Hamburg. Der Schauspieler spricht mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider über seine Sicht auf die Pandemie – und über seine Pläne.
Til Schweiger hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Coronavirus beschäftigt, viel darüber gelesen und sich in der Krise immer wieder zu Wort gemeldet. In seinen verschiedenen Rollen ist der 56-Jährige zudem stark von den Folgen der Pandemie betroffen: Das gilt für Schweigers Film- genauso wie für seine Hotelprojekte, für seine Restaurants und ein geplantes Flusskreuzfahrtschiff. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider hat mit dem Schauspieler über den deutschen Weg im Kampf gegen Corona, über den Lockdown, bedrohliche Zahlen und einen Virologen gesprochen, der Schweiger leidtut.
Das sagt Til Schweiger über …
… seinen ersten Shitstorm in den sozialen Medien:
„Ein Post im Jahr 2015, mit dem ich auf eine Sammelaktion des Hamburger Abendblatts für Flüchtlinge aufmerksam gemacht habe, hat meinen ersten richtig großen Shitstorm auf Facebook ausgelöst. Das hat mich damals sehr überrascht, unheimlich erschüttert und wütend gemacht. Denn es war doch nur ein Aufruf zu einer humanitären Aktion, die die Menschen nicht viel gekostet hat außer der Zeit, ein paar Klamotten auszusortieren, die sie nicht mehr brauchen. Klar gab es auch viele, die toll fanden, dass ich das gepostet habe. Aber andere haben mich oder meine Familie bedroht. Es ist wie eigentlich immer in Deutschland: Entweder bist du gnadenlos für oder gnadenlos gegen etwas. Etwas dazwischen gibt es oft leider nicht. Das hat man auch wieder in der Coronakrise gesehen: Eine Diskussion über das richtige Vorgehen, einen Diskurs unter Experten habe ich vermisst.“
… Künstler, die nicht in eine Ecke mit Verschwörungstheoretikern gedrängt werden wollen:
„Ich kenne einige Künstler, die die Entscheidungen in der Coronakrise kritisch hinterfragt haben, aber trotzdem nichts dazu öffentlich sagen wollten, weil sie nicht in eine Ecke gedrängt werden wollen mit Verschwörungstheoretikern. Die haben aus Angst um ihrer Karriere lieber nichts gesagt. Was ich wiederum auch verstehen kann.“
… den Lockdown:
„Ich war absolut für den Lockdown. Ich habe zu Beginn der Coronakrise ein Video in einem Hamburger Park gemacht, wo die Leute sich überhaupt nicht an die Abstandsregeln gehalten haben. Und ich habe gefragt: Was ist denn daran so schwer, wenn einer einen Meter nach rechts geht und der andere einen Meter nach links, wenn man sich begegnet? Ich habe das Virus superernst genommen, und tue das bis heute, weil es in keiner Weise harmlos ist. Aber man hat eben auch im Verlauf der Krise neue Erkenntnisse gewonnen, über die man sprechen muss. Und dann kann man nicht mehr wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach darüber reden, dass man notfalls den Lockdown sehr lange aushalten muss. Ich finde es jetzt schon bedenklich, wenn mir befreundete Ärzte erzählen, dass sie viel weniger zu tun haben und dass in Hamburg zeitweise die Hälfte aller Klinikbetten leer war. Und das nicht, weil die Leute weniger krank sind, sondern weil sie Angst haben, zum Arzt zu gehen. Man weiß jetzt noch nicht, was das für Auswirkungen haben wird.“
… die selbst verordnete Quarantäne:
„Für mich war das eine sehr schwere Zeit. Wer mich kennt, weiß, wie schwer es mir fällt, nichts zu tun. Für mich ist das Schönste im Leben, Sachen zu erschaffen. Deshalb antworte ich auch immer auf Fragen, warum ich jetzt auch noch Hotels oder Kaschmirpullis oder was auch immer mache: Weil ich Spaß daran habe. Mein Antrieb im Leben ist außerdem, neue Leute kennenzulernen, die einen inspirieren. In den vergangenen Wochen konnte ich das alles nicht. Ich habe dann angefangen, in meinem Schneideraum zu Hause alte Familienaufnahmen zu Videoclips zusammenzuschneiden. Meine Freundin, meine Töchter und ich haben ganz viele Gesellschaftsspiele gespielt, viel gelesen. Ich habe sogar durch Zufall neulich im Fernsehen „Keinohrhasen“ geguckt, zum ersten Mal seit bestimmt zehn Jahren. Normalerweise sehe ich mir meine Filme nicht nochmals an. Jetzt habe ich nach „Keinohrhasen“ sogar noch „Zweiohrküken“ angemacht.
