Hamburg. Die „Tagesschau“-Sprecherin hat sich auf die Reise in ihre Vergangenheit gemacht und ihre Mutter Chrissi neu kennengelernt.
Was hat ihr Opa mit ihrer Karriere bei der „Tagesschau“ zu tun? Wieso war ihre Mutter den deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg nicht böse? Und was steht noch so alles in dem kleinen Notizbuch, das sie ihr feierlich übergeben hat? All das wollte Linda Zervakis (45) auf einer Reise zu ihren Wurzeln herausfinden, die sie sowohl mit ihrer Mutter Chrissi als auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier antrat. Was dabei passierte, erzählt die deutsche Griechin Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider in dieser Podcast-Folge von „Entscheider treffen Haider“.
Es geht um Liebesgeschichten, die nur einen Zweck hatten, um furchtbare Autofahrten – und um eine verblüffende Frage ihrer Mutter. Das Buch dazu ist am Dienstag erschienen, es heißt „Etsiekietsi. Auf der Suche nach meinen Wurzeln“.
Das sagt Linda Zervakis über …
… die Anrufe ihrer Mutter Chrissi (81), wenn sie ihre Tochter in der „Tagesschau“ gesehen hat:
„Man fängt ja als neue Sprecherin meist früh am Morgen oder spät in der Nacht an. Meine erste ,Tagesschau‘ war um 1.20 Uhr, und meine Mutter hat sich extra einen Wecker gestellt, um sie nicht zu verpassen. Und dann hat sie geweint vor Stolz. Sie meldet sich immer wieder, wenn sie mich gesehen hat, und sagt dann Sätze wie: ,Heute haben sie dir endlich mal die Haare schön gemacht.‘ Oder: ,Du hast gut ausgesehen heute früh im Fernsehen.‘
… die Memoiren ihrer Mutter:
„Wir hatten ja diesen Kiosk in Harburg, den meine Mutter nach dem frühen Tod meines Vaters – er ist gestorben, als ich 14 Jahre alt war – 17 Jahre lang allein geführt hat. Was bedeutete, dass sie jeden Tag um 5 Uhr aufgestanden ist, um 6 Uhr den Laden auf- und um 21 Uhr wieder abgeschlossen hat. Das heißt, sie war vor halb zehn nicht zu Hause. Mein jüngerer Bruder und ich mussten tagsüber ganz allein klarkommen. Da blieb nicht viel Zeit, mit meiner Mutter zu sprechen, schon gar nicht über ihre Jugend. Irgendwann habe ich ihr ein Notizbuch geschenkt, und sie hat angefangen, eine Art Memoiren zu schreiben. Und die hat sie mir geschenkt. Ich habe sie gelesen in einer Zeit, in der der Rowohlt-Verlag mit mir zusammen auf der Suche nach einer neuen Buchidee gewesen ist, nachdem mein erstes Buch ganz gut gelaufen ist. So ist dann ,Etsikietsi‘ entstanden, was auf Deutsch ,so lala‘ heißt.“
… griechische Liebesgeschichten:
„Viele Liebesgeschichten, die ich in meinem Buch beschreibe, dienten wie die Beziehung meines Opas Kostas und meiner Oma Sofia einem einfachen Zweck. Die beiden bekamen schnell Kinder, drei Töchter. Und Töchter waren damals so viel wert wie männliche Küken. Das ist hart, aber es war leider so. Die ältere Schwester meiner Mutter wurde mit 18 verheiratet, und auch für meine Mutter wollte mein Opa schnell einen Mann suchen. Dabei hatte sie die Empfehlung für eine weiterführende Schule, später sogar das Angebot, an eine Schauspielschule zu gehen und für einen Film vorzusprechen. Aber mein Opa hat eine klare Ansage gemacht: ,In unserer Familie wird man Bauer oder Bäuerin.‘ Punkt. Meine Mutter war übrigens auch nicht so amüsiert, als ich von zu Hause ausgezogen bin, obwohl ich noch nicht verheiratet war. Ich habe erst vor acht Jahren, also mit 37, geheiratet …“
… griechische Hochzeiten:
„Es gibt keine Reden, keine Spiele, keine Gedichte, geschenkt wird Geld, und ansonsten wird getanzt und gesungen. Und gegen meine griechischen Verwandten sieht jeder geschmückte Hotelweihnachtsbaum dezent aus. Die feiern sich halt, dort tragen selbst 80-Jährige Stöckelschuhe. Und niemand ist auf einer Hochzeit betrunken, die trinken zu fünft einen Liter Wein und tanzen bis zum nächsten Morgen, und zwar generationenübergreifend. Das ist einfach großartig.“
