Hamburg. Wieso Geld beim Jasagen eine große Rolle spielt und die Eltern des Paares einen Vertrag vereinbaren sollten.
Der Traum in Weiß – für manche ein Albtraum. In jeder langjährigen Beziehung wird es irgendwann einmal um die Fragen gehen: heiraten – ja oder nein? Unsere Expertinnen liefern Argumente für beide Seiten.
Haben Sie die letzte globale Hochzeit gesehen, die von Meghan Markle und Prinz Harry?
Prof. Miriam Beblo: Nicht live, aber ich kann verstehen, warum Millionen Menschen in der ganzen Welt zugeschaut habe. Im Grunde lieben wir alle Märchen.
Früher wurden Dynastien und Staaten durch strategisch kluge Hochzeiten gelenkt, welche Bedeutung kommt der Ehe heute zu?
PD Dr. Astrid Wonneberger: Sie spielt immer noch eine große Rolle, weil sie mit Rechten und Pflichten verbunden ist, die man sonst nicht hat. Da kann man noch so gegen die Ehe sein, bestimmte Dinge gehen ohne sie einfach nicht, zum Beispiel von seinem Partner erben. Es spielt keine Rolle, ob sie 30 Jahre lang zusammen waren, ohne Heirat bekommen Sie nichts, jedenfalls nicht, ohne das zusätzlich in einem Testament festzulegen. Andere Dinge sind mit gesonderten Verträgen zu ordnen, die Anerkennung einer Vaterschaft beispielsweise oder Unterhaltszahlungen.
Miriam Beblo: Die Mehrheit der 40- bis 50-Jährigen mit Kindern in Deutschland ist verheiratet. Sie haben die Frage, ob sie heiraten sollen, also mit Ja beantwortet. Die Modelle von denen, die nicht verheiratet sind, fächern sich allerdings immer mehr auf, da gibt es Regenbogenfamilien, Stieffamilien usw.
Macht eine Hochzeit glücklich?
Wonneberger: Paarbeziehungen können natürlich auch ohne Trauschein glücklich sein, die Ehe sorgt nicht dafür, dass man glücklich ist, sondern dass alles rechtlich geregelt ist. Die Verpflichtungen, die man hat, sind eindeutiger.
Beblo: Man kann durch die Eheschließung ein Zeichen nach außen setzen, eine Symbolik schaffen, manchmal auch den Familien und den Freunden zuliebe, was für eine gewisse Zeit die Zufriedenheit nach oben treiben kann. Die Kausalität Eheschließung gleich Glück kann man allerdings daraus nicht ableiten.
Das persönliche Glück ist also kein Grund zu heiraten. Wie sieht es mit der Gesundheit aus: Statistiken besagen, verheiratete Männer seien gesünder und leben länger.
Beblo: In der Ökonomie nennen wir das den Selektionseffekt. Wer lebt denn in einer Partnerschaft? Menschen, die füreinander sorgen wollen und auch können, zum Beispiel weil sie gesünder sind. Aber gemeinsames Wirtschaften hat natürlich viele Vorteile, auch für die Gesundheit.
Heiratsregeln (wen darf man heiraten, wen nicht, wie viele darf man heiraten etc.) bilden oft die Grundlage der sozialen Organisation vieler Gesellschaften. Was sagen unsere Regeln in Deutschland über uns aus?
Wonneberger: Wir haben hierzulande eine große Bandbreite an Wahlmöglichkeiten, die in anderen Kulturen nicht existieren. Dass Männer Männer und Frauen Frauen heiraten dürfen, das gibt es nicht überall, wenngleich das in vielen Kulturen schon länger verbreitet ist. Wir glauben immer, unsere gleichgeschlechtlichen Partnerschaften seien etwas sehr Modernes, das sind sie aber nicht. Im vorkolonialen Afrika haben schon Männer Männer geheiratet, und auch Ehen zwischen Frauen sind belegt. Viele unserer Freiheiten, zum Beispiel unseren Partner selbst zu wählen, haben sich vor allem in den letzten Jahrzehnten herausgebildet, vorher haben die Eltern noch oft bestimmt, wer geheiratet wird.
