Hamburg. Angelika Hillmer und Jan-Eric Lindner lassen sich von einer Expertin erklären, was gutes Fleisch aus Wald und Flur ausmacht.
Man könne zwar auch allein jagen, sagt Gerken-Stamm, die seit 25 Jahren in Hamburg lebt und ihr Jagdrevier bei Tostedt im Landkreis Harburg hat. Große Jagden brächten aber viel mehr Wild zur Strecke: „Allein gehe ich fünf-, sechsmal raus, verbringe jeweils drei, vier Stunden auf dem Ansitz und schieße ein Tier. Bei einer gut vorbereiteten Treib- oder Drückjagd in einem guten Bestand können 30 bis 40 Tiere geschossen werden. Dazu reichen zehn fitte Jäger und fünf Treiber aus.“
Wild sei genug da, aber Wildfleisch nicht immer ausreichend verfügbar, so Gerken-Stamm. „In diesem Winter war es wirklich eng. Wir haben viele Probleme in der Logistik. Wenn jetzt die Wildschweinepest tatsächlich kommen sollte, dann sind die Wildschweine komplett raus. Zu Weihnachten haben wir generell nie genug. Es wäre besser, wenn Wildfleisch das ganze Jahr über gegessen würde, aber im Sommer will es keiner.“ Wildfleisch auf den Grill zu legen traue sich kaum jemand zu, sagt die Finanzbuchhalterin, die im Alter von 20 Jahren ihren Jagdschein gemacht hat. „Da muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden.“
Wildschwein wird am meisten erlegt
Wildbret stammt von Wildschwein, Reh und Hirsch. Das Wildschwein wird am meisten erlegt, gefolgt vom Reh und Hirsch. „Das liegt an den Populationsgrößen“, sagt die Jägerin. „Ein Rothirsch kommt sehr viel seltener vor als ein Reh. Sein Revier muss größer sein, und die Tiere reagieren sensibler auf Störungen. Rehe und Wildschweine sind dagegen Kulturfolger des Menschen. Allerdings liefert ein 140 Kilogramm schwerer Hirsch mehr Fleisch als ein 18 Kilogramm schweres Reh.“ Eine Wildschweinkeule, die zwischen 2,5 und maximal vier Kilo wiegt, verkauft Gerken-Stamm zum Kilopreis von 24 Euro. Eine Rehkeule ist teurer (32 Euro das Kilo, rund 60 Euro pro Keule). Eine Hirschkeule liegt bei 31 Euro pro Kilo (Gewicht: bis zu fünf Kilogramm). Damit liege ihr Fleisch in etwa im Preisbereich von Biofleisch.
Der Rehrücken am Knochen schlägt mit 56 Euro zu Buche. Gerken-Stamm: „Das Reh hat nur einen Rücken. Und bei der Jagd gibt es oft den Blattschuss, also den Schuss in die Schulter. Da kann der Rücken beschädigt sein. Deshalb ist nicht jeder Rücken verwertbar.“ Die meisten Jäger geben sich sehr viel Mühe, das Tier schmerzlos zu töten, sagt sie. „Keiner möchte gern eine Nachsuche nach einem verletzten Tier machen.“ Sie sei sich sicher, dass der Abschuss im Wald gegenüber dem oft langen Transport von Nutztieren in Schlachthöfe der angenehmere Tod sei.
