Hamburg. Im Abendblatt-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ geht es um einen Mediziner, der acht Frauen vergewaltigte.
Da ist ein Geräusch, das die Frau aufschrecken lässt. Oder ein unbekannter Geruch. Irgendetwas hat sie alarmiert. Sie öffnet die Augen und sieht einen fremden Mann bei sich am Bett stehen. Er ist maskiert, er beugt sich über sie und droht: „Ich habe ein Messer dabei.“ Einen Moment lang hofft sie noch, dass alles nur ein böser Traum ist. Doch der Mann in ihrem Schlafzimmer ist keine Halluzination, er ist real und angsteinflößend. Er fesselt sie, dann drückt er ihr ein feuchtes Tuch auf Nase und Mund. Sie wird bewusstlos.
Wenn sie wieder zu sich kommt, ist der Mann aus ihrer Wohnung verschwunden. Aber er ist weiter in ihrem Leben – vielleicht für immer. Wie ein dunkler, alles verschlingender Schatten begleitet er sie. Und weil er maskiert war, hat sie keine Ahnung, wie er aussieht. Jeder, dem sie von jetzt an begegnet, könnte ER sein. Der Kerl, der sie vergewaltigt hat.
Ein Arzt wurde zum Serienvergewaltiger
„Acht Frauen haben im Jahr 1990 Anzeige erstattet, weil es ihnen so ergangen ist“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. Andreas A., der Mann, der zum Serienvergewaltiger wurde und über den das Autorenduo in seinem neuen Buch „Sex and Crime“ geschrieben hat, hat sich über die Qualen seiner Opfer wohl keine Gedanken gemacht.
Die wenigsten Täter tun das, es geht ihnen um ihre eigenen Bedürfnisse: den Sex und wohl auch die Macht. Doch es gibt an Andreas A. noch eine Besonderheit: „Der Mann ist Arzt“, berichtet Püschel. „Er hat bei seiner Ausbildung einen Eid darauf geleistet, niemandem zu schaden: ,Non nocere‘.
Diesen Schwur hat der Mediziner nachts, wenn er maskiert über Frauen herfiel, ad absurdum geführt.“ Eines der Opfer, die später im Prozess gegen Andreas A. als Zeugen aussagten, meinte über den 32-Jährigen: „Er ist in meine Wohnung eingedrungen und hat mich vergewaltigt. Wenn ich in meiner Wohnung nicht sicher sein kann, kann ich mich auf den Mond schießen lassen.“ Und eine andere Frau sagte: „Ich habe den Eindruck, dass er das Ausmaß, das er angerichtet hat, überhaupt nicht begriffen hat.“
Im November 1990 kann der Serienvergewaltiger festgenommen werden
Ihm ist es einzig darauf angekommen, seine Fantasien auszuleben, die ihn seit seiner Pubertät begleitet haben. Schon als Jugendlicher hat der Hamburger Mädchen und Frauen heimlich durch Fensterscheiben beim Entkleiden beobachtet. Später besorgt er sich eine Flasche Chloroform, die er nun ständig in seinem Wagen bei sich hat. Er will damit Frauen in ihren Wohnungen betäuben, um sie missbrauchen zu können.
„Als Mediziner muss er wissen, dass Chloroform zu Brechreiz führen kann, sogar zu Atemstillstand und dem Aussetzen des Herzschlags“, warnt Püschel. Doch die Gefährlichkeit der Substanz hindert den Vergewaltiger Andreas A. nicht, seine Taten auszuüben. Über nicht vollständig verschlossene Oberlichter oder auf Kipp stehende Badezimmerfenster dringt er in die Wohnungen seiner Opfer ein. Mit seiner Drohung, dass er bewaffnet sei, schüchtert er die Frauen ein. Doch er hat kein Messer bei sich – nur das Chloroform und seine Maske.
Im November 1990 kann der Serienvergewaltiger schließlich festgenommen werden. Sechs Monate später wird er vor Gericht gestellt. „Ich habe damals als Prozessbeobachterin miterlebt, was die Opfer erzählt haben“, schildert Mittelacher. „Keine der missbrauchten Frauen konnte ohne Weiteres in ihrer Wohnung bleiben. Nicht, nachdem ein brutaler Verbrecher das Zuhause der Frau entweiht und beschmutzt hat. Manche ziehen in einen anderen Stadtteil, manche sogar fort aus Hamburg. Alle Frauen leiden unter Albträumen.“
Vor Gericht legt der Mediziner ein Geständnis ab
Vor Gericht gesteht der Mediziner die Vergewaltigungsvorwürfe im Wesentlichen. „Ich war zu sehr in meine Fantasie verstrickt“, sagt der Angeklagte. „Manchmal habe ich bis zur Erschöpfung an den Fensterscheiben geklebt. Ich war dort nicht der einzige Spanner.“ Und die Zeit, in der er die acht Frauen vergewaltigt hat, beschreibt er so: „Dieses Jahr ist wie ein Tunnel für mich gewesen.“
Ein psychiatrischer Sachverständiger billigt dem Angeklagten verminderte Schuldfähigkeit zu. Der Gutachter spricht von einer „Tag- und einer Nachtseite“, die „streng voneinander getrennt“ seien: In der Tagseite zeige Andreas A. sich hilfsbereit und verantwortungsbewusst. Die Nachtseite offenbare die Triebhaftigkeit und Aggressivität.
Nach der Entlassung aus der Haft beim Spannen erwischt
Das Gericht verhängt schließlich sechs Jahre Freiheitsstrafe für Andreas A. „Das Abnorme versagt sich oft der öffentlichen Einsicht“, formuliert die Richterin. Für den Angeklagten spreche sein Geständnis, strafverschärfend sei zu berücksichtigen, dass er die Frauen in deren persönlichstem Umfeld peinigte. „Sein Blickfeld wurde immer tunnelartiger, das Gesicht immer maskenhafter.“
Schon beim Urlaub aus der Haft wird Andreas A. rückfällig. Polizeibeamte haben beobachtet, dass er sich erneut voyeuristisch betätigt hat. Das ist natürlich sehr schlecht, wenn man vielleicht vorzeitig ganz aus der Haft entlassen werden will. Andreas A. muss deshalb seine Strafe bis zum letzten Tag absitzen.
Im November 1996, exakt sechs Jahre nach seiner Festnahme, wird er aus dem Gefängnis entlassen. Danach wird er erneut beim Spannen erwischt. Er ist auf einen Balkon einer Frau geklettert und hat sie durch die Fensterscheibe beobachtet. Vor Gericht wird er deswegen später zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die in der Berufung zu einem Jahr Haft abgemildert wird – auf Bewährung. Nun beginnt der Täter endlich eine Therapie, die wirklich helfen soll. Das verspricht er.