Hamburg. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident über die Kunst guter Reden, die Rivalität mit Hamburg und seine Liebe zum HSV.

Daniel Günther ist einer der beliebtesten Ministerpräsidenten und der wahrscheinlich beste Redner unter den Spitzenpolitikern Deutschlands. In der Abendblatt-Gesprächsreihe „Entscheider treffen Haider“ (hier hören: www.abendblatt.de/entscheider) mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider verrät der Regierungschef Schleswig-Holsteins, was er über Berlin denkt, wieso er die für ihn geschriebenen Reden niemals hält und warum Humor in der Politik wichtig ist.

Daniel Günther sagt …

… über die viel diskutierte Frage, ob er auch Kanzlerkandidat werden könnte:

„Wenn man als junger Mensch in das Amt eines Ministerpräsidenten kommt, wird einem sowieso unterstellt, dass man noch die ganz große Karriere machen will. Kommt hinzu, dass zu dem Zeitpunkt, an dem in Medien über das Thema spekuliert wurde, das Konkurrenzangebot vielleicht nicht so üppig war. Dann gibt es halt solche Debatten, die man aushalten muss. Ich sehe das sehr sportlich, man darf sich davon nicht beirren lassen. Ich weiß, dass ich gerade einmal versuche, den Job als Ministerpräsident ordentlich zu machen, und das ist schon eine riesige Herausforderung. Ich denke an nichts anderes. Ich will nach der laufenden Legislaturperiode wieder als Ministerpräsident kandidieren, deshalb lassen mich Diskussionen über Kanzlerkandidaten extrem kalt. Trotzdem ist es schöner, wenn die Leute sagen, der kann auch Kanzler, als wenn sie dir das nicht zutrauen.“

… über Berlin:

„Ich finde es nicht sehr reizvoll, in Berlin dauerhaft zu leben oder dort Politik zu machen. Ich bin immer sehr froh darüber, wenn ich aus der Hauptstadt zurück nach Schleswig-Holstein fahre. Das liegt aber auch an der Art und Weise, wie in Berlin Politik gemacht wird. Da sind wir in Norddeutschland anders davor, gehen viel respektvoller miteinander um. In Berlin läuft es immer noch nach dem alten Schema: Alles, was die anderen Parteien machen, ist schlecht. Alles, was meine Partei macht, ist richtig. Ich glaube, dass das heutzutage Menschen nicht mehr anspricht. Heute muss man hervorheben, was man selber gut kann, und andere Parteien respektieren. Wenn das in Berlin nicht irgendwann erkannt wird, werden wir einen gewissen Teil an Politikverdrossenheit nicht zurückdrängen können.“

… über die Kommunikationskultur in der bundesdeutschen Politik:

„Wenn bei Koalitionsverhandlungen schon die Journalisten von Indiskretionen genervt sind, dann läuft da etwas grundsätzlich falsch. Wer würde in einer normalen Firma aus vertraulichen Verhandlungen Dinge nach draußen twittern? Niemand. Mich hat das sehr abgeschreckt. Ich wünsche mir, dass künftig viele Menschen in der Politik dazugekommen, die so ein Verhalten ablehnen.

… über das Leben als Ministerpräsident in seiner Heimatstadt Eckernförde:

„Es ist etwas Besonderes, als Ministerpräsident durch meine Heimatstadt zu laufen. Da erkennt mich natürlich wirklich jeder. Und ich kenne so viele Leute persönlich, dass ich keine Chance habe, beim Bäcker unter fünf Gesprächen raus zu kommen. Aber ich mag das. Wenn man Ministerpräsident ist, und es nicht mag, mit Menschen zu sprechen, sollte man schnellstens etwas anderes machen.“

… über einen besonderen Kneipenabend mit Freunden:

Wir waren in einer Kneipe in Eckernförde, eine Band spielte, und einer der Musiker winkte die ganze Zeit zu mir herüber. Mir kam der jetzt gar nicht so bekannt vor, aber ich dachte: Na ja, der hat halt seinen Ministerpräsidenten erkannt. Nach dem Konzert kam er dann auf mich zu und sagte: „Mensch, ich weiß nicht mehr genau, woher ich dich kenne – aber waren wir nicht zusammen auf der Fleischereischule?“ Und ich habe dann geantwortet: „Ne, ich war nicht auf der Fleischereischule, aber ich bin Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, vielleicht kennst du daher mein Gesicht.“ Und er: „Ach ja, das war das.“ Das war wirklich zum Schießen …“

… über rhetorische Fähigkeiten:

„Ich spreche immer frei, um mich selbst zu schützen, weil ich ein denkbar schlechter Redner vom Blatt bin. Das kommt nicht gut rüber. Meine Überzeugung ist sowieso, dass man Menschen, die frei reden, lieber zuhört, das geht mir selbst auch so. Mir macht es dann auch Spaß zu reden. Ich kann mich auf den Vorredner beziehen, das, was ich sage, kommt von Herzen. Dann verzeihen die Leute einem auch mal, wenn eine Formulierung nicht brillant ist. Außerdem ist mir wichtig, nicht zu lange zu reden.“

… über seine Vorbereitung auf eine Rede:

„Meine Redenschreiber schreiben für jeden meiner Auftritte eine Rede. Ich lese mir die Reden zwei-, dreimal durch und mache mir dann auf einem kleinen Zettel Stichworte. Je nachdem, wie gut ich mich fühle, ziehe ich entweder den Zettel aus der Sakkotasche oder rede völlig frei. So ist auch gewährleistet, dass ich nicht immer das Gleiche sage.“

… über Humor in der Politik:

 „Ich baue gern kleine Späße in meine Reden ein. Doch wenn man nur Klamauk macht, einen Kalauer nach dem anderen bringt, und die Leute am Ende eine Ernsthaftigkeit vermissen, ist das auch nicht gut. Man muss bei Auftritten die richtige Balance finden. Ich glaube, dass ich diese Mischung aus etwas Unterhaltung und wichtigen Punkten einigermaßen gut beherrsche. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass man als Politiker seinen Stil erst einmal finden muss. Ich war früher ernster und verbissener, und ich habe auch gedacht, dass man in bestimmten Kreisen nicht locker sein darf. Aber, ganz ehrlich: Egal, wo man redet, die Leute wollen nicht belehrt werden. Die haben den ganzen Tag hart gearbeitet, und wenn sie dann 30 Minuten mit Fakten vollgeballert werden, sind sie genervt.“

… über die Versuchung, Dinge zu sagen, die man vielleicht lieber nicht sagen sollte:

„Ich lege mir im Vorfeld einer Rede häufiger Formulierungen zurecht, von denen ich denke: Wenn du das jetzt raus haust, könnte eine Grenze überschritten sein. Meistens haue ich die Sachen dann trotzdem raus, und ich habe selten danach gedacht: Hättest du das mal lieber nicht gesagt… Da habe ich ein ganz gutes Gespür, was man dem Publikum zumuten darf, und wann man mal lieber die Klappe hält. In Hamburg gibt es übrigens bestimmte Grenzen, die man als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins nicht überschreiten darf: Ich habe mich mal darüber lustig gemacht, dass man als Gast im Rathaus immer die ganze Treppe hochlaufen muss, völlig abgehetzt oben ankommt, und der Hamburger Bürgermeister begrüßt einen wie aus dem Ei gepellt. Danach haben mich einige zur Seite genommen und gesagt: Das macht man wirklich nicht in Hamburg.“

… über Sticheleien zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein.

„Ich sage gern, dass ich mich sehr über das faire Miteinander zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein freue. Wir begegnen uns immer auf Augenhöhe, und das, obwohl Schleswig-Holstein ja viel größer ist. Und ja, ich freue mich, wenn Holstein Kiel gegen den HSV gewinnt, muss aber auch zugeben, dass ich lange eine Dauerkarte für den HSV hatte und zu jedem Heimspiel gegangen bin. Ich wünsche mir ausdrücklich, dass der HSV in die erste Liga aufsteigt.

