Hamburg. Volker Lechtenbrink spricht im Abendblatt-Podcast über die Gefahren der Gegenwart und die Wiedereröffnung der Theater.
Wenn man älter ist, geht man mit Krisen gelassener um, glaubt Volker Lechtenbrink. Noch nie allerdings habe er eine so eine lange Zeit ohne einen einzigen Auftritt überbrücken müssen, „nicht mal als Kind“. Der Hamburger Schauspieler ist an diesem Wochenende zu Gast im Abendblatt-Theaterpodcast „Saisonstart“, gemeinsam mit Ulrich Waller, Intendant am St. Pauli Theater, wo Lechtenbrink schon bald mit Eva Mattes auf der Bühne stehen wird.
In der kommenden Woche nämlich startet nun auch das St. Pauli Theater in die neue Hamburger Spielzeit, eine Saison, die nach fast einem halben Jahr pandemiebedingter Schließung eine Herausforderung ist und sein wird – für alle Theatermacher und nicht zuletzt auch für einen großen Teil des Publikums. Mental, emotional, logistisch, künstlerisch.
Und finanziell: „Auf einen Schlag“ habe er durch die Absagen der Vorstellungen eine Million Euro verloren, erzählt Waller freimütig, „wir hängen jetzt alle am Tropf der Stadt.“ Theater für 160 Zuschauer sei ökonomisch nicht sinnvoll. „Wir machen das, weil die Stadt uns darum gebeten hat, dass wir spielen sollen, auch unter diesen Bedingungen.“
Volles Theater ohne Abstand, aber mit Maskenpflicht?
Als eine „absolut dramatische Zeit“ habe er die vergangenen Monate empfunden, vor allem von der Bundesregierung hätte Ulrich Waller sich eine nachdrücklichere Wahrnehmung der Kultur gewünscht. Das Gefühl „eingebrannt“ zu bekommen, „dass man für dieses System nicht wichtig ist“, das hat Waller verletzt. „Plötzlich verschwindet dein Beruf. Wenn wir in Hamburg nicht so eine Ausnahme gehabt hätten in Form der Kulturbehörde und des Kultursenators, wären wir gnadenlos hinten runter gekippt.“
Nun muss auch er zusehen, dass wieder Leben in sein Haus einzieht, auf der Bühne – aber auch davor: „Ich weiß nicht, was wir tun können, um diese Angst zu überwinden. Wenn Kultur und Theater überleben sollen, dann muss das Publikum uns helfen. Es muss so neugierig sein und kommen!“
Waller geht sogar noch weiter, er plädiert für einen voll besetzten Zuschauerraum, ohne den bisher geltenden Abstand, aber mit einer Maskenpflicht für das gesamte Publikum, auch während der Vorstellung. „Wir werden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben.“
- Joachim Lux: Wir haben die Lizenz zum Scheitern ausgegeben
- Corny Littmann: Tivoli spielte als Bühne wieder vor Publikum
Was Lechtenbrink an den Rechten besonders schlimm findet
„Das schönste Theater ist ein volles Theater“, zitiert Waller den Regisseur Jürgen Flimm, der ursprünglich im März bei ihm Premiere feiern wollte und dessen „Gefährliche Liebschaften“ auf noch unbestimmte Zeit verschoben ist. Ein volles Theater als Sehnsuchtsort: „Da müssen wir auch wieder hin.“
Volker Lechtenbrink, der den Virologen Christian Drosten im Übrigen als einen „tollen Typen“ beschreibt, widerspricht nicht. Die entscheidende Gefahr der Gegenwart sieht er allerdings in der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und vor allem im Erstarken der extremen Rechten: Das Schlimmste sei, so formuliert es Lechtenbrink unmissverständlich, dass „dieses ganze Gesocks aus dem Dunkeln kommt. Das müssen wir in den Griff bekommen. Das ist mindestens so wichtig wie unsere Gesundheit.“
Niemand dürfe sich mit Rechtsextremisten gemein machen, indem er auf eine Demo gehe, „von der ich weiß, dass sich alle Rechtsextremisten dieses Landes da versammeln werden – dann gehe ich nicht auf diese Demonstration! Ich meide doch die Nähe dieser Rechtsextremen, da gibt es keine Entschuldigung. Da kann man nicht sagen, die mischen sich da mit rein. Das verniedlicht das Ganze.“
Corona: Lechtenbrink wünscht sich Änderungen
Auch er sei, bei aller Kritik an manchen Maßnahmen, „nicht auf der Seite der Coronaleugner“, stellt Waller klar. Dass dieses Virus gefährlich sei, wolle er nicht abstreiten: „Ich bin Arztkind, ich weiß, was das bedeutet.“ Dennoch wünsche er sich „andere Formen des Krisenmanagements“. An seinem Computer hängt ein Satz der Nobelpreisträgerin Marie Curie: „Man braucht vor nichts im Leben Angst zu haben, man muss nur alles verstehen.“
Selbst Zuschauer zu sein haben sich beide schon getraut. Während Volker Lechtenbrink („Lampenfieber wird immer schlimmer“) noch ein bisschen zögerlich im Magazin-Kino war, hat Ulrich Waller eine Tanzproduktion beim Sommerfestival auf Kampnagel besucht – und den ersten Applaus nach langer Durststrecke genossen: „Ich war wie ein kleines Kind, ich hab mich so gefreut, dass das wieder geht und dass da Leute sitzen, die das wirklich machen.“
Prominente Namen im St. Pauli Theater
Auch am St. Pauli Theater soll nun also wieder Applaus zu hören sein, zum Auftakt mit einer hochkarätig besetzten Gala am 10. September, auf die große Namen folgen: Ulrich Tukur und Christian Redl, Ben Becker, Johann von Bülow und Barbara Auer – und natürlich Eva Mattes und Volker Lechtenbrink („Love Letters“ feiert am 3. Oktober Premiere).
Der größte Hit, den Volker Lechtenbrink im Laufe seines Lebens hatte, war übrigens ein Schlager, den er geschrieben, bei dem er als Interpret aber gar nicht im Vordergrund gestanden hatte, der Titel passt in die Zeit: „Rücksicht“. Die Frage nach der Rücksicht des Schauspielers sich selbst gegenüber beantwortet er im Podcast entschieden: „Wenn man’s dann macht, dann macht man’s wie immer: bis zur Erschöpfung.“