Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: ein Werk von Claude Gellée.
Einmal die Woche spielen Hamburgs Kunsthallen-Direktor Alexander Klar und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – und zwar mit einem Kunstwerk. Eine halbe Stunde schauen sich die beiden ein Gemälde, eine Fotografie oder eine Skulptur an und reden darüber: „Ein Gespräch ist die beste Möglichkeit, Kunst zu erschließen“, sagt Alexander Klar.
Heute geht es um „Aeneas und Dido in Karthago“, ein Bild von Claude Gellée, genannt Lorrain, aus den Jahren 1675/76, für Haider „eines dieser typischen klassischen Gemälde“. Klar liebt die Art, wie Lorrain verschiedene imposante Gebäude in einer Landschaft zusammenstellt, in der sie tatsächlich nie gestanden haben. „Das wäre ja so, als wären auf einem Bild von Hamburg die Elbphilharmonie, der Eifelturm und die Freiheitsstatue zu sehen“, sagt Haider. Und was sagt Klar: „Ja, und wäre das nicht schön?“
Einer der bedeutendsten europäischen Landschaftskünstler des Barock
Der Franzose Claude Gellée, genannt Lorrain (1604/05 bis 1682) war einer der bedeutendsten europäischen Landschaftskünstler des Barock. Von ihm sind etwa 1200 nachweisbare Blätter mit Feder- und Pinselzeichnungen überliefert. Er lebte die meiste Zeit in Rom, wo er sich auf die Darstellung von Landschaft, Architektur und Lichteffekten in Zeichnungen, Gemälden und Druckgrafiken spezialisierte.
Auch die Sammlung Alte Meister in der Hamburger Kunsthalle besitzt einen großen Fundus an Stichen, die auf Lorrains Erfindungen beruhen. 1964 gelangte das hier abgebildete Ölgemälde „Aeneas und Dido in Karthago“ (1675/76), ein Spätwerk des Malers, ins Hamburger Museum, unterstützt durch die Campe’sche Historische Kunststiftung, Senat und Bürgerschaft.
Der Künstler schuf nicht nur verzauberte Landschaften
Die meisten seiner Werke widmen sich literarischen oder biblischen Themen. So auch in diesem Gemälde, das in zwei Inschriften auf eine Schilderung in Vergils „Aeneis“ verweist: Nach der Flucht aus Troja gelangte der Königssohn Aeneas nach Karthago, wo er von Königin Dido willkommen geheißen wurde. Die beiden verliebten sich ineinander, doch Jupiter schickte Merkur, um Aeneas an seinen göttlichen Auftrag zu erinnern, in Italien eine Stadt zu gründen. Der Trojaner verließ daher die verzweifelte Dido, die sich nach der Abfahrt des Geliebten in dessen Schwert stürzte.
„Von dieser dramatischen Liebesgeschichte ist in Lorrains Gemälde allerdings nichts zu spüren“, schreibt Anna Heinze in der Sammlung Online. „Vielmehr werden die Figuren der übermächtigen Landschaft und Architektur untergeordnet, die in Lorrains Bildaufbau eine durchdachte und klar strukturierte Komposition bilden.“
Es scheint, als hätte der Künstler nicht nur verzauberte Landschaften für die Betrachter geschaffen. Er selbst war offensichtlich von Natureindrücken fasziniert und erschuf so auf sehr reflektierte Weise eine besondere Lichtstimmung in seinen Gemälden. Das Thema, ob literarisch oder biblisch, diente ihm bloß als kreativer Impuls. Bei „Aeneas und Dido in Karthago“ steht die Dramatik der Geschichte sogar der lieblichen, pastellfarbenen Umgebungsgestaltung entgegen; die Säulen rechts im Bild strahlen Stabilität und Unverrückbarkeit aus. Eine etwaige Gefühlsregung ist in den winzig kleinen Gesichtern nicht zu erkennen. Das Antlitz von Dido, der Hauptakteurin, bleibt sogar ganz verborgen.
Dieses und weitere Gemälde finden Sie hier in der Online-Sammlung der Hamburger Kunsthalle