Hamburg. Chefarzt Prof. Gunter Nils Schmidt gibt anlässlich der „Woche der Wiederbelebung“ Tipps, wie Laien erste Hilfe leisten können.
Ein Kollege bricht am Schreibtisch plötzlich zusammen, atmet nicht mehr – Herzstillstand! Doch wer reanimiert, bis der Notarzt eintrifft? „Wirklich jeder kann helfen“, ermutigt Professor Dr. Gunter Nils Schmidt. „Man kann gar nichts falsch machen, der Mensch ist ja im Prinzip schon tot, das Herz schlägt nicht mehr. Schlimmer kann es also nicht werden“, sagt der Chefarzt der Anästhesie von der Asklepios Klinik Altona in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Anlässlich der bundesweiten „Woche der Wiederbelebung“, die am kommenden Montag beginnt, geht es in dieser Episode konkret darum, wie Laien erste Hilfe leisten können.
Früher seien Erste-Hilfe-Kurse oft sehr theoretisch gewesen
„Ich glaube, jeder von uns sagt: Ja, so einen Erste-Hilfe-Kursus müsste ich auch mal wieder machen. Und wenn man denjenigen dann sechs Jahre später trifft, war er immer noch nicht da“, sagt der habilitierte Mediziner. Er befürwortet daher, bereits Schüler anzuleiten und bei Erwachsenen die Auffrischung des Wissens in den Alltag zu integrieren – ein zentraler Ansatz der bundesweiten Aktionswoche. „Wir brauchen zum Beispiel nicht immer diese Kurse über zwei Tage. Die sind wunderbar, aber die Hemmschwelle, sich da anzumelden und ein Wochenende lang mitzumachen, ist hoch“, sagt der Notfallmediziner. Da sei es doch viel effizienter, wenn das Rote Kreuz am Supermarkt einen Stand habe und man nach dem Einkauf noch mal fünf Minuten lang die Herzdruckmassage übe. „Da muss man sich auch gar nicht viel merken: Man muss nur drücken, drücken, drücken. Fest und zügig.“
In der Vergangenheit seien wir alle in den Erste-Hilfe-Kursen, meist vor der Führerscheinprüfung und danach nicht wieder, mit zu viel Wissen überfordert worden. „Selbst ich als Ausbilder musste oft nachschauen, wie die stabile Seitenlage jetzt ganz korrekt aussieht.“ Mittlerweile sei man längst zu der Erkenntnis gekommen, dass es völlig egal sei, wo die Beine lägen und wie die Arme angeordnet seien. „Der Kopf muss überstreckt und der Mund der niedrigste Punkt sein, damit Flüssigkeit auslaufen kann. Punkt. Alles andere spielt keine Rolle.“
Der Bee Gees-Hit „Stayin’ Alive“ ist der perfekte Taktgeber
Ähnlich sei es mit der sofortigen Herzdruckmassage, die die Überlebenschance eines Patienten um das Zwei- bis Dreifache erhöhe. Der Rettungsdienst sei in der Regel nach acht Minuten da, der Notarzt binnen 15 Minuten. „Aber die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes ist entscheidend“, so der Chefarzt, der die Abteilung in Altona seit 2011 leitet, vorher am UKE tätig war und international über das Thema „Patientensicherheit und Narkosen“ publiziert hat. „Wird unser Gehirn länger als drei Minuten lang nicht mit Sauerstoff versorgt, dann entstehen bleibende Schäden.“
Doch wie oft muss man eigentlich drücken? Wer erinnert das schon noch? „Auch da wollen wir weniger theoretisch sein. Drücken Sie einfach! 100 mal pro Minute wird empfohlen. Zwei mal pro Sekunde ist auch prima. Ist es ein bisschen mehr oder weniger, dann ist das auch okay.“ Eselsbrücke: Der Bee Gees-Hit „Stayin’ Alive“ (103 Schläge pro Minute) sei der perfekte Taktgeber. Wer das Lied summe und dazu auf die Mitte der Brust drücke, sei im richtigen Rhythmus.
Woche der Wiederbelebung in Hamburg
Die „Woche der Wiederbelebung“, die es seit sieben Jahren gibt, und auch der jährliche Lebensretter-Preis, den der Asklepios-Konzern in Kooperation mit dem Abendblatt am 16. September wieder vergibt, hätten die Menschen noch einmal für das Thema sensibilisiert. Lag die Quote von Laien, die erfolgreich reanimierten, 2011 noch bei knapp zehn Prozent, so sei sie mittlerweile auf 40 Prozent gestiegen. „Ein toller Erfolg, auf den wir alle sehr stolz sein können“, sagt der gebürtige Hamburger.
„Wir müssen uns auch von der Sorge lösen, dass wir einen fremden Menschen wiederbeleben müssen, womöglich noch durch Mund-zu-Mund-Beatmung, wie es in Filmen gern dargestellt wird. Fakt ist: In der Regel ist es der Großvater, der Hilfe braucht. Oder der liebe Kollege, den man seit Jahrzehnten kennt.“ Mehr als 60 Prozent der Herz-Kreislauf-Stillstände ereigneten sich im häuslichen oder direkten Umfeld.
Einsatz an Bord einer Boeing 747 auf dem Flug nach Mexiko
Ausnahmen bestätigen die Regel: So musste Gunter Nils Schmidt als junger Notarzt, auf dem Weg zur Hochzeit seines Bruders in Mexiko, an Bord einer Boeing 747 einem russischen Mitpassagier helfen. „Ich sollte entscheiden, ob die Maschine notlanden sollte. Da war mir dann schon ein bisschen mulmig.“ Tatsächlich stoppte der Flieger auf einem Militärflughafen in Goose Bay in Kanada. „Alle mussten stundenlang warten und draußen herrschte eine Eiseskälte. Ich dachte nur: Wenn der Mann jetzt gleich wieder fit ist, dann habe ich mir richtig viele Freunde gemacht“, so der zweifache Vater.
Doch die Entscheidung war lebensrettend, der Passagier wurde mit einem Herzinfarkt in die nächste Klinik gebracht und überlebte. „Und ich hatte auf der Hochzeitsfeier natürlich eine kleine Geschichte zu erzählen“, sagt der sportbegeisterte Anästhesist, der die zweite D-Jugend von Altona 93, in der sein Sohn spielt, betreut. „Nicht medizinisch und spielerisch schon gar nicht. Aber ich wasche die Trikots der Jungs, und das richtig gern.“