… die deutsche Corona-Strategie und den Umgang mit anderen Meinungen:
„Deutschland steht im Vergleich zu den meisten Ländern der Welt sehr, sehr gut da. Also könnte man sagen, wir haben alles richtig gemacht. Trotzdem habe ich mich im Verlauf der Krise immer häufiger gefragt, warum nur eine Sorte Menschen zu Wort kommt. Warum zählt nur, was Professor Drosten sagt, der sicher ein großartiger Experte ist, warum hört man so wenig von anderen? Ich fand zum Beispiel sehr, sehr schade, dass jemand wie Hendrik Streeck von der Universität Bonn sofort attackiert wurde, als er seine Studie vorgestellt hat. Das hat bis heute dazu geführt, dass immer in Berichten von der ,umstrittenen Heinsberg-Studie‘ die Rede ist, obwohl die inzwischen weltweite Beachtung erfährt und international anerkannt wird. Streeck war es ja, der weltweit als erster Wissenschaftler festgestellt hat, dass der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns zu den Symptomen einer Infektion gehören kann. Aber in Deutschland geht es nur darum, wer die Studie in Auftrag gegeben und dass ehemalige Springer-Leute die Öffentlichkeitsarbeit dafür gemacht haben. Die wichtigen Erkenntnisse aus der Studie sind untergegangen. Und was andere Koryphäen, wie etwa Ansgar Lohse vom Universitätsklinikum Eppendorf, zu dem Thema gesagt haben, habe ich kaum irgendwo gelesen. Oder denken wir an den Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel, der entgegen den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts die Opfer von Covid-19 obduziert hat, weil er überzeugt war und ist, dass man von den Toten für die Lebenden lernen kann. Er war der Erste, der herausgefunden hat, dass viele Covid-19-Patienten an Blutgerinnseln sterben. Mir hat sich wirklich nie erschlossen, was das RKI gegen Püschels Arbeit hatte. Zum Glück ist es irgendwann umgeschwenkt. Das schätze ich: dass man seine Meinung auch mal korrigiert, wenn man merkt, dass man falsch gelegen hat.“
… seinen Instagram-Post, in dem er Christian Drosten und Karl Lauterbach riet, sich angesichts der Drohungen nicht so anzustellen:
„Das war eine Überreaktion. Am nächsten Morgen habe ich mir den Post angesehen und entschieden, ihn sofort zu löschen. Ich habe noch nie etwas gelöscht, was ich in den sozialen Medien geschrieben habe, auch wenn die Gefühle manchmal mit mir durchgegangen sind. Aber in der Sache habe ich immer hinter dem gestanden, was ich geschrieben habe. Das war bei diesem Post anders, dahinter konnte ich nicht stehen. Was ich geschrieben habe, war unnötig und dumm, deshalb habe ich mich auch dafür entschuldigt.“
… die Infektionssterblichkeit des Coronavirus:
