Hamburg. Däne singt ab 7. September an der Staatsoper in Schostakowitschs “Die Nase“. Er ist der vierte Gast des Abendblatt-Klassik-Podcasts.
Dass der Wahlwiener Bo Skovhus zum Star-Fundus der Hamburger Staatsoper gehört, hat vor allem mit zwei Paraderollen zu tun, die der Däne hier gesungen hat: den „Wozzeck“ in der legendär gewordenen Konwitschny-Inszenierung von 1998 und den irren König in Reimanns „Lear“, den Simone Young und Karoline Gruber 2012 auf die Bühne brachten. Nun ist Skovhus wieder da, die nächste schwere, große Rolle steht an: Er singt den Beamten Kowaljow in Schostakowitschs Groteske „Die Nase“, den armen Kerl, der eines Morgens feststellen muss, dass sich sein Riechorgan selbstständig gemacht hat. Regie führt Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier, am Abend nach unserem Gespräch will Skovhus – ohnehin großer Theater-Fan – unbedingt ins Schauspielhaus, um sich Beiers „Lear“-Inszenierung anzusehen. Doch davor gibt es noch einiges mit ihm zu besprechen.
Als Opernsänger sind Sie weltbekannt – aber tief in Ihnen steckt: ein Tubist. Wie war das so, in einer Blaskapelle in der dänischen Kleinstadt Ikast?
Bo Skovhus Sehr schön. Ich habe mit neun angefangen, und weil das Instrument so groß war, musste ich es auf einen umgedrehten Eimer stellen, damit ich das Mundstück überhaupt erreichen konnte. Es gab in der Blaskapelle automatisch Unterricht, da habe ich Noten gelernt. Es war auch eine gute Kameradschaft, wir sind sonntags in Matrosenuniform durch die Stadt marschiert.
Wann haben Sie das Tubaspielen eingestellt?
Relativ spät. Ich sage aber immer, dass ich wieder anfangen will. Während des Studiums in Arhus habe ich noch gespielt. Es interessiert mich aber immer noch: Bei jedem Orchester, mit dem ich auftrete, spreche ich mit dem Tubisten, was er spielt … das ist toll.
Eine praktische Frage, die ich schon immer mal bei Sängern loswerden wollte: Wenn Sie bei einer Liebesszene eine Sopranistin im Arm haben und die singt so, dass es das tunlichst das gesamte Publikum hören kann – ist das nicht fürchterlich laut und man denkt sich: Um Himmels willen, Tinnitus …
Ja, es ist wahnsinnig, es ist schrecklich, furchtbar. Wenn gewisse Soprane in gewissen Lagen singen, denkt man, man wird taub.
Mal ganz grundsätzlich gefragt: Was macht für Sie einen guten Opernsänger aus?
Dass man eine tolle Gesangsstimme hat, ist natürlich wichtig. Man muss sich bewegen können, man muss ein Körpergefühl haben. Und das alles muss kombinierbar sein mit dem Singen in unmöglichen Positionen, die mehr und mehr von Regisseuren verlangt werden. Man darf nicht einfach darauf beharren: Ich bin Opernsänger, was hinter mir passiert, ist mir egal. Als ich anfing, habe ich das oft gehört: Ich bin zum Singen hier, wenn die einen Schauspieler wollen, sollen sie einen engagieren.
Es gibt eine ziemlich irre Geschichte vom Anfang Ihrer Karriere: Sie wurden aus dem Studium heraus für einen „Don Giovanni“ an der Wiener Volksoper engagiert, eine Hauptrolle, vor der man normalerweise kleinere Rollen ergattern muss. Und Sie waren nicht ganz nüchtern, als der Anruf kam …
Ja, das stimmt. In Dänemark feiern wir Weihnachten mit Hering und Aquavit. Am Tag vor dem Anruf war, das war 1988, ich mit meinen Freunden unterwegs gewesen, und dann am Morgen klingelte das Telefon und jemand sprach deutsch. Mit meinem Schuldeutsch habe ich nicht alles verstanden und gedacht, das wären meine Freunde und wieder aufgelegt. Dann klingelte es nochmal und am anderen Ende wurde sehr vehement deutsch gesprochen. Irgendwann habe ich dann verstanden, dass es um ein Vorsingen in Wien ging. Ich bin hingefahren und wurde engagiert. Und das war die erste Rolle, die ich je auf einer Bühne hatte. Man muss ja groß anfangen.
Im Rückblick der reine Wahnsinn.
Total. Aber mit 24, 25 hat man überhaupt keine Ängste und glaubt, man kann einfach alles. Es war gut für mich, das so zu machen. Damals dachte ich auch: Okay, ich muss nur die Premiere überstanden haben, dann ist alles gut. Dann kann ich wieder anfangen zu leben. Aber das stimmt überhaupt nicht. Das war der Anfang vom professionellen Berufsleben, wo man sich nie zurücklehnen kann und nie zufrieden ist. Man hängt immer hinterher.