Beblo: Die zugewonnene Freiheit hat auch mit unserer Definition von Familie zu tun, die sich verändert hat. Da, wo Verantwortung übernommen wird für andere, da sprechen wir von Familie. Das muss aber kein biologisch verwandtschaftliches Verhältnis mehr sein.
Früher gehörte eine Ehe zum sozialen Ansehen einer Frau, heute nicht mehr. Hat die Institution Ehe in westeuropäischen Ländern langsam ausgedient?
Beblo: Zum Glück hat eine Frau heute andere Möglichkeiten, Ansehen zu erlangen. Durch ihren Beruf etwa. Wobei wir bedenken sollten: Das Modell der Hausfrauen-Ehe, wie sie in den 50er- und 60er-Jahren angestrebt wurde, war immer nur ein Übergangsmodell. In landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften haben die Frauen immer mitgearbeitet.
Tradition, Moral, Religion – welcher der drei Beweggründe steht heute bei einer Eheschließung im Vordergrund?
Beblo: Alle drei sind wichtig, aber es gibt auch nützliche, ökonomische Gründe. Schauen Sie doch mal, wie die Eheschließungen über das Jahr verteilt sind. Die Feiern finden meistens im Sommer statt, aber zum Standesamt gehen ganz viele Paare noch im Dezember. Ist das nicht ein Beleg dafür, dass Geld eine Rolle spielt? Die finanziellen Vorteile sind vor allem bei Paaren groß, wo der eine deutlich mehr verdient als der andere, da greift der sogenannte Ehegattensplitting-Vorteil, weil der Einkommenssteuersatz niedriger ausfällt. Für viele Haushalte sind das mehrere Tausend Euro im Jahr.
Steuerersparnis ist also ein Grund zu heiraten. Ansonsten sind heute in unserer Gesellschaft keine ökonomischen Transaktionen mehr mit einer Eheschließung verbunden, oder?
Wonneberger: Doch. Ökonomische Aspekte spielen immer eine große Rolle. Wer heiratet denn wen? Der Prinz heiratet selten eine Frau aus schwierigen Verhältnissen. Aschenputtel ist und bleibt ein Märchen. Die Menschen suchen sich schon Partner, die auch ökonomisch einigermaßen auf Augenhöhe sind.
Beblo: Dieser Abgleich ergibt sich einfach indirekt, weil die Beziehungen, die eingegangen werden, meistens in homogenen Kreisen entstehen. Bei der Arbeit, an der Uni, im Freundeskreis, man hat also den gleichen Hintergrund, was dazu führt, dass sich Partner häufig ähneln.
Wonneberger: Wegen der in vielen Gesellschaften mit einer Hochzeit verbundenen Transaktionen habe ich übrigens ein Kamel für unser Foto mitgebracht: In Kulturen, in denen es einen Brautpreis gibt und Kamele wichtig sind, kann der Brautpreis z. B. in Kamelen gezahlt werden. Daraus resultiert der leider sehr stereotype Witz, man könne im Urlaub seine Frau für ein paar Kamele verkaufen. Aber es geht dort in Kulturen mit Brautpreis nicht darum, seine Tochter zu verkaufen, sondern um die Tatsache, dass Frauen sehr wertvoll sind, und man sie nicht ohne Weiteres aus dem Haushalt abgibt. Da geht eine Arbeitskraft verloren, das muss kompensiert werden. Der englische Terminus „bride wealth“ ist da passender als „Brautpreis“.
Warum gibt es keinen Bräutigampreis?