„Ich habe mich sehr mit dem Thema beschäftigt und viel dazu gelesen. Es gibt inzwischen etwa 30 Studien weltweit über die sogenannte Infektionssterblichkeit. Eine aus Spanien sticht mit einer Rate von 1,5 Prozent heraus, alle anderen liegen zwischen 0,1 und 0,5 Prozent. Das heißt: Das Virus ist gefährlicher als die Grippe, aber bei Weitem nicht so gefährlich, wie es die Fallsterblichkeitsraten suggerieren, die täglich veröffentlicht werden. Und die Frage bleibt, für wen Corona gefährlicher ist als die Grippe. Während an der Influenza auch junge Menschen schwer erkranken, ist das Durchschnittsalter der Verstorbenen in der Corona-Pandemie in Deutschland 82 Jahre. Damit will ich jetzt nicht sagen: Das ist doch egal, die wären eh gestorben. Ich habe mich nur gefragt, wie man alte Menschen vor dem Virus schützen kann, indem man jungen Menschen verbietet, zur Arbeit zu gehen. Dieser Zusammenhang hat sich mir nicht erschlossen.“
… die Frage, ob er Lust hätte, in einem Film über die Corona-Krise den Virologen Christian Drosten zu geben:
„Ich würde lieber den Hendrik Streeck spielen.“
… sein Restaurant Barefood Deli in der Hamburger Innenstadt:
„Wir mussten schon zumachen, bevor das für alle angeordnet worden ist, weil wir selber Corona-Infektionen unter den Mitarbeitern hatten. Inzwischen geht es allen wieder gut. Im Moment ist das Geschäft noch geschlossen, und ich weiß nicht, wann wir wieder öffnen. Ich war jetzt selbst am Wochenende zum ersten Mal wieder in einem Restaurant, in der Sansibar auf Sylt, und es ist halt nicht dasselbe. Ich glaube, dass viele Menschen im Moment nicht so richtig Lust auf Gastronomie haben, ich habe mit einigen Gastronomen gesprochen, die sich Sorgen machen, ob sie mit den aktuellen Regeln überleben können. Die große Pleitewelle wird erst noch kommen.“
… seine Pizzeria „Henry likes Pizza“ an der Papenhuder Straße:
„Wenn du da die Abstandsregeln einhalten willst, hast du maximal drei Leute im Laden. Das rechnet sich nicht.“
… das Barefoot Hotel in Timmendorf, das er gestaltet hat:
„Als ich meine Designmarke Barefoot Living gegründet habe, habe ich gesagt, dass es mich wahnsinnig reizen würde, mal ein Hotel auszustatten. Daraufhin hat sich der Unternehmer Mirko Stemmler bei mir gemeldet und mir einen wirklich schlimm verbauten Kasten in Timmendorf gezeigt. Ich hätte nie gedacht, dass daraus einmal das schöne Hotel werden könnte, das es heute ist. Es gehört übrigens Mirko, ich bin nur der Lizenzgeber.“
… das Barefoot Hotel nach der Wiedereröffnung:
„Ich wusste, dass es sofort wieder bei einer Zimmerauslastung von 100 Prozent sein würde, und genauso ist es gekommen. Die Leute essen zu bestimmten festgelegten Zeiten, also etwa von 19 bis 20.30 Uhr. Was offensichtlich auch positive Auswirkungen hat: Mirko hat mir erzählt, dass er im Moment sogar mehr Umsatz in der Gastronomie macht als vorher, weil die Gäste zum Beispiel noch eine Flasche Wein mit aufs Zimmer nehmen. Insgesamt glaube ich, dass die heimische Hotellerie jetzt ein Krisengewinnler werden kann, zumal, wenn man wie in Schleswig-Holstein alle Zimmer vergeben darf. Der logistische Aufwand ist natürlich groß, weil du ja immer auch dokumentieren muss, wer wann mit wem in einem bestimmten Zeitfenster gegessen hat.“
… den Bau neuer Hotels:
„Wir hatten vor, mit der Arcona-Gruppe zusammen 20 Barefoot Hotels zu bauen. Die ersten vier Projekte haben aus verschiedenen Gründen nicht stattgefunden, der Standort Tegernsee ist jetzt der nächste Versuch.“
… das Barefoot-Fertighaus:
