Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: ein Werk von Philipp Otto Runge.
Ein christliches Motiv wie das des Bildes „Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ passt natürlich gut in die Vorweihnachtszeit. Es entstand zwischen 1805 und 1806 und war als Altarbild für die Marienkirche in Greifswald gedacht. Die Flucht nach Ägypten ist im Matthäus-Evangelium (2, 13) beschrieben – die anderen Evangelien erwähnen sie nicht – und soll als Beispiel für die schützende Hand Gottes dienen. Die heilige Familie ist auf der Flucht, weil König Herodes angedroht hatte, alle kleinen Jungen töten zu lassen.
Über den Flüchtling Jesus gab es in der Antike einen theologischen Disput zwischen Juden und Christen. Die Juden vertraten die Meinung: Wenn Jesus Gottes Sohn sei, müsste er kein Flüchtling sein, weil Gott ihn ja schütze. Die Christen hielten dagegen: Jesus ist Mensch geworden, als solcher gefährdet und muss deshalb von Menschen gerettet werden.
Runge und Johann Wolfgang von Goethe wurden Freunde
Über sein Bild schrieb Runge an Johann Wolfgang von Goethe: „Maria und Joseph haben mit dem Kinde am Abhang eines Berges die Nacht ausgeruht, der erste Sonnenstrahl fällt über die Gruppe und das Kind langt mit der Hand hinein. Im Tal liegt noch der Schatten, und auf den obersten Spitzen spielt das Licht nur. Ein großer Tulpenbaum breitet sich darüber aus, und drei Engel musizieren dem Licht entgegen. Joseph und der Esel sind im Schatten. Er schlägt das Feuer aus, das in der Nacht gebrannt hat.“
Runge und Goethe kannten sich, weil der Maler an einem Preisausschreiben teilgenommen hatte, das der Dichterfürst initiiert hatte. Die eingereichte Zeichnung „Achill und Skamandros“ lehnte Goethe zwar ab, aber er förderte den in Wollgast geborenen Künstler. Sie wurden Freunde, hatten aber unterschiedliche Ansichten über die Romantik.
Meistens malte Runge Marias Mantel in Blau
Runge gilt neben Caspar David Friedrich als einer der bedeutendsten Maler der Romantik, obwohl er nur 33 Jahre alt geworden ist und 1810 an den Folgen einer Tuberkulose starb. Begraben ist er in Ohlsdorf. Er war ein vielseitig interessierter Künstler, begeisterte sich für eine Erneuerung der Religion, fertigte Scherenschnitte an und entwickelte eine Farbenlehre in Kugelform. Neben der Landschaftsmalerei konzentrierte er sich vor allem auf Porträts. Als bedeutend gilt auch sein Zyklus „Tageszeiten“, der vor dem Hintergrund geschichts- und kunstphilosophischer Gedanken entstand.
Runge stellte einen Katalog von zehn Anforderungen an ein Kunstwerk auf. Die wichtigsten sind: Ahnung von Gott, Kolorit, Farbton. Bemerkenswert an der Farbgestaltung des Bildes ist der Mantel Marias, den er in Rot gemalt hat. Auf Bildern mit vergleichbaren Motiven ist Marias Mantel fast immer blau – es galt als die schwerer zu beschaffende und daher deutlich kostbarere Farbe. Runge hatte schon 1799/1800 ein frühes Ölbild mit diesem Motiv gemalt. Im Kupferstichkabinett der Kunsthalle befinden sich zwei Zeichnungen, die als Vorstudien zum Ölbild gelten.
Dieses und weitere Gemälde finden Sie hier in der Online-Sammlung der Hamburger Kunsthalle