Hamburg. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider im Podcast mit dem scheidenden Chefsprecher. Jan Hofer über Judith Rakers, Privates und Wikipedia.

Nach 36 Jahren nimmt Jan Hofer Abschied von der „Tagesschau“: Am 14. Dezember  verliest er zum letzten Mal die Nachrichten. Vorher war er in unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ zu Gast. Mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider sprach Hofer über ein komplett öffentliches Leben, wie er Talente entdeckt, warum er doch nicht in Verona Pooth verliebt ist –  und was er ab dem 15. Dezember plant.

Das sagt Jan Hofer über…

…seine letzte „Tagesschau“ am 14. Dezember:

„Es wird eine ganz normale ,Tagesschau’ sein, am Ende werde ich ein paar persönliche Worte sagen. Bei den Abschieden meiner Vorgänger, etwa bei Dagmar Berghoff und Jo Brauner, sind dann alle Kolleginnen und Kollegen ins Studio gekommen. Wie das bei mir sein wird, gerade unter Corona-Bedingungen, kann ich nicht sagen.“

…seinen größten Förderer Dieter Thomas Heck:

„Dieter Thomas Heck hat mich unter seine Fittiche genommen, als ich als ganz junger Redakteur und Moderator beim Saarländischen Rundfunk gearbeitet habe. Ich habe später seine Radiosendungen übernommen, und Dieter Thomas Heck hat mir dabei unglaublich geholfen. Wenn der jemanden gemocht hat, dann hat man alles von ihm gekriegt, das war wirklich toll. Dieter wäre übrigens nie ein guter ,Tagesschau’-Sprecher geworden, dafür war er viel zu emotional.“

…die Vorbereitung auf eine Sendung:

„Mein Arbeitsalltag sieht so aus, dass ich in der Redaktion zunächst einmal die von den Kollegen vorbereiteten Texte lese und gegebenenfalls Änderungsvorschläge für Formulierungen mache. Außerdem muss ich auf grammatikalische oder andere Fehler achten, die ja in der Sendung auf mich zurückfallen würden. Ich versuche immer so rechtzeitig im Studio zu sein, dass ich die komplette Sendung laut durchgehen kann. Sie glauben nicht, wie viele Fehler Sie beim Vorlesen noch entdecken.“

Goldene Bild der Frau 2019
Goldene Bild der Frau 2019 © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

…die Frage, woher man weiß, wie man schwierige Wörter ausspricht:

„Es gibt bei uns eine wunderbare Institution, die Aussprachedatenbank. Die wird in Frankfurt vom Hessischen Rundfunk in Zusammenarbeit mit der Duden-Redaktion gepflegt. Die rufen zum Beispiel bei Korrespondenten in den verschiedenen Ländern an, um zu fragen, wie man den Namen dieses oder jenes Politikers korrekt ausspricht.“

…die Fähigkeiten eines „Tagesschau“-Sprechers:

„Ich frage mich seit 36 Jahren, was eigentlich jemand ausmacht, der vor der Kamera präsent ist. Es gibt Menschen, die sehen klasse aus, die haben eine tolle Aussprache, aber die wirken auf dem Bildschirm überhaupt nicht. Und dann gibt es andere, bei denen das genau anders herum ist. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Was für alle „Tagesschau“-Sprecher gilt: Sie dürfen nicht zu emotional sein, man darf ihnen niemals anmerken, dass ihnen eine Nachricht nahegeht.“

…die Auswahl der „Tagesschau“-Sprecher:

„Die meisten habe ich in den vergangenen Jahren ausgesucht. Nehmen wir das Beispiel Judith Rakers. Die habe ich mal im „Hamburg-Journal“ gesehen und dachte: die hat was. Dann habe ich sie zu mir nach Hause eingeladen, weil ich nicht wollte, dass das im Sender publik wurde. Sie hat bestimmt gedacht: ,Was will denn der Hofer von mir?’ Es ist immer wichtig, dass man mit den Menschen, die man in die ,Tagesschau’-Mannschaft aufnimmt, darüber spricht, was das heißt. Sie können sich oft nicht vorstellen, was das für ihr Leben bedeutet. Von dem Moment an, an dem sie die ,Tagesschau’ sprechen, sind sie kein privater Mensch mehr. Das muss man wissen und das muss man wollen.“

Jan Hofer im Abendblatt-Podcaststudio
Jan Hofer im Abendblatt-Podcaststudio © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

 …das Leben als „Tagesschau“-Sprecher:

„Zunächst einmal unterliegen Sie einer großen, öffentlichen sozialen Kontrolle. Man muss sich allein bei dem, was man an Post bekommt, ein breites Kreuz zulegen, weil bei 14 Millionen Zuschauern eben nicht jeder nett ist. Die Reaktionen nicht persönlich zu nehmen, ist nicht einfach. Ich habe früher schlaflose Nächte deswegen gehabt. Man muss außerdem begreifen, dass man nie als eigenständige Person, sondern immer als Vertreter des Systems gesehen wird. Wenn jemand die ARD oder die ,Tagesschau’ ablehnt, wird er auch dich als Sprecher ablehnen. Im Zweifel führst du einen Stellvertreter-Krieg.“

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…unterschiedliche Sprechtempi:

„Jeder ,Tagesschau’-Sprecher hat ein anderes Sprechtempo, und danach wird die jeweilige Sendung getaktet. Wenn Meldungen in das System eingegeben werden, und ich habe Dienst, wird automatisch mein Sprechtempo berechnet. Das heißt: Es gibt Sprecher, die kriegen in einer Sendung eine Meldung mehr unter als andere, einfach, weil sie schneller reden. Ich glaube, Jens Riewa, mein Nachfolger als Chefsprecher, ist der schnellste.“

…das (Mindest-)Alter eines „Tagesschau“-Sprechers:

„Ich glaube nicht, dass man mit 20 die ,Tagesschau’ sprechen könnte. Die Zuschauer brauchen das Gefühl, dass derjenige, der da steht, weiß, wovon er spricht. Anfang 30 sollte man schon sein.“

…einmal „Tagesschau“-Sprecher, immer „Tagesschau“-Sprecher:

„Diese Sicherheit, bei der ,Tagesschau’ alt werden zu können, hat für die Sprecherinnen und Sprecher etwas sehr Beruhigendes. Das ist das eine. Das andere ist, dass man aufpassen muss, sich nicht mit der Routine zufriedenzugeben. Deshalb habe ich in den vergangenen 36 Jahren immer wieder auch andere Sendungen gemacht, deswegen moderiert Judith Rakers „3 nach 9“ oder schreibt Linda Zervakis Bücher.“

…die Bezahlung:

„Als Sprecher der ,Tagesschau’ wirst du ja nicht dafür bezahlt, dass du um 20 Uhr vor der Kamera stehst. Du wirst dafür bezahlt, dass du an 365 Tagen 24 Stunden lang öffentlich für die ,Tagesschau’ da bist. Sie glauben nicht, wie oft ich fotografiert werde, ohne es zu wissen, und wie oft mich Leute ansprechen, dass sie mich dort oder dort bei der oder der Tätigkeit gesehen haben. Wenn Sie so wollen, sind wir ,Tagesschau’-Sprecher immer im Dienst, ob wir wollen oder nicht. Bezahlt werden wir pro Folge, die wir sprechen, das höchste Honorar gibt es für die 20-Uhr-Sendung, es liegt bei etwa 260 Euro. Im Schnitt macht man bei drei bis vier Sendungen pro Arbeitstag, die dann aber deutlich anders bezahlt werden. Da kann man für sechs Stunden Aufwand auch mal nur auf 300 Euro Honorar kommen. Insgesamt kann man von den Einnahmen als „Tagesschau“-Sprecher ordentlich leben, reich werden kann man nicht. Es entspricht dem Gehalt eines gut bezahlten Angestellten.“

…die Rolle als Chefsprecher:

„Ich habe immer den Dienstplan für alle der inzwischen 20 Sprecher gemacht und war natürlich auch der, der bei plötzlich auftretenden Lücken einspringen musste. Deshalb wohne ich auch in Lokstedt. Es hat zwei Fälle gegeben, in denen ich Weihnachten beziehungsweise Silvester innerhalb weniger Minuten wegen besonderer Lagen in den Sender musste. Einmal haben die Kollegen um fünf vor Zwölf angerufen und um fünf nach Zwölf saß ich im Studio. Das ist halt der Job.“

Jan Hofer beim Karneval in Düsseldorf
Jan Hofer beim Karneval in Düsseldorf © dpa | Frank Christiansen

…Wikipedia:

„In meinem Wikipedia-Eintrag steht ganz vieles, was nicht stimmt. Ich habe mehrfach versucht, das zu ändern, aber es ist mir leider nicht gelungen. Inzwischen habe ich es aufgegeben.“

…das Bewusstsein, vor Millionen Menschen aufzutreten:

„Ich sage immer meinen Kolleginnen und Kollegen: Ihr macht nicht für 14 Millionen Zuschauer eine Sendung, ihr müsst euch vorstellen, dass ihr das für einen einzigen Menschen macht. Das funktioniert. Ich gehe inzwischen in das Studio rein wie in ein Wohnzimmer, da gibt es kein Lampenfieber mehr. Dafür ist das Adrenalin jedes Mal gleich hoch, das ändert sich nie.“

…die Beobachtung durch Boulevardmedien:

„Die lustigste Story hat mir neulich Verona Pooth erzählt, mit ihr und ihrem Mann sind meine Frau und ich gut befreundet. Eine Zeitschrift hatte ein Foto von Verona und meiner Frau veröffentlicht, auf dem beide ein rotes Kleid trugen. Und weil beide etwa gleich alt sind und die gleiche Haarfarbe haben, schloss der Journalist daraus, dass ich heimlich in Verona verliebt sei. Deshalb würde ich auch immer ihre Instagram-Posts liken, vor allem die Bilder, auf den sie besonders sexy aussehe…“

Jan Hofer macht mit einem Smartphone ein Selfie
Jan Hofer macht mit einem Smartphone ein Selfie © dpa | tagesschau

…die Frage, was nach der „Tagesschau“ kommt:

„Ich habe nicht vor, mich komplett aus den Medien zu verabschieden. Ich höre bei der ,Tagesschau’ auf, aber ich werde nicht aufhören zu arbeiten. Ich rede zum Beispiel mit meinem Management darüber, ob ich vielleicht einen Podcast machen sollte. Ich selbst höre sehr gern und sehr viele Podcasts, habe da auch meine Favoriten, zum Beispiel „Zärtliche Cousinen“, wunderbar.“

…der bewegendste Moment:

„Das war mit Sicherheit die Grenzöffnung und die Wiedervereinigung.“