“. Und Thoma? Der hat den Wein mitgebracht, weil es der erste war, den er in seinem Leben („mit 14“) probiert hat – und weil es einer der meistverkauften Weine der Welt ist. Von Mateus, dem Rosé aus Portugal, seien in 80 Jahren rund 250 Millionen Flaschen verkauft worden, so viele Menschen können nicht irren. Eine Flasche kostet 4,99 Euro, einen Jahrgang sucht man auf dem Etikett vergebens … Offensichtlich wird der Wein aus Erträgen unterschiedlicher Jahre hergestellt.
Es bleibt die vierte Flasche, und die zweite, die Hendrik Thoma blind verkosten muss. Um es vorwegzunehmen: Kutej hat sich für seinen Freund eine fiese Probe einfallen lassen, „so ist er nun einmal“, wird Thoma später sagen. Dabei schätzt er den Rotwein relativ schnell sehr gut ein: Es sei ein Pinot Noir beziehungsweise Spätburgunder, und das stimmt genauso wie der Jahrgang, auf den er tippt, 2010. Doch woher kommt der sehr gute Tropfen?
Der Master Sommelier legt sich früh auf Europa fest, genauer auf Deutschland, es könnte ein Spätburgunder aus dem Rheingau sein. Haider fragt: „Oder vielleicht doch aus Übersee?“ „Wenn der Wein aus Übersee kommt, dann ist es Kalifornien“, sagt Thoma. Und liegt damit zur Freude von Kutej falsch: „Diesen Wein habe ich ausgesucht, weil Hendrik ihn exklusiv in Deutschland vertreibt“, sagt er. Der TerraVin, Eaton Family Vineyard, die Flasche für 60 Euro, kommt aus Neuseeland …