Wonneberger: Gibt es, heißt nur anders: die Mitgift stellt mehr oder weniger das Äquivalent zum Brautpreis dar. Hier zahlt die Familie der Braut einen Preis oder Güter an die Familie des Bräutigams. In Indien beispielsweise ist die Mitgift weit verbreitet. Deshalb ist es für viele indische Familien so teuer, Töchter zu bekommen. Das kann sich aber auch ins Positive wenden: Viele Familien haben offenbar erkannt, wie sinnvoll es ist, ihren Töchtern eine gute Bildung zu ermöglichen, denn je gebildeter sie sind, desto mehr können sie später zum Haushaltseinkommen beitragen und desto weniger Mitgift wird gefordert. Es rechnet sich also für Familien, in die Bildung der Töchter zu investieren.
Wer hat das eigentlich eingeführt, dass der Mann der Frau den Antrag machen soll?
Beblo: Das hat zu tun mit der Norm, nach der der Mann lange Zeit als Ernährer der Familie galt. Er musste also entscheiden, wann er in der Lage war, seine Frau und mögliche Kinder zu versorgen. Dabei fällt mir ein weiterer Grund ein, der heute für eine Eheschließung spricht: die beitragsfreie Krankenversicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung subventioniert die Nichterwerbstätigkeit eines Ehepartners. Ein großer Pluspunkt für Hausfrauen war außerdem lange Zeit unser Scheidungsrecht. Früher waren die Frauen im Falle einer Scheidung durch das Unterhaltsrecht abgesichert, das hat sich inzwischen geändert. Sie müssen jetzt viel schneller sehen, wieder in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Da ist der Unterschied zwischen den verheirateten und unverheirateten Paaren geschrumpft.
Die Scheidungsquoten in Deutschland sind nicht unbedingt ein Argument für die Ehe.
Beblo: Neben den hohen psychischen Kosten, die eine Scheidung mit sich bringt, kommen reale Kosten auf ein Paar zu. Je mehr es zu verteilen gibt, desto teurer eine Scheidung. Vor dem Hintergrund ist es erstaunlich, wie viel überhaupt noch geheiratet wird. Jedes dritte Paar wird immerhin geschieden. Aber das macht sich im Moment des Jasagens keiner klar. Da steht das große Fest im Vordergrund. Ich finde es interessant, was die Deutschen für eine Hochzeit ausgeben, da verschlingt so ein Fest schon mal 30.000 bis 50.000 Euro. Eine Investition, die sich für ein Drittel der Paare langfristig nicht auszahlt. Für viel geringere Risiken schließen Menschen Verträge und Versicherungen ab. Aber um einen Ehevertrag will sich niemand Gedanken machen. Da schwingt wohl die Angst mit, er sei als Zeichen des Misstrauens zu werten. Dabei ist das Sinnvollste, was man in Deutschland als Vertrag abschließen sollte, ein Ehevertrag.
Und meine Haftpflichtversicherung?
Beblo: Gut, die ist noch wichtiger. Aber viele Rechtsschutz- und Reiseversicherungen, die die Menschen so ansammeln, könnten sie sich sparen und dafür besser einen Ehevertrag abschließen.
Wo bleibt denn da die Romantik?
Wonneberger: Die Idee einer Ehe ist, auf Dauer angelegt zu sein. Aber das heißt ja leider nicht, dass es bei jedem Paar klappt. Es geht durchaus auch anders: Es gibt eine Ethnie in China, die Mosuo, die haben schon lange eine Sozialform, in der die Ehe nicht vorgesehen ist. Die Frauen dürfen sexuelle Beziehungen zu Partnern ihrer Wahl haben, aber sie heiraten nicht. Alle Kinder, die aus der Verbindung stammen, bleiben im Haushalt der Mutter. Die Brüder helfen ihren Schwestern, die Kinder aufzuziehen. Es sind immer die Blutsverwandten, die zusammenwohnen. Das scheint hervorragend zu funktionieren. Die chinesische Regierung hat ab den 1950er-Jahren versucht, dieses System zu verbieten und die Mosuo zur Heirat gezwungen. Doch als der politische Druck in den späten 1970er-Jahren etwa nachließ, ließen sich viele Mosuo wieder scheiden und gingen zu ihrem alten System über. So wüsste jeder, wo er hingehört, und es gäbe niemals Streit, sagen viele.