Das klingt, als ob Sie seitdem noch nie mit sich zufrieden waren.
Nein! Das ist so. Und ich glaube, das ist gut so. Der Sänger, der nach einer Vorstellung rausgeht und sagt, besser geht es nicht – den kann ich nicht ernst nehmen.
Später waren Sie dann auf große, schwierige Charaktere abonniert: Wozzeck, Don Giovanni, Lear … Was macht das mit einem? Wird das Leben durch die Auseinandersetzung mit diesen extremen Rollen schwerer oder können Sie ganz klar Bühnen-Anwesenheit vom Rest trennen?
Ich glaube nicht, dass man so trennen muss. Das kann ich auch nicht. Ich stelle etwas dar, das ist klar. Ich muss die Partien psychologisch anschauen. Man kommt nicht weiter, wenn man das nicht macht. Zum Glück habe ich öfter Regisseure, die da mitgehen.
Insbesondere zwei Hamburger Produktionen waren wichtig für Ihre Karriere: der „Wozzeck“ mit Konwitschny und Metzmacher und später Reimanns „Lear“ mit Gruber und Young. Gerade der „Wozzeck“ – alle Akteure in Abendgarderobe, es regnete ständig Geld vom Bühnenhimmel – war bestimmt keine normale Arbeit …
Regisseur Peter Konwitschny wollte unbedingt, dass ich das mache. Ich war Mitte 30 und alle sagten, das sei viel zu früh für mich. Er wollte aber eine junge Person. Das war ein Einstieg in die Liga, wo man solche Charaktere darstellen kann. Bei den Proben saßen wir alle im Kreis, dann wurde gefragt, ob jemand noch eine Idee hat. Wir haben alles ausprobiert, auf total sozialistischer Basis. Und weil „Wozzeck“ nicht so lang ist, waren wir nach drei der sechs Probenwochen schon fertig und haben gesagt: Was machen wir jetzt?
Kaffee trinken.
Nein. Wir fingen noch mal von vorne an. Und es hat sich so viel geändert, das war so interessant! Das ist sicher nicht bei jeder Oper eine gute Idee, dass jeder mitreden kann, aber hier hatte es wunderbar gepasst.
Jetzt proben Sie mit Karin Beier Schostakowitschs „Nase“. Sie ist Schauspielhaus-Intendantin, hat viele Jahre keine Oper mehr inszeniert. Macht es sich bemerkbar, dass jemand sehr vom Schauspiel kommt? Sieht sie anders auf die Art, wie Sänger sich auf der Bühne bewegen müssen?
Ja. Es ist anders, mit einem Schauspiel-Regisseur zu arbeiten. Vor einem Jahr habe ich mit Frank Castorf Janaceks „Aus einem Totenhaus“ gemacht, das war total anders. Wir sind von den Opern-Regisseuren gewohnt, dass sie von der Musik ausgehen. Im Schauspiel ist das Wort das Wichtige. In der Oper gibt es aber oft Wiederholungen, da gibt es dann musikalische Entwicklungen. Und es ist die Frage, wie man mit der Musik umgeht: Vertraut man ihr oder nicht? Und bei der Oper hat sie einen unglaublichen physischen Stellenwert. Und da sage ich manchmal: Vertraut doch einfach der Musik!
Sind Sie im Laufe der Jahre für Regisseure schwieriger im Umgang geworden, weil Sie so viel Erfahrung haben? Oder wird es geschmeidiger, weil Sie schnell wissen, was ein Regisseur will?
Ja und nein. Bei denen, die ich öfter erlebe – Decker, Herheim, Guth –, kenne ich inzwischen die Körpersprache. Das macht es viel einfacher. Mit jemand Neuem muss ich immer erst herausbekommen, was jemand von mir haben will und wie weit ich gehen kann. Ich bin ein Sänger, der wahnsinnig viel anbietet. Oft viel zu viel. Die Ideen kommen völlig unsortiert. Und ich bin wahnsinnig schnell. Das höre ich nicht nur von Frau Beier, dass ich sie wahnsinnig stresse, weil ich so schnell bin, das höre ich auch von Claus Guth. Weil ich will, dass es weitergeht, ich will eine Auflösung haben. Das ist im Privatleben auch so.
Dann machen Sie‘s doch selbst, das mit der Regie.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir diesen letzten Schritt zutraue. Mir fehlt dieser übergeordnete Blick. Eine Idee zu haben, die nicht schon unzählige Male gemacht wurde, das finde ich schwierig.