Die Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs klärt Hajo Schuhmacher über die Regeln und Gefahren des Onlinedatings auf.

podcast-image

Bei dem einen geht es um Rechts­medizin und Kriminalfälle, bei dem anderen um unser aller Sexualleben. Immer im Wechsel finden Sie an dieser Stelle unter dem Rubrum „Sex&Crime“ das Beste aus zwei unserer erfolgreichsten Podcasts. Heute das Thema: kontaktlose Erotik und Onlinedating in Zeichen von Corona.

In der Pandemie boomt der Online-Sex, mehr als 10 Millionen Deutsche tummeln sich täglich mit eindeutigen Absichten im Internet, Tendenz steigend. Im Podcast „Ich frage für einen Freund“ erfährt Journalist Hajo Schumacher von der Hamburger Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs, welche Regeln bei digitalen Amouren unbedingt einzuhalten sind, warum die Erwartungen oft aufregender sind als die Realität und dass ein dickes Fell braucht, wer sich auf den Flirt per Internet einlässt.

Warum ist das Versenden von dickpics bei Männern beliebt?

Katrin Hinrichs berichtet von Paaren aus ihrer Praxis, die bei der Netz­erotik mehr Stress als Erfüllung erlebten, und erklärt, was es mit Selbstwertzwergen und Marmeladen-Verwirrung auf sich hat. Für seinen Freund fragt Schumacher außerdem, warum das Versenden sogenannter dickpics offenbar bei Männern noch immer sehr beliebt ist und was Frauen davon halten.

Zunächst geht es Schumacher um die generelle Bedeutung von Anbandel-Apps wie Tinder, Bumble, Parship und Co. – vor den Lockdown-Zeiten, aber auch jetzt. Hinrichs glaubt nicht, dass die Menschen zurzeit besonders große Zurückhaltung üben würden, im Gegenteil. „Wir haben eine Dichte von Leuten, die sich dort regelmäßig einloggen“, berichtet die Expertin, zudem sei es ja gerade in Großstädten inzwischen fast schon Usus, dass sich gewisse Leute für jedes Wochenende eine neue Begleitung suchen, auch sexuell. Wenn beide Seiten das okay fänden, sei dagegen gar nichts einzuwenden.

Flucht aus der Realität in virtuelle Sex-Welt

Hinrichs schildert aber noch eine ganz andere Situation aus der Praxis – nämlich die, als eine Ehefrau ihren Mann dabei erwischt, wie er sich im Leo-Tanga vor der Webcam rekelt und sich so Selbstbestätigung holt, die er zuvor in der Partnerschaft nicht mehr erfahren hatte. Kennengelernt habe sich das Paar selbst mal online, doch die Ehe, aus der schnell zwei Kinder hervorgingen, habe bald unter Ermüdungserscheinungen gelitten.

 Was der Mann schließlich durch Internet-Sex kompensierte. Hinrichs: „Er ist geflüchtet in die virtuelle Welt. Warum? Weil die Realität unangenehm war.“ Das sei ja fast wie bei Kindern und Onlinespielen, sagt Schumacher. Was Realität sei und was nicht, das kippe bei denen bekanntlich recht schnell. Von Hinrichs möchte er deshalb wissen, ob es bei Erwachsenen auch so etwas gebe wie ein Online-Ich und ein Offline- oder Realitäts-Ich. „Ja, genau“, sagt die Sexual­therapeutin, „das ist dann wie eine Flucht.“

Tinder vergleichbar mit Online-Shopping

Tinder übrigens sei etwas anderes, fast schon vergleichbar mit Online-Shopping, bei dem man sich selbst möglichst attraktiv zur Schau stellen müsse, um Erfolg zu haben. Weil man einfach „weggewischt“ werden könne und dennoch so viele Möglichkeiten habe, hätten junge Leute mitunter schon einen Tinder-Burn-out: „Immer nur Sex, das wird mal auch langweilig. Das Emotionale fehlt dir dann irgendwann.“

Und weil jeder glaubt, es könnte ja hinter dem nächsten Bild noch etwas Besseres warten, können sich die Leute gar nicht mehr entscheiden. Das nenne man, abgeleitet vom Einkaufen im Supermarkt mit vollen Regalen, den „Marmeladen-Effekt“ – es wird gar nichts gekauft, weil man sich nicht für eine Marke entscheiden kann. „Oder man kauft einfach Nutella“, ergänzt Schumacher, der offenbar selbst schon einmal verzweifelt nach der passenden Konfitüre gefahndet hat … Anders sei es hingegen, das ist Hinrichs wichtig, bei Plattformen wie Parship oder Elite. Dort werde durchaus ernsthaft nach Beziehungen gesucht und nicht nur nach Sexpartnern. „Da sind viele, die etwas Längerfristiges wollen.“

Mehr Stress durch digitale Kennenlern-Möglichkeiten

Er habe in analogen Zeiten mal gelesen, sagt Schumacher, „dass jeder Mensch im ganzen Leben nur drei bis fünf Möglichkeiten hätte, einen Partner oder eine Partnerin zu finden, mit dem man wirklich Kinder haben und eine Familie gründen könnte“. In digitalen Zeiten hätten sich die Kennenlern-Möglichkeiten potenziert. „Bedeutet das auch mehr Stress?“ „Ja“, sagt Hinrichs, „aber das hängt davon ab, wie wir damit umgehen. Wenn du ein gewisses Alter hast, gehst du nicht mehr abends in einen Club oder so.“

Stattdessen suche man online, und dabei habe man alle Chancen. Schwierig sei nur die Sache mit den Erwartungen, wie ein weiterer, etwas älterer Fall aus der Praxis verdeutliche. Da habe ein Herr die ausgeguckte Dame nämlich gebeten, nackt am Telefon zu sitzen. „Diese Frau war so verwirrt, sie hatte das noch nie gemacht und fragte mich nun, ob sie das wirklich tun sollte.“ Und – sollte sie? „Nein“, sagt Hinrichs klar und deutlich.

Onlinedating: Treffen zeitlich begrenzen

Worauf kommt es beim Online­dating also unbedingt an? Hinrichs: „Wenn es matcht, interpretiere nicht jeden Satz wie ein Gedicht und triff dich bald – nicht erst, wenn du Sehnsüchte entwickelt hast. Begrenze das Treffen dann zeitlich, gib noch nicht allzu viel von dir preis und lasse alles auf dich zukommen.“ Es gehe einzig darum, zu klären, ob die Chemie stimmt oder nicht. Der Rest ergebe sich dann später meistens von alleine.