Es gibt sie noch, die literarischen Schätze, die erst nach Jahrzehnten gehoben werden. Im französischen Original erschien „Der Schmerz“ im Jahr 1930, das Debüt eines gerade mal 23-Jährigen – André de Richaud. Es wurde mit einigen Geburtsschwierigkeiten und skandalumtost veröffentlicht. Warum? Weil es die Geschichte eines Verrats erzählt. Eine Kriegswitwe lässt sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs in einem provenzalischen Kaff auf eine Affäre mit einem deutschen Kriegsgefangenen ein. Das war in der Zwischenkriegszeit, ein schwerwiegendes Thema. Außerdem ist „Der Schmerz“ ein Roman über weibliche Lust. Auch das empfanden viele als Provokation. Jetzt bringt der Dörlemann-Verlag den Roman erstmals in deutscher Übersetzung heraus. Was ihn wiederum zu einem der besprochenen Bücher in der dritten Folge des Literatur-Podcasts Next Book Please macht. Überdies besprechen Abendblatt-Redakteur Thomas Andre und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz diesmal Alina Bronskys neuen Roman „Der Zopf meiner Großmutter“. In diesem Roman geht es um eine Einwandererfamilie, um russische Kontingentflüchtlinge, zu denen die Autorin Alina Bronsky einst selbst zählte, die 1978 in Jekaterinburg im Ural geboren wurde. „Der Zopf meiner Großmutter“ ist eine literarische Komödie mit ernstem Hintergrund. Es geht um das Ankommen in Deutschland. Der Ich-Erzähler Max ist ein Heranwachsender, der mehr oder weniger staunend beobachtet, was denn in der Welt der Erwachsenen so passiert. Immer an seiner Seite, wohl oder übel, ist die titelgebende Großmutter - eine fulminante, erstaunliche Frau. Der Enkel wird Omahelikopternd überbemuttert, und mitunter nennt sie ihn „Mein Idiot“. Sie ist eine wehrhafte Frau. Aber gegen die Kapriolen ihres untreuen Ehemanns kommt sie am Ende nicht an. Nächste Novität: „Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead. Der Pulitzer- und National-Book-Award-Gewinner wurde vor einiger Zeit mit seinem Roman „Underground Railroad“ auch hierzulande bekannt. Um geknechtete Afroamerikaner geht es auch in dem aktuellen Roman “Die Nickel Boys“. Der reale Skandal um die „Dozier School of Boys“ stand für die Geschichte der fiktiven Nickel Boys Pate. Der Teenager Elwood kommt in eine Besserungsanstalt für delinquente Jugendliche: eine Hölle auf Erden. Die Weißen leiden auch unter dem Gewaltmonopol der Wächter, aber es sind die schwarzen Leben, die nichts wert sind. Sie werden zu Tode geprügelt oder bei Fluchtversuchen erschossen. Es ist das Amerika der Segregation, das hier noch in voller Blüte steht. Elwood wird beinah auch zum Zombie, der nur noch über das Gelände wankt und jedem Willkürakt der Anstaltsgewaltigen aus dem Weg gehen will, bis er einen folgenschweren Entschluss fast. Ein Thriller beinah, hochspannend erzählt, temporeich, akkurat recherchiert. Das vierte und letzte Buch dieser Episode von „Next Book Please“ ist Ian McEwans neuer Bestseller „Maschinen wie ich“. Ein Zeitgeistbuch, es geht um das Großthema „Künstliche Intelligenz“ . Bisweilen wird es essayistisch behandelt, vor allem aber mithilfe einer Dreierbeziehung: zwei Menschen, ein Android. Charlie, ein Slacker und verurteilter Steueranwalt, der Kleinstgewinne mit Aktien macht, kauft sich von einem kleinen Erbe eine der ersten 25 Mensch-Maschinen, „Adam“ hat irgendwann auch Sex (was ihn laut seinem wütenden Besitzer zum „Vibrator auf zwei Beinen“ macht) mit Miranda, Charlies Angebeteter. Ist er ein Mensch und zu Gefühlen fähig? Scheint so. Er schreibt Tausende gefühlige Liebes-Haikus für Miranda, nachdem die ihn abserviert hat. „Maschinen wie ich“ spielt in einer Vergangenheit, die es so nie gab. Im Jahr 1982, in dem England den Falklandkrieg verloren hat, Thatcher zurücktritt und außerdem Alan Turing, der legendäre Computerpionier, noch lebt. Ist diese Idee der alternativen Vergangenheit mehr als eine kuriose historische Tapete? Darüber wird in Next Book Please diskutiert, dem gemeinsamen Podcast von Hamburger Abendblatt und Literaturhaus Hamburg.