„Wir haben die Idee, ein extrem nachhaltiges, schadstoffarmes Haus zu bauen, das komplett aus Holz gebaut ist. Das wird mein nächstes großes Ding.“
… seinen Einstieg in die Flusskreuzschifffahrt:
„Ursprünglich wollte ich ein richtiges Kreuzfahrtschiff ausstatten, es gab auch Gespräche mit verschiedenen Unternehmen, die sehr fortgeschritten waren. Aber das ist nun eine Branche, die wirklich massiv von der Krise betroffen ist. Das Flusskreuzfahrtschiff für 600 Passagiere wollten wir eigentlich im Mai in Passau einweihen. Dann kam die Grenzschließung, die uns besonders hart getroffen hat, weil all die Arbeiter, die für den Innenausbau zuständig sind, aus Österreich kommen. Das Schiff ist noch auf der Werft, ich will mir das nächste Woche mal persönlich ansehen. Die Fotos sind schon beeindruckend, das sieht nicht mehr aus wie ein Donau-Dampfer, sondern wie ein Schiff aus den 20er-Jahren. Das soll jetzt im August oder September zu Wasser gelassen werden.“
… seinen bisher letzten Film, „Die Hochzeit“, der am 23. Januar in die Kinos gekommen ist:
„Das war gerade noch rechtzeitig. Wer mir richtig leidtut, sind die Macher der „Känguru-Chroniken“. Der Film war echt gut unterwegs, und dann wurden die Kinos geschlossen. Die Branche ist massiv von der Corona-Krise betroffen. Wenn in Kinos Abstandsregeln gelten, und zum Beispiel nur 200 von 800 Plätzen belegt werden können, nutzt dir der allerbeste Film nichts – mit so wenigen Besuchern kommst du niemals in die Gewinnzone. Ich befürchte, dass das viele Kinos nicht durchhalten werden.“
… seine geplanten Kinofilme für dieses Jahr:
„Ich wollte dieses Jahr noch zwei Kinofilme drehen. „Kurt“, die Verfilmung eines Romans von Sarah Kuttner, haben wir inzwischen gestoppt. Jetzt überlegen wir, ob wir den zweiten geplanten Film, „Die Rettung der uns bekannten Welt“ vorziehen und „Kurt“ dann erst im nächsten Jahr drehen. Vor ein paar Wochen habe ich übrigens ein Konzeptpapier erhalten, wie man in Zeiten von Corona Filme drehen und dabei alle Regeln beachten könnte. Das liest sich wie eine Realsatire, kommt aber von verschiedenen Verbänden aus der Branche. Der absurdeste Vorschlag war, die Drehbücher möglichst auf Covid-19 umzuschreiben. Und bei intimen Szenen sollte man eine Plexiglasscheibe zwischen die Schauspieler stellen und diese Scheibe im Nachhinein digital entfernen. So kann man keinen Film drehen.“
… die Doku „Schweinsteiger: Memories – von Anfang bis Legende“:
„Weil es mein erster Dokumentationsfilm ist, habe ich nicht die Regie gemacht, sondern nur die Produktion. Es gibt viele emotionale, aber auch sehr witzige Stellen: Zum Beispiel, als er mit seiner Ehefrau im Taxi durch Berlin fährt, und sie sagt zu ihm: „Mensch, hier gibt es so viele tolle Theater und Museen, lass uns doch mal in ein Museum gehen.“ Und Schweini sagt: „Ja, klar. Ich liebe Museen. Genauso wie Bücher.“
… das Leben als Prominenter mit Maske, hinter der einen weniger Leute erkennen:
„Ich würde gern lieber wieder erkannt werden, als die Maske zu tragen, hinter der ich nach zehn Minuten Atemprobleme bekomme.“