… über Robert Habeck, seinen ehemaligen Umweltminister:

„Er fehlt mir, weil er einen Politikstil hat, den ich mag. Er ist selbstreflektiert, nicht ideologisch, sondern macht Politik aus Überzeugung. Deshalb hat es Spaß gemacht, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich muss jetzt aufpassen, dass nicht der Eindruck entsteht, ich würde mit seinem Nachfolger nicht gern zusammenarbeiten, das Gegenteil ist richtig. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass Robert Habeck nicht auf die Bundesebene abzieht.“

… über einen (möglichen?) grünen Bundeskanzler:

„In der Politik ist alles vorstellbar. Aber was vorstellbar ist, ist ja noch lange nicht wünschenswert. Manches an dem Hype der Grünen wird sich vor der nächsten Wahl wieder relativieren.“

… über die andere, die härtere Seite des Daniel Günther:

„Natürlich gibt es die. Als Ministerpräsident muss man klare und verlässliche Entscheidungen treffen. Man muss sich das aber nicht so vorstellen, dass es zwei Daniel Günther gibt: Auf der einen Seite den lockeren, lustigen, der in der Welt unterwegs ist, und auf der anderen Seite den, der mit ernstem Gesicht am Schreibtisch sitzt und harte Entscheidungen trifft. Ich bin intern gar nicht so anders als extern. Ich vertrete immer klare Positionen, und ich bringe auch eine gewisse Härte und Konsequenz mit.

… über Menschen in seinem direkten Umfeld:

„Du musst gerade als Ministerpräsident in deinem Umfeld ein Klima schaffen, in dem Menschen keine Angst haben, dir auch unangenehme Dinge direkt ins Gesicht zu sagen. Natürlich hinter verschlossener Tür. Ich muss immer allen um mich herum klar machen, dass es keine Majestätsbeleidigung ist, wenn man mich kritisiert. Wenn man das in seinem engsten Umfeld nicht hin bekommt, ist man in der Politik verloren.“

… über die Schwierigkeit, sich als junger Ministerpräsident  durchzusetzen:

„Das ist nicht schwer, weil einem das Amt ein so großes Gewicht verleiht. Selbst gute Freunde, die ich lange kenne, gehen auf einmal mit mir anders um, das bleibt nicht aus. Ich bin ja 43 Jahre meines Lebens nicht Ministerpräsident gewesen, und deshalb kenne ich dieses Gefühl: Ich war doch früher auch stolz, wenn ich dem Ministerpräsidenten begegnet bin und dass ich für Peter-Harry Carstensen gearbeitet habe. Das hat eine Bedeutung für die Menschen, und zwar immer. Da muss ich schon einen sehr intimen Freundschaftskreis finden, dass das Amt gar keine Rolle spielt. Das muss man einfach wissen, und man muss auch wissen, dass man nicht mehr so über die Stränge schlagen kann.

… über winzige Fehler, die das Ende der Karriere sein könnten:

„Ich bin mir dessen bewusst, glaube aber, dass man sich als Politiker auch ein stückweit davon freimachen muss. Es geht doch nicht, dass ich, wenn man mir ein Gastgeschenk in die Hand drückt, jedes Mal sage: Das kann ich leider nicht annehme. Das ist doch respektlos. Kein Mensch denkt doch, dass ein Politiker eine Entscheidung zugunsten eines anderen treffen würde, nur weil der ihm eine Flasche Rotwein überreicht hat.“

… über die Neun-Uhr-Regel:

„Vor neun Uhr mache ich normalerweise keine Termine. Da nehme ich mir Zeit für meine Familie. Meine Meinung ist: Vor neun Uhr will den Ministerpräsidenten keiner sehen.“