Hamburg. Für Chefarzt Martin Bachmann ist Covid-19 die am schwierigsten intensivmedizinisch zu behandelnde Krankheit, die ihm je begegnet ist.
„Die Zahl der schwerst erkrankten Covid-19-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden müssen, nimmt mit großer Geschwindigkeit zu“, sagt Dr. Martin Bachmann in der aktuellen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios: „Die Dynamik ist enorm.“
Neun sehr schwere Fälle werden derzeit auf der Intensivstation des Asklepios Klinikums Harburg von dem Chefarzt und seinem Team behandelt – so viele wie in keinem anderen Hamburger Krankenhaus. „Die Verteilung ist zufällig, aber es zieht in allen Kliniken merklich an.“ In täglichem Austausch stehe er mit den Intensivmedizinern aus den anderen Asklepios-Häusern, aber auch mit Professor Stefan Kluge vom UKE und Kollegen aus der ganzen Republik. „Bis vor wenigen Wochen hatten wir alle vor allem jüngere Patienten auf den Normalstationen und wenige Intensivpatienten“, sagt der Internist und Lungenspezialist.
Corona: Kaum habe man alles im Griff, komme eine Komplikation
„Weil sich jetzt aber wieder deutlich mehr Ältere infizieren, zum Beispiel durch Ausbrüche in Seniorenheimen und durch Jüngere, die das Virus in ihre Familien tragen, steigt die Zahl derer, die intensivmedizinisch betreut werden müssen.“ Davon seien fast ausnahmslos alle älter als 50 Jahre und zeigten das sogenannte metabolische Syndrom. „Das heißt, diese Patienten haben alle gleich mehrere Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen: Sie sind oft übergewichtig, zuckerkrank, leiden an Gefäßverkalkungen und Bluthochdruck.“
Covid-19 sei für ihn „die am schwierigsten intensivmedizinisch zu betreuende Krankheit“, mit der er es im Laufe seiner langen Karriere bisher zu tun gehabt habe, sagt der Chefarzt. „Dass ich mal eine komplett neue Erkrankung behandeln würde, hätte ich nicht gedacht. Medizinisch ist das natürlich extrem spannend, aber psychisch auch sehr belastend.“ Denn: „Immer wenn wir denken, dass wir die Lage einigermaßen im Griff haben, taucht eine neue Komplikation auf, zum Beispiel durch eine schwere Gerinnungsstörung. Die Variabilität der Verläufe ist enorm, da kommt es immer wieder zu unangenehmen Überraschungen.“
Jeder zweite schwerst an Corona Erkrankte stirbt
Es sei eben äußerst komplex, neben der Viruserkrankung auch die anderen Vorerkrankungen zu behandeln. „Wir haben es also in der Regel mit einem Multiorganversagen zu tun.“ Von den schwerst erkrankten Patienten, also jenen, die auf der Intensivstation nicht nur beatmet, sondern sogar über eine Lungenersatzmaschine versorgt werden müssen, sei auf seiner Station jeder Zweite verstorben. „Das ist leider, leider die Quote – bundesweit und auch weltweit.“
Immerhin habe man Covid-19 seit der ersten Welle schon etwas besser kennengelernt. Ein Erkrankter durchlaufe immer zwei Phasen: „Nach der Ansteckung zeigen sich die typisch grippeähnlichen Symptome. Der kritische Punkt ist dann nach etwa zehn Tagen erreicht: Da entscheidet sich, ob der Verlauf mild ist, sich die Symptome also zurückbilden, oder ob der schwere Weg eingeschlagen wird.“
Anfangs sei man davon ausgegangen, dass es hilfreich sei, einen schwer erkrankten Covid-19-Patienten möglichst früh künstlich zu beatmen. „Mittlerweile wissen wir, dass das den Krankheitsverlauf eher ungünstig beeinflusst. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt? Das gilt es individuell herauszufinden.“
Die Corona-Lage ist jetzt ernster als im Frühjahr
Dr. Martin Bachmann hat mit seiner Abteilung früh auf eine Kortison-Therapie gesetzt – noch bevor es dazu wissenschaftliche Publikationen gab. „Wir waren in einer Situation der Verzweiflung, haben abgewogen und es probiert – mit gutem Erfolg.“ Auch hier sei die entscheidende Frage, wann man das Kortison gebe.
„Macht man es zu früh, schwächt man den Körper zusätzlich. Hat der Körper aber schon Antikörper gegen das Virus gebildet und geht in die zweite Phase, die eher einer überschießenden Reaktion des Immunsystems entspricht, dann kann Cortison helfen, wie sich gezeigt hat.“ Insgesamt sei die Lage ernster als im Frühjahr, sagt der Chefarzt, der zu einer Grippeschutzimpfung rät: „Die Krankenhäuser sind im Herbst/Winter immer stärker ausgelastet, unter anderem auch weil die Influenza-Patienten kommen.“
Intensivbetten sind da, aber Fachpersonal fehlt – auch wegen Corona
Anfang des Jahres habe es den behördlichen Beschluss gegeben, dass alle elektiven Operationen – also alles, was medizinisch nicht akut notwendig ist – verschoben wird. „Das wird aus meiner Sicht wieder kommen müssen, denn wenn wir den Normalbetrieb weiterfahren, reichen die Kapazitäten nicht.“
Es seien zwar ausreichend Intensivbetten (in Harburg sind es 24 plus 21 Reservebetten) und auch genug Maschinen da, aber es fehle an Personal. „In der Intensivpflege brauchen wir sehr, sehr gut ausgebildetes Personal, da kann nicht jeder aushelfen.“ Schon jetzt werde es eng, denn natürlich fallen in Zeiten der Pandemie auch Schwestern, Pfleger und Ärzte mal aus. „Vier Mitarbeiter fehlen uns aktuell durch Covid-19, das heißt, mehr als 16 Intensivbetten könnten wir gar nicht belegen. Manche Kollegen stecken sich selbst außerhalb der Klinik an, andere müssen in Quarantäne, weil es einen Fall in der Schulklasse des Kindes gibt.“
Bis zum Frühjahr werde uns Corona mindestens begleiten, glaubt der Chefarzt, der gern vor Fehmarn surft, um mal nicht an Covid-19 zu denken. „Dass ich jetzt nicht in Schleswig-Holstein aufs Wasser kann, das setzt mir richtig zu.“