Wildfleisch ist Bio-Fleisch – wenn es aus der Jagd stammt
Wildfleisch ist ohne Antibiotika oder andere Arzneien aufgewachsen, es ist sehr mager und reich an ungesättigten Fettsäuren – vieles spreche dafür, dass es gesünder ist als das Fleisch von Nutztieren, zumindest wenn es kein Bio-Fleisch sei, sagt Gerken-Stamm. „Die guten Omega-3-Fettsäuren bilden sich, ähnlich wie beim Wildlachs, durch viel Bewegung bei der Nahrungssuche. Das Reh ist sehr empfindlich, was die Futterqualität angeht. Es würde immer einen Bogen um mit Pestiziden behandelte Felder machen. Das spiegelt sich in der Fleischqualität wider.“
Sein Geschmack sei sehr aromatisch: „Rehfleisch schmeckt ein bisschen nussig, Hirsch eher pilzig-waldig. Das Schwein schmeckt tatsächlich nach Schwein, billiges Schweinefleisch dagegen eher nach Pappe. Die Aromen kommen durch die Ernährung. Fleisch von älteren Tieren hat einen intensiveren Wildbret-Geschmack.“
Wildfleisch lässt sich nicht gleichförmig produzieren
Wildfleisch sei Vertrauenssache, es lasse sich nicht gleichförmig produzieren. „Um richtig gutes Fleisch zu bekommen, sollten Verbraucher bei einem der – zugegeben wenigen – Wildhändler kaufen. Oder sich an einen Jäger wenden. Bei dem können sie sich notfalls hinterher beschweren, wenn das Fleisch nicht den Erwartungen entsprochen hat“, sagt sie. „Man sollte seinen Augen trauen und die Produkte genau anschauen. Bei gefrorenem Fleisch weiß man jedoch nie so genau, wie es nach dem Auftauen aussieht.“
Jenseits der Supermärkte stamme das Wildfleisch zu 100 Prozent aus der Jagd. Im klassischen Lebensmittelhandel sei dagegen viel Farmwild im Umlauf und müsse entsprechend gekennzeichnet sein. Farmwild sei einfacher zu produzieren und deshalb preiswerter: „Es wird in einem bestimmten Alter geschossen oder geschlachtet und durchläuft eine ähnliche Produktionskette wie Industriefleisch. Die Tiere werden zugefüttert und suchen sich ihre Nahrung nicht selbst. Viel importiertes Farmwildfleisch stammt aus Neuseeland.“
Ungewöhnliche Rezepte mit Wildfleisch
Anna Gerken-Stamm ist Hobbyköchin und gibt ein paar Zubereitungstipps: „Eine Keule kann man schön zwei, drei Stunden schmoren lassen. Ein Reh- oder Hirschrücken lässt sich auch in Scheiben schneiden und wie Steaks zubereiten. Man kann sich auch einen großen Salat oder eine Gemüsepfanne machen und das Fleisch nur als Topping servieren. Ich finde es sehr löblich, wenn das Gemüse und nicht das Fleisch den Vordergrund bildet – weg von den 300 Gramm schweren Fleisch-Portionen, 150 Gramm reichen. Aber ich esse schon gern einen Hirschrücken, rosé gebraten. Nur mit Salz und Pfeffer gewürzt. Oder eine Frischlingskeule. Ihr Fleisch ist ein bisschen marmoriert, mit Fett durchzogen. Am Ende mit Honig bestreichen und noch einmal zehn Minuten Oberhitze geben. Dann glänzt sie sehr schön.“
In ihrem gerade entstehenden Wildkochbuch findet sich auch Überraschendes: Eine Hirschkeule wird klassisch als Braten zubereitet, man kann sie stattdessen aber auch mit einem scharfen Messer entlang der Fleischfaser in Schnitzel schneiden, etwas platt schlagen und panieren – mit Mandelmehl. Und dann wie ein Wiener Schnitzel mit Zitrone servieren. „Die Keule ist nicht so teuer wie der Rücken und schmeckt sehr lecker“, so die Wildfleischverkäuferin. „Ich biete auch Convenience-Produkte an, die liegen im Trend. Meist verkaufe ich sie auf Festivals rund um Hamburg, wenn nicht gerade Corona herrscht.“
Ende Januar beginnen die Schonzeiten
Wildfleisch sei nicht immer in der gewünschten Form verfügbar; das führe schon mal zu Diskussionen und zur Flexibilität am Herd. Ende Januar beginnen die Schonzeiten, sodass einige Monate lang der Nachschub ausbleibt. Gerken-Stamm: „Bis Mitte Februar haben wir noch einen kleinen Überhang, da gibt es noch frisches Wild. Man kann zwar noch Schweine jagen, aber das tue ich nicht in meinem Revier. Dort muss auch mal Ruhe herrschen. Im Mai wird wieder gejagt, dann geht es mit dem Maibock los. Im Juni folgen männliche und weibliche Rothirsche im zweiten Lebensjahr, im Herbst dann wieder alle Tiere. Wildschweine versuchen wir über das ganze Jahr irgendwo zu jagen. Man erlegt immer zu wenige.“