Beblo: Es gibt Länder, die die Symbolik einer Eheschließung und den praktischen Nutzen einer Ehe trennen. In Frankreich stellt der PACS (pacte civil de solidarité; der zivile Solidaritätspakt) ein Modell dar, das unserer Verpartnerung entsprach. Ursprünglich für homosexuelle Paare gedacht, aber dann sind auch viele heterosexuelle Paare von der traditionellen Eheschließung zur Verpartnerung übergegangen. Das hatte niemand erwartet. Im Moment der Eheschließung werden alle sagen, sie handeln aus Liebe. Für mich ist die Erfahrung mit PACS aber wieder ein Beleg dafür, welche große Rolle praktische Elemente spielen.
Wann ist man bereit für eine Heirat?
Beblo: Wenn beide die gleichen Erwartungen an das gemeinsame Leben haben, wunderbar. Will man aber nur die Beziehung damit retten? Dann wäre die Ehe ein Verbandskasten, keine gute Idee.
Wonneberger: Es ist doch schon toll, dass wir uns überhaupt mit der Frage beschäftigen können, ob wir heiraten wollen oder nicht. In vielen anderen Kulturen entscheiden die Familien über den Partner und den Zeitpunkt, und der Brautpreis, die Mitgift oder andere Regeln legen fest, zu welchen Bedingungen geheiratet wird.
Beblo: Verträge zwischen Familien müssen nicht immer schlecht sein, sie können sehr sinnvoll sein. Wenn sich ein Paar selbst gefunden hat, dann können die Familien die Rolle der Anwälte übernehmen und darüber verhandeln, wie das gemeinsame Leben aussehen soll, wie das Einkommen verteilt und die Kinderbetreuung geregelt werden sollen – wenn man sich denn überhaupt Kinder wünscht.
Also ich habe keinen Ehevertrag. Hatten Sie einen, als Sie verheiratet waren, Frau Beblo?
Beblo: Nein, stellen Sie sich das vor! Aber ich habe dazugelernt.
Werfen Sie einen Blick in die Zukunft: Gelte ich bald als antiquiert, wenn ich heiraten möchte, oder hält sich dieses Lebensmodell?
Wonneberger: Die Ehe wird noch lange bestehen. Sie ist einfach zu praktisch. Wenn es die Ehe nicht gäbe, dann bräuchten wir viel mehr Gesetze. Es wird jedoch immer mehr Alternativen der Partnerschaft geben. Durch Migration lernen wir auch neue Formen kennen, die neue Diskussionen aufwerfen, zum Beispiel polygyne Ehen, bei der es einem Mann gestattet ist, mehr als eine Frau zu heiraten. Was bedeutet das beispielsweise für den Familiennachzug? Dürfen alle Frauen, alle Kinder nach Deutschland ziehen, welche Rechte haben die? Polygynie ist bei uns verboten. In den USA eigentlich auch, aber bei den Mormonen leben die Männer dennoch mit mehreren Frauen, die werden strafrechtlich nicht verfolgt. Erstaunlich finde ich, dass die Frauen diese Lebensweise häufig als sehr praktisch bezeichnen, weil immer jemand für die Kinderbetreuung da sei. Einer Karriere stehe durch die erweiterte Arbeitsteilung nichts mehr im Wege.
Puh.
Wonneberger: Ich sage ja nur, dass wir die Debatten um die Definition von Ehe in Zukunft sicher noch erweitern müssen. Es gibt vieles, was uns bislang unvorstellbar erscheint, anderswo aber bereits gelebt wird.