Hamburg. Leitende Ärztin der Notaufnahme im AK Altona spricht das Risiko, nach Spanien, Italien oder Frankreich zu reisen und gibt Tipps.

Das „Juhu“ klingt gedämpfter als in der Zeitrechnung vor dem Coronavirus. Zwar haben in Hamburg die Sommerferien begonnen, aber die einst damit verbundene Euphorie, die sich mit Schulschluss oder dem Herunterfahren des Computers am letzten Arbeitstag vor dem Urlaub fast automatisch einstellte, die ist in diesem Sommer ausgebremst von einer weltweiten Pandemie.

Flog man „vor Corona“ wie selbstverständlich nach Mallorca oder Miami, stellt sich in diesem Jahr die Frage, ob es eigentlich auch noch sehr kurzfristig freie Hotelzimmer an Nord- und Ostsee oder an den Seen in Bayern gibt.

Urlaub im Ausland? Reisewarnung wegen Corona für mehr als 60 Länder

Für mehr als 160 Länder besteht noch bis Ende August wegen des Coronavirus eine Reisewarnung der Bundesregierung, aber Urlaub auf den Kanaren, in der Toskana oder in der Provence ist wieder möglich. Doch wie entspannt kann es sein, die „schönste Zeit des Jahres“ in Ländern zu verbringen, die wie Spanien, Italien oder auch das Nachbarland Frankreich von der Pandemie sehr hart getroffen waren und Tausende Todesopfer zu beklagen hatten?

Wie ist die Situation in den Krankenhäusern vor Ort, in denen Ärzte monatelang Tag und Nacht um das Leben vieler Patienten kämpften? Sind sie bereit für einen möglichen weiteren Ansturm? Was tun, wenn man im Urlaub – ob nun im In- oder Ausland – typische Covid-19-Symptome verspürt?

Dr. Groth gibt Tipps für den Urlaub in Zeiten des Coronavirus

Darüber spricht Dr. Gabriele Groth, Leitende Ärztin in der Zentralen Notaufnahme der Asklepios Klinik Altona, in einer Spezial-Folge der Digitalen Sprechstunde, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Und auch für jene, die den Urlaub in Deutschland verbringen, und für alle, die ihre Corona-Kilos wieder loswerden wollen, hat die Internistin, Kardiologin und Notfallmedizinerin , die Mitte der 80er-Jahre auch in der Infektiologie gearbeitet hat, Tipps.

  • ...über das Risiko, nach Spanien, Italien oder Frankreich zu reisen

„Ich bin keine Virologin, insofern ist das mehr eine persönliche als eine fachliche Einschätzung, aber ich sehe da schon noch ein gewisses Risiko. Denn es ist ja nicht vorhersehbar, ob es wirklich gelingt, alle nötigen Hygienevorschriften und Abstandsregelungen auch beispielsweise am Strand konsequent umzusetzen. Ich gehe schon davon aus, dass die Zuständigen vor Ort alles daran setzen werden und ich sehe auch, dass Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, aber was, wenn die Zahl der Infektionen wieder steigt? Könnten die Krankenhäuser einen erneuten Ausbruch nach der Belastung der vergangenen Monate auffangen? Grundsätzlich gilt natürlich im Ausland, was auch hierzulande zu beachten ist: Massenaufläufe meiden und den Mund-Nasen-Schutz tragen, wenn es die Situation erfordert. Persönlich finde ich es schwierig, Länder, die so viel Leid erleben mussten, jetzt mit unbeschwerten Sommerferien zu verbinden.“

  • ...was ärztliche Kollegen aus dem Ausland berichten

„Was ein sehr guter Freund aus den USA erzählt hat, ist extrem. Das zeigt sich ja auch in der Zahl der Todesopfer. Auch zu italienischen Kollegen hatte ich Kontakt. Die waren teils rund um die Uhr im Einsatz, eine absolute Ausnahmesituation. Die psychische Dimension dieser Belastung, die zeigt sich bei vielen aber erst jetzt. In den stark betroffenen Regionen kannte ja jeder mindestens einen, der auf einer Intensivstation beatmet werden musste, der Covid-19 womöglich nicht überlebt hat. Diese Schilderungen hatten schon Einfluss auf meine Urlaubsplanung, das gebe ich zu. Mein Mann und ich fahren auf den Darß. Zum ersten Mal. Von dort aus ist man mit dem Auto schnell wieder zu Hause.“

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  • ...wenn man im Urlaub Covid-19-Symptome entwickelt

„Da gilt im Ausland wie im Inland: Ruhe halten, Fieber senken und schnellstmöglich einen Arzt aufsuchen, der einen Test machen kann. Die anderen Familienmitglieder sollte man bestmöglich schützen, in dem man einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Grundsätzlich muss ich im Fall eines positiven Tests überlegen, wie ich wieder nach Hause komme. Fliegen und Bahnfahren sind natürlich tabu, um andere Menschen nicht anzustecken. Es geht nur im geschlossenen System der Kernfamilie mit dem eigenen Auto.“

