Hamburg. Heute passt das Thema der Serie wunderbar zum 70. Geburtstag von Otto Waalkes. Was zwei Hamburger Experten zu dem Thema sagen.
Charlie Chaplin soll einmal gesagt haben: Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag. Auch bei diesem Interview über das Lachen wurde mehrfach gelacht. Schließlich sind die Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Professorin Judith Ellenbürger und der Psychologe Dr. Marcel Riehle nicht nur ausgewiesene Wissenschaftler für diese Lebensfrage, sondern auch selbst humorvolle Menschen.
Worüber haben Sie heute schon gelacht?
Judith Ellenbürger: Ich habe über mich selbst gelacht. Ich wollte für dieses Interview meine weiße Bluse anziehen und habe erst daran, dass sie mir viel zu breit war, gemerkt, dass ich aus Versehen das weiße Hemd meines Mannes eingepackt hatte.
Und Sie?
Marcel Riehle: Ich habe heute schon mehrfach gelacht. Eher aus Verzweiflung, weil einiges schiefgegangen ist.
Lachen Sie häufiger?
Ellenbürger: Ich liebe das Lachen. Und wenn ich mal einen Tag nicht so viel gelacht habe, dann schaue ich mir gern am Abend etwas an, was mich zum Lachen bringt.
Worüber lachen Sie am liebsten?
Ellenbürger: Es ist die Vielfalt, die mich begeistert: das Unerwartete, das Überraschende, das Inkongruente. Und besonders gern lache ich über Dinge, für die ich noch gar keine Erklärung habe.
Riehle: Ich kann über Dinge, über die man sich fast schon ein bisschen schämt, lachen. Etwa kleine Missgeschicke von anderen. Ansonsten habe ich einen ziemlich schwarzen Humor.
Nach Immanuel Kant ist der Mensch das Tier, das lacht.
Riehle: Da liegt Kant wohl ein bisschen daneben. Man hat bei fast allen Säugetieren finden können, dass sie lachen. Etwa bei Ratten. Wenn man Ratten am Rücken oder am Bauch kitzelt, fangen sie mit Lachlauten an. Sie kichern.
Gibt es hirnchemische Voraussetzungen für das Lachen?
Riehle: Natürlich. Es bedarf gewisser Grundvoraussetzungen, dass man lachen kann. Dazu gehört beispielsweise, dass man den Kontext der Situation verstanden hat. Lachen beschäftigt nicht nur den Körper, sondern auch einen Großteil des Gehirns.
Was ist überhaupt lachen?
Ellenbürger: Um lachen zu können, muss man Distanz aufbauen und dem Leben gleichsam wie im Spiel zuschauen. Diese Distanz braucht es, um das Komische zu entdecken. Sonst ist man zu sehr in seinen Gefühlen verstrickt.
Henri Bergson hat in seiner Schrift über das Lachen gesagt, dass das Lachen „Gleichgültigkeit“ braucht.
Ellenbürger: Er nennt das die Anästhesie des Herzens.
Riehle: Wir müssen unterscheiden zwischen Lachen als Ausdruck von humoristischem Verständnis und Lachen als psychologische Reaktion aufgrund von Stimulation wie bei Tieren. Den Menschen zeichnet Sprache aus und die Möglichkeit, Distanz aufzubauen. Das gibt ihm humoristisches Potenzial.
Wie viele Muskeln sind am Lachen beteiligt?
Ellenbürger: Ich habe von 135 Muskeln gehört, wenn man die mimische Muskulatur, die Halsmuskeln, die Rippen- wie auch die Bauchmuskulatur mit einberechnet. Nach zwei Minuten – und ich denke, das können die meisten bestätigen – bekommt man Muskelkater.
Riehle: Eine lustige Situation habe ich kürzlich in einem Seminar erlebt. Eine Studentin fand eine eigene Abkürzung für den Begriff Körperorientierte Therapie – und zwar KOT. Das war in dem Moment nicht so unmittelbar witzig. Aber der Gedanke, das wäre jetzt im Grunde genommen dumm, darüber zu lachen, hat mich dann doch lachen lassen. Das wirkte ansteckend.
Wird in Deutschland viel gelacht?
Ellenbürger: Ich habe das Gefühl, dass das regional sehr unterschiedlich ist. Im Süden wird wohl mehr gelacht. Zumindest habe ich den Eindruck, wenn ich mit dem Zug quer durch Deutschland unterwegs bin. Von Paderborn nach Kassel geht es eher unlustig zu. Aber schon ab Würzburg werden die Ansagen in den Zügen witziger. Die Leute sind offen und locker. Vielleicht liegt das daran, dass im Süden das Wetter meist besser und wärmer ist.
Und Hamburg liegt nördlich des Lach-Äquators?
Riehle: Vielleicht ist Hamburg eine besondere Enklave. Ich habe das Gefühl, dass hier viel gelacht wird. Womöglich liegt das an den vielen Zugereisten, die den Humor mit hiergebracht haben.
