Hamburg. Symptome und neue Behandlung: Chefarzt klärt über Warnsignale auf. Notfall-Therapie hat sich mit Hirn-Katheter enorm verbessert.

Schlagartig fehlen einem die Worte, man kann nicht mehr sprechen, der Arm kribbelt – doch nach ein paar Minuten scheint alles wieder in Ordnung. „Das macht den Schlaganfall im Vergleich zu einem Herzinfarkt so tückisch“, sagt Privatdozent Dr. Jürgen Eggers. „Ein Herzinfarkt tut richtig, richtig weh. Da spürt wirklich jeder Laie unmittelbar, dass jetzt Todesgefahr besteht. Beim Schlaganfall aber bessern sich die Symptome oft wieder, verschwinden vielleicht sogar ganz“, so der Chefarzt der Abteilung für Neurologie an der Asklepios Klinik St. Georg.

Doch der größte Fehler sei es, dann erst einmal abzuwarten. „Beim Schlaganfall zählt nämlich wirklich jede Minute. Deshalb gilt: Bei ersten Ausfallsymptomen, wenn also etwas nicht wie gewohnt funktioniert, bitte umgehend die 112 wählen und ab ins Krankenhaus“, appelliert der Experte, der zur Schlaganfallbehandlung seine Habilitationsschrift verfasst hat, in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem erfolgreichen Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

Schlaganfall: Schnelle Behandlung kann bleibende Schäden verhindern

Je schneller ein Patient ins Krankenhaus, bestenfalls in ein Schlaganfallzentrum wie in St. Georg, eingeliefert werde, desto besser stünden die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung. „Es ist einfach so, wie es im angelsächsischen Raum so treffend heißt: Time is brain. Nur wenn wir einen Apoplex, wie Mediziner den Schlaganfall nennen, schnell behandeln, können wir verhindern, dass das Gehirn Schaden nimmt“, so der gebürtige Eutiner, der in Gießen, Freiburg und Hamburg Medizin studiert hat und an den Unikliniken von Rostock und Lübeck zum Neurologen ausgebildet wurde.

Doch wie finden die behandelnden Ärzte heraus, wann die ersten Symptome eingesetzt haben, falls sich der Patient schlaganfallbedingt gar nicht mehr äußern kann? „Da sind wir tatsächlich stark auf die Hilfe der Angehörigen angewiesen, die hoffentlich etwas beobachtet haben“, sagt der Chefarzt, der seit April die Neurologie in St. Georg leitet und vorher mehrere Jahre in leitender Funktion in Lübeck tätig war.

Bei rund einem Viertel der Patienten aber habe man es mit einem „unklaren Zeitfenster“ zu tun. „Es gibt Patienten, die gehen um 22 Uhr ins Bett und wachen mit einem Schlaganfall auf.“ Früher hätte man in einem solchen Fall gesagt: Zu spät, da kann man wohl nichts mehr machen. Diese Annahme sei jedoch falsch, Studien hätten gezeigt, dass ein Schlaganfall im Schlaf sich meist kurz vor dem Aufwachen ereigne. „Die Notfalltherapie hat sich unglaublich entwickelt, die Medizin gerade in der Schlaganfallbehandlung enorme Fortschritte gemacht“, sagt der Mediziner, der mit seiner Frau, die ebenfalls in Vollzeit als Ärztin arbeitet und die Notaufnahmen in St. Georg und Harburg leitet, und zwei Töchtern in Hoheluft wohnt.

Notfall-Hirn-Katheter löst Verschlüsse auf

„Als junger Arzt hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass jemand schwer gelähmt in die Klinik kommt und am nächsten Morgen schon wieder munter am Frühstückstisch sitzt, so, wie es heute oft vorkommt.“ Möglich macht dies heutzutage ein sogenannter Notfall-Hirn-Katheter, mit dessen Hilfe auch schwerste Verschlüsse, die mit der Standardtherapie, der sogenannten Thrombolyse, nicht behandelbar sind, aufgelöst werden können. Dabei wird ein ganz feiner Draht über einen Katheter von der Leistenarterie bis in die Hirnarterie gezogen. Mit einem speziellen Drahtgeflecht wird das Gerinnsel aus dem Gefäß herausgezogen. „Einen solchen Entwicklungssprung in der Therapie erlebt man nur selten“, sagt der Experte.

Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen Patienten, die beim Schlaganfall eine Hirnblutung (etwa 15 Prozent der Fälle) erleiden, und der großen Mehrheit, die mit einem Hirninfarkt kommt. „Der Unterschied liegt darin, dass in dem einen Fall zu viel Blut da ist, also die Blutungsquelle verstopft werden muss, während bei den weitaus meisten Patienten eine Verstopfung das Problem ist.“ Der Schlaganfall zähle zu den Erkrankungen des Alters, 75 Prozent der Patienten seien älter als 65 Jahre. „Aber es gibt auch die 25-Jährige, die mit typischen Symptomen eingeliefert wird oder den 40 Jahre alten Bürokaufmann, der am Schreibtisch einen Schlaganfall bekommt.“

Zu wenig Bewegung erhöht das Risiko eines Schlaganfalls

Rauchen, erhöhter Blutdruck, Diabetes und zu wenig Sport erhöhen das Risiko deutlich. „Bewegung ist die beste Medizin“, sagt der leidenschaftliche Volleyballer, der in seiner Freizeit gern ins Fitnessstudio geht. Auch Patienten mit Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern sollten sich behandeln lassen. „Da muss man sehen, dass ein Blutverdünner eingenommen wird, damit das Risiko eines Schlaganfalls gesenkt wird.“ Grundsätzlich sei es angeraten, auf gesunde Ernährung zu achten. „Kost wie am Mittelmeer wird empfohlen, also Olivenöl, Fisch, viel Gemüse.“

Doch was, wenn einen der Schlag getroffen hat? Wie wahrscheinlich sind Folgeschäden? „Ein Viertel geht gesund wieder nach Hause, ein Viertel ist schwer getroffen, und die andere Hälfte leidet an Defiziten wie Sprachstörungen, die oft aber zum Glück gut behandelbar sind“, sagt Neurologe, für den sein Fachbereich viel mit „Detektivarbeit“ zu tun hat: „Es ist kniffelig, aber man kann sehr erfolgreich sein.“

Digitale Sprechstunde

„Digitale Sprechstunde“ ist die erfolgreiche Gesundheits-Gesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Seit mehr als einem Jahr erklärt jede Woche ein Experte im Gespräch mit Vanessa Seifert ein Krankheitsbild, informiert über Vorsorge und Therapie.

Die aktuelle Folge und alle bisherigen Episoden hören Sie kostenfrei auf www.abendblatt.de/digitale-sprechstunde/. In der nächsten Folge am kommenden Donnerstag geht es um Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.