  • ...ob man den Schweden-Urlaub antreten sollte

„Das sollte man sich genau überlegen und sich vorab im Detail über die Regeln informieren, die je nach Bundesland nach der Rückkehr gelten. Schweden ist ein tolles Land mit fantastischer Natur, das für seinen eigenen Weg im Umgang mit der Pandemie zunächst viel Lob erhalten hat. Allerdings sieht man jetzt, wie die Infektionszahlen steigen. Man darf nicht ausblenden, dass mit einem liberalen Ansatz die Sterblichkeit höher ausfallen kann als in einem Land, das auf einen Lockdown gesetzt hat.“

  • …was in diesem Sommer in die Reiseapotheke gehört

„Desinfektionsmittel in allen Variationen, gern auch als Tücher, die man griffbereit hat. Grundsätzlich und unabhängig von Corona sollte man Pflaster, einen kleinen Verband, eine Schmerzsalbe und auch Kopfschmerztabletten dabei haben. Paracetamol schadet auch nicht, bei Kindern in Form von Fiebersaft. Und bitte an Sonnencreme denken! Sie glauben nicht, wie viele Patienten jeden Sommer nach einem Seetag in die Notaufnahme kommen mit stark geröteter Haut. Sie denken, sie hätten eine Sonnenallergie. Meistens haben sie sich schlicht nicht geschützt. Ich sehe auch immer wieder Kinder mit Verbrennungen bis hin zum Blasenwurf, das ist entsetzlich.“

  • ...über die Kritik eines Kollegen, dass Kinder unter drei Jahren  nicht an den Strand gehören

„Na ja, kleine Kinder sollten UV-Kleidung tragen, mindestens aber ein Shirt und vor allem einen Sonnenhut. Die Haut vergisst eben nicht. Die Verbrennungen verfolgen einen bis ins hohe Alter. Gerade der Wind an Nord- und Ostsee wird gern unterschätzt, auch die Reflexion im Wasser. Aber auch beim Wandern in den Bergen hat die Sonne eine enorme Kraft.“

  • ...lieber drinnen Yoga oder draußen joggen?

„Beim Sport im Freien, also beispielsweise beim Radwandern, muss man keinen Mundschutz tragen, sobald Sie auf einer Hütte einkehren aber natürlich schon. Grundsätzlich würde ich dazu raten, jeden Sport, der im Freien möglich ist, auch draußen auszuüben. Das ist sicherer als der Yogakursus im geschlossenen Fitnessraum des Hotels.“

  • ...über den richtigen Impfschutz

„Da Fernreisen in diesem Sommer weitestgehend ausfallen, gibt es weniger zu beachten. Zecken sind beim Aktivurlaub in Deutschland aber ein wichtiges Thema, gerade in Bayern sind sogenannte FSME-Risikogebiete ausgewiesen, aber auch das Emsland gehört seit 2019 als erste Region Norddeutschlands dazu. Eine Impfung ist ratsam – vielleicht sogar noch für den bevorstehenden Urlaub. Denn es gilt: Besser spät als gar nicht!“

  • ...die Gefahr durch Zeckenbisse

„Es ist tückisch, dass man den Biss oft gar nicht spürt, die Zecke selbst vielleicht abfällt. Aber die Folgen einer Borreliose können schwer sein. Deshalb rate ich schon bei einem Verdacht und einer Hautrötung dazu, von einem Arzt abklären zu lassen, ob man sich infiziert hat.“

  • ...über den Kampf gegen die Corona-Kilos und „gesunden“ Sport

„Man sieht so viele Jogger wie nie. Allerdings rate ich immer dazu, sich selbst zu fragen: Wann habe ich zuletzt Sport gemacht? Habe ich die richtigen Schuhe? Gerade in der Notaufnahme sehen wir regelmäßig alle denkbaren Verletzungen der Zehen, der Füße, der Sprunggelenke. Als Kardiologin rate ich dazu, langsam zu beginnen, mit Walking oder Intervalltraining. Das Beste fürs Herz ist Ausdauertraining, Fahrradfahren zum Beispiel. Aber nicht als Hochleistungssport, sonder eben als Ausdauereinheit. Aber bitte das Trinken nicht vergessen! Auch ein Rudergerät ist eine gute Anschaffung, um die Fitness zu steigern. In diesen heißen Tagen werden oft Patienten mit Herz-Kreislauf-Problemen eingeliefert, die dehydriert sind, was sich mit Symptomen wie Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen äußert. Aber auch beim Rudern oder Segeln auf der Alster kann man sich verletzen, häufig sehen wir Patienten, die sich Finger gequetscht haben oder nach einem Sturz ins Wasser unter Schock stehen. Oft ist es einfach eine gute Idee, unter Anleitung Sport zu treiben.“

  • ...die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle der Pandemie

„Viele Mediziner befürchten eine solche zweite Welle, gleichzeitig hoffen wir natürlich, dass sie ausbleibt. Dringend rate ich dazu, sich im Herbst gegen Influenza impfen zu lasen. Denn für den Körper könnte es fatal sein, wenn er beide Erkrankungen, also Grippe und Covid-19 durchmachen müsste. Ich will keine Angst schüren, aber ich habe auch hier in Hamburg Patienten mit schweren Verläufen gesehen. In Altona lag ein 19-jähriger, bis dato völlig gesunder junger Mann auf der Intensivstation. Es stimmt nicht, dass das Virus nur Ältere mit Vorerkrankungen schwer getroffen hat. Insofern ist ein bisschen Sorge eine gute Vorsichtsmaßnahme, um nicht zu leichtsinnig zu werden. Das Virus ist nicht besiegt.“