Hamburg. Im Podcast spricht „Cicero“-Chefredakteur und Politik-Journalist Christoph Schwennicke über seine Leidenschaft für (große) Fische.

Er schrieb für die „Süddeutsche Zeitung“ und den „Spiegel“, ist heute Chefredakteur und Verleger des „Cicero“. Wer Christo<ph Schwennicke deshalb, und wegen seiner regelmäßigen Auftritte in politischen Talkshows, für einen (der besten) Politikjournalisten des Landes hält, hat nicht Unrecht – vor allem ist er aber ein fanatischer Angler. So fanatisch, dass er für Hornhechte schon einmal den US-Präsidenten sein lässt…

Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit Christoph Schwennicke in der neuen Folge von „Entscheider treffen Haider“ über den ewigen Traum vom dicken Fisch, wie es ist, mit Spitzenpolitikern angeln zu gehen, warum sein Verhältnis zu Angela Merkel nicht mehr (so gut) ist, wie es einmal war – und über (zu wenige) Journalisten, die gegen den Strom schwimmen.

Das sagt Christoph Schwennicke über…

…sein Buch „Das Glück am Haken. Der ewige Traum vom dicken Fisch“:

„Eine Lektorin des Droemer-Verlags lag mir jahrelang in den Ohren, dass ich für sie ein politisches Buch schreibe. Eine Biographie über einen Politiker oder eine Politikerin, was auch immer. Aber ich fand, dass es sowieso schon zu viele politische Bücher gab, und habe ihr vorgeschlagen, ein Buch über meine wahre Leidenschaft zu schreiben. Und die ist das Angeln. Das Buch ist der Versuch, Angeln als Allegorie auf das Leben insgesamt zu nehmen. Das Leben besteht ja zu großen Teilen aus Misserfolgen, nur einmal in zehn Fällen funktioniert etwas. So ähnlich ist es auch beim Angeln, das Angeln lehrt Demut. Außerdem wollte ich mich dem Buch eine gestörte Kommunikation beleben, Nicht-Angler mit den Anglern ins Gespräch bringen. Wir haben einen Ruf, den wir verbessern können. Kleine Randbemerkung: Das Schrecklichste, was du als Mann machen kannst, ist, bei einer Party Frauen gegenüber vom Angeln anzufangen. Das ist der absolute Abtörner, da kannst du gleich nach Hause gehen.“

… die Frage, ob er Fische, die er fängt, auch isst:

„Ja, das tue ich. Aber es gibt ganz viele Angler, die Fische nur fangen, um sie dann wieder freizulassen, was in Deutschland eigentlich verboten ist. Es gab mal einen uralten Karpfen im Neckar, den haben sie Ben genannt, der 40 oder 50 Mal gefangen worden war, und irgendwann eines natürlichen Todes gestorben ist. Ich gehöre zu denen, die Fische tatsächlich auch gern essen. Übrigens: Wem es wirklich darum geht, am Abend Fisch in der Pfanne zu haben, der soll in einen Fischladen gehen. Ich jedenfalls will keine Fische fangen, das ist es nicht. Es geht um diese einmaligen Momente da draußen, dafür lohnt sich der ganze Aufwand.“

… Hornhechte, die ihm wichtiger als George W. Bush und Wladimir Putin waren:

„Ich war beim G8-Gipfel in Heiligendamm, zusammen mit meinen Kollegen von der „Süddeutschen Zeitung“ hatten wir eine Ferienwohnung gemietet. Und als es sich irgendwann anbot, habe ich meinen Wagen genommen und bin auf die Insel Poel gefahren, um dort Hornhechte zu angeln, während Angela Merkel mit Wladimir Putin und George W. Bush in diesen riesigen Strandkörben saß. Ich hatte während der Zeit übrigens fünf Anrufe des Regierungssprechers auf meinem Handy, und als ich ihn zurückgerufen und erklärt habe, dass ich gerade Angeln war, hat er gedacht, ich veralbere ihn. “

… sein Vorstellungsgespräch bei Hans-Werner Kilz, dem legendären Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“:

„Das werde ich nie vergessen. Das Gespräch war kurz bevor ich mit meinem Vater unseren jährlichen Hochseeangelurlaub in Norwegen angetreten habe. Davon habe ich Hans-Werner Kilz leidenschaftlich und wortreich erzählt, sicher auch, um meine Nervosität zu überspielen. Er saß vor mir, hörte sich das an, fragte, wie lange ich für die Texte gebraucht hätte, die er vor sich liegen hatte – und stellte mich ein. Ich weiß bis heute nicht, ob er mich wegen oder trotz meiner Angelgeschichten eingestellt hat. Offensichtlich hat ihm die Lebendigkeit zugesagt, Dorsche hin oder her. Ich achte übrigens bei Vorstellungsgesprächen auf den Blick des Kandidaten. Hat dieser Mensch die Gabe, jemandem in die Augen zu schauen? Ich achte weniger auf das, was, sondern wie er oder sie es sagt. Und das scheint bei Kilz auch den Ausschlag gegeben zu haben.“

… den angelnden Fahrer des Regierungssprechers und Hilfe von Gerhard Schröder:

„Ich fuhr mit dem damaligen Sprecher von Gerhard Schröder, Thomas Steg, zu einem Termin mit dem Bundeskanzler. Und es dauerte nur Sekunden, bis ich mitbekommen hatte, dass sein Fahrer begeisterter Angler war, irgendwie spürt man das. Und damit war der Regierungssprecher quasi raus aus dem Auto, weil ich mich nur noch mit dem Fahrer unterhalten habe, zu dem ich bis heute einen guten Draht habe. Immer, wenn wir uns sehen, fangen die Gespräche wieder an. Übrigens habe ich an den Tag, an dem wir mit Schröder zu einer Preisverleihung der „Süddeutschen Zeitung“ geflogen sind, noch eine weitere Erinnerung. Der Kanzler fragte mich, was ich denn eigentlich von der Chefredaktion in München erwarte. Und ich sagte: Mehr Geld für das Berliner Büro. Und er hat dann tatsächlich in seiner Laudatio den Hinweis eingebaut, dass wichtige Redaktionen wie etwa das Berliner Büro trotz aller Sparzwänge ordentlich finanziert werden müssten.“

… seine Zeit beim „Spiegel“:

„Ich war viereinhalb Jahre beim „Spiegel“, das war in Ordnung, aber nicht die allerschönste Zeit meines Berufslebens. Das „Spiegel“-Soziotop ist schon speziell, aber gleichzeitig konnte ich Dinge machen, die anderswo nicht möglich sind. Die journalistischen Voraussetzungen sind einzigartig. In menschlicher Hinsicht macht man auch schmerzliche Erfahrungen beim „Spiegel“. Das liegt in der Natur der Sache, weil viele Leute für wenig redaktionellen Platz dort waren. Alle wollten ins Heft, das machte das Leben manchmal hart. Der Lockruf des „Cicero“ kam in einem Moment, in dem ich dafür empfänglich war. Beim „Spiegel“ stand die Besetzung des Büroleiters in Berlin an, und ich war es nicht geworden. Ich bin jetzt seit neun Jahren Chefredakteur, und habe das nie bereut.“

…die Rolle der Journalisten in der Flüchtlingskrise 2015:

„In der Flüchtlingskrise haben manche von uns ihre Rolle als Journalisten missverstanden, und sind zu Aktivisten mutiert. Ich war sehr froh, dass „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo genau das später in einem Gastbeitrag bei uns geschrieben hat.“

… seine zum Teil scharfe Kritik an Angela Merkel nach der Flüchtlingskrise:

„Das ist keine Obsession. Ich habe Sympathien für die Person Angela Merkel, sie ist sehr witzig im Umgang, enorm schnell im Kopf. Und ich bin mit der Handhabung der Coronakrise hochzufrieden gewesen. Der Unterschied zu 2015: Bei Corona ist präventiv Politik betrieben worden. Und bei der Flüchtlingskrise war genau das Gegenteil der Fall. Ich hatte früher einen ganz guten Draht zur Bundeskanzlerin, ich habe die immer wieder auch sehr menschlich erlebt. Als ich die kritische Grundposition zur Flüchtlingspolitik eingenommen habe, war der Zugang ins Kanzleramt allerdings nicht mehr so wie früher. Auch der damalige Fraktionschef Volker Kauder, der ja ein sehr treuer Diener Merkels war, hat mich dann irgendwann nicht mehr zu seinen Hintergrundgesprächen eingeladen.“

… die Hintergrundgespräche zwischen Journalisten und Politikern in Berlin:

„Sie nehmen in ihrer Ergiebigkeit ab. Politiker präsentieren in diesen Gesprächen, vielleicht, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, keinen echten Hintergrund mehr, sondern sagen mehr oder weniger dasselbe, was sie auch vor Kameras und Mikrofonen sagen.“

…seine Auftritte in politischen Talkshows:

„Ich mache das immer gern. Es besteht schon ein Reiz, in einer Live-Atmosphäre kontern und reagieren zu müssen. Ich bemühe mich, freundlich und bestimmt zu sein. Und ich kann den Gedanken, dass da Millionen Menschen zuschauen, komplett ausblenden. Reden vor einem Publikum im Saal machen mich wesentlich nervöser, als Auftritte in einer Talkshow.“

...Schwimmen gegen den Strom:

„Journalismus muss immer ein kritisches Gegenbürsten sein, eine Gabe, die er in letzter Zeit leider ein wenig eingebüßt hat. Woran das liegt, weiß ich auch nicht. Man durfte und darf sich niemals gemein machen mit einer Sache, sondern muss immer in der nötigen Distanz dazu bleiben. Das fehlt mir tatsächlich zunehmend in unserer Zunft. Was ich den Kolleginnen und Kollegen übrigens auch rate, ist, sich im Netz als vermeintliche Privatperson nicht nackig zu machen. Der Privatmann Christoph Schwennicke ist immer auch der Journalist Christoph Schwennicke, das lässt sich nicht trennen. Das machen sich viele Kollegen zu wenig bewusst. Ich empfehle, sich dort sehr stark zurückzuhalten. Und noch ein Satz zu Shitstorms: Lieber einen Shitstorm als gar keinen Wind.“