… ihren Opa Kostas:
„Er war in seinem Dorf einer der wenigen Menschen, die lesen und schreiben konnten, hat im Rathaus gearbeitet und dadurch quasi den Nachrichtendienst für die Leute betrieben. Wenn man so will, hat er damals das gemacht, was seine Enkelin heute in der ,Tagesschau‘ tut.“
… Mutter Chrissi und die Deutschen:
„Meine Mutter hat über die deutschen Soldaten, die sie im Zweiten Weltkrieg erlebt hat, in ihren Memoiren und auch in unseren Gesprächen nie ein böses Wort verloren – und das, obwohl sie heute gern mal über die Deutschen meckert. Sie hat erzählt, dass die Soldaten Nachsicht mit ihrer Familie gehabt haben, dass sie ihnen die Hühner und das Gemüse gelassen haben, weil sie gesehen haben, dass vier Kinder ernährt werden mussten. Ich finde es beeindruckend, dass sie überhaupt keinen Groll auf die Deutschen hat.“
… böse E-Mails von „Tagesschau“-Zuschauern:
„Ich bekomme zum Glück wenig ausländerfeindliche oder rassistische Post. Eine Mail zitiere ich in dem Buch, sie war die mit Abstand schlimmste, der Zuschauer schrieb: ,Eben erklärt ihre Griechin in der ,Tagesschau‘, dass das Abbilden von Personen bei einer Demonstration erlaubt sei. Kann mal jemand der Quotenfotze erklären, dass personenbezogene Aufnahmen nicht erlaubt sind? So seid ihr Journalisten eben, nichts auf der Pfanne, sich immer an den Schwachen vergreifen. Geht sterben.‘ Ich habe einen Hass- und Herz-Ordner für die E-Mails, die ich erhalte, und der Herz-Ordner ist deutlich voller. Und ich möchte auch bitte, dass das so bleibt.“
… ihren früheren Wunsch, Schauspielerin zu werden:
„Ich habe an mehreren Schauspielschulen vorgesprochen, so, wie es meine Mutter damals getan hat. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Existenzangst doch zu groß ist. Ich habe mich nicht getraut, von Theater zu Theater zu tingeln. Ich brauchte die Sicherheit eines monatlichen Einkommens. Dann wollte ich Moderatorin werden, bis mir eines Tages ein Chef gesagt hat, dass meine Stimme wie gemacht sei für Nachrichten.“
… Hamburg als Stadt, in der „viele Zugezogene das Gefühl haben, am falschen Platz zu leben“:
„Das liegt für jemanden, der wie ich aus Südeuropa kommt, natürlich vor allem am Wetter. Aber auch daran, dass man vielleicht etwas länger braucht, um in Hamburg echte Freunde zu finden. Die man dann aber auch für immer hat. In Schleswig-Holstein ist es übrigens noch schwieriger anzudocken.“
… die recht kurvige Strecke, die zum Heimatdorf ihrer Mutter in Griechenland führt:
„Früher mussten wir auf der Strecke mehrfach halten, damit wir Kinder uns über die Steinmauern in den Parkbuchten übergeben konnten. Es gab ja damals noch keine Klimaanlage, wir Kinder saßen hinten, sind von Deutschland in zweieinhalb Tagen nach Griechenland gefahren.“
… die Frage, wie es ist, besoffen zu sein:
„Die hat mir meine Mutter auf unserer gemeinsamen Reise nach Griechenland wirklich gestellt, weil sie überhaupt keinen Alkohol trinkt.“
… ihre Reise mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Vicky Leandros nach Griechenland:
„Das war die mit Abstand ungewöhnlichste Griechenland-Reise, die ich jemals gemacht habe. Das Griechenland-Feeling, das ich sonst habe, hat sich überhaupt nicht eingestellt, weil ich maximal angespannt war und ja eine Art Brücke zwischen den beiden Ländern sein sollte.“
… das Fazit der Suche nach ihren Wurzeln:
„Ich bin froh, dass ich zwei Staatsbürgerschaften besitzen darf, weil ich beides bin. Ich bin weder Griechin komplett noch Deutsche komplett. Und wenn das nicht geht, bin ich Europäerin.“