Ist Lachen denn nun wirklich gesund?
Ellenbürger: Der Philosoph Immanuel Kant hat das schön formuliert: Lachen befördert das Lebensgeschäft. Er hat das so begründet, dass durch den Affekt die Eingeweide und das Zwerchfell in Bewegung gebracht werden und dass auf diese Art quasi die Seele als Arzt für den Körper fungieren kann. Aus medizinischer Sicht ist es so, dass beim Lachen zum einen die Lunge verstärkt Luft aufnimmt, wodurch Sauerstoff in die roten Blutkörperchen gelangt, und zum anderen das Herz schneller schlägt, wodurch das sauerstoffreiche Blut durch den ganzen Körper transportiert wird. So werden Antikörper und Glückshormone produziert und auch der Stoffwechsel angeregt. Nach dem Lachen sinkt der Blutdruck wieder, was für Entspannung und Wohlgefühl sorgt.
Riehle: Lachen ist in der Tat auf mehreren Ebenen gesund, da es wirklich das Lebensgeschäft in uns selbst, aber vor allem auch um uns herum, also in der Gemeinschaft, befördert. Wir wissen, dass Lachen eine enorm hohe soziale Komponente hat. Der amerikanische Forscher Robert Provine hat hierzu durch Beobachtungsstudien eine interessante Zahl herausgefunden: In Gesellschaft anderer lachen wir in etwa 30-mal so häufig, als wenn wir allein sind. Dazu ist Lachen bekanntermaßen sehr ansteckend und fördert so den Gruppenzusammenhalt. Dadurch ist Lachen für uns gesund: Es hält unsere soziale Gruppe intakt. Und wenn wir in intakten sozialen Gruppen leben, werden wir deutlich älter.
Können Clowns in Krankenhäusern bei der Genesung von Patienten helfen?
Riehle: Das ist eine gute Sache, weil dadurch eine positive Emotionalität vermittelt wird. So etwas kann dem Gesundungsprozess eigentlich nicht im Wege stehen.
Ellenbürger: Das darf aber nicht heißen, dass man über Trauer und Leid einfach hinweg lacht. Humor kann das Tragen von Krankheit und Leid jedoch erleichtern.
Welchen Stellenwert hatte eigentlich das öffentliche Lachen im Mittelalter?
Ellenbürger: Im Mittelalter wurden extra Narrentage eingeführt, an denen die Spannung ab- beziehungsweise die Luft rausgelassen werden konnte. Ähnliches gilt auch heute für die Karnevalstradition.
Autoritäten und Diktatoren haben aber kein Interesse, dass gelacht wird.
Ellenbürger (lacht): Vor allem nicht über sie!
Wer sind denn heute die Gegner des Lachens?
Riehle: Ich könnte mir vorstellen, dass in Nordkorea nicht gut lachen ist.
Und in Deutschland – welche Partei ist die humorvollste?
Riehle: Die Partei des früheren „Titanic“-Chefredakteurs Martin Sonneborn natürlich.
Ellenbürger: Das Lachen hat ja durchaus auch grenzüberschreitende und aufrührerische Qualitäten, weshalb früher versucht wurde, es aus der „ernsthaften“ Politik herauszuhalten. Aber das hat sich heute zum Glück gelockert. Interessant ist auch, dass lange nicht nur zwischen ernst und lustig unterschieden wurde, sondern auch zwischen den Geschlechtern. In China etwa war es früher verboten, dass Frauen beim Lachen die Zähne zeigten. Da ziemte sich nur das liebliche Lächeln.
Wie wurde kulturgeschichtlich erreicht, dass Frauen öffentlich lachen durften?
Riehle: Das hängt mit der Aufklärungszeit und der Befreiung des Menschen aus den politischen und klerikalen Zwängen zusammen.
Ellenbürger: In der Filmgeschichte ist es spannend zu beobachten, dass Frauen den Eingang in Komödien mit dem Tonfilm gefunden haben. Davor, in der klassischen Slapstick-Comedy, waren stets Männer die Protagonisten. Selbst Frauenrollen wurden von Männern übernommen, weil die körperliche, oft gewaltsame Komik nicht mit dem grazilen Bild der Frau vereinbar war. Bei der späteren Screwball-Comedy, die hauptsächlich über den verbalen Schlagabtausch funktioniert, konnte die Frau das Publikum mit ihrem Wortwitz erheitern.
Haben die Medien dazu beigetragen, dass der Mensch heute mehr lacht?
Ellenbürger: Das ist eine steile These. Grundsätzlich werden Medien eher als Spiegel der Gesellschaft und nicht als Auslöser von gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet. Das ist mehr ein wechselseitiges Verhältnis. Was sie aber sicher leisten können, ist die Herstellung von Distanz, die für das Lachen so wichtig ist.
Wer sind die wichtigsten Komiker in Deutschland?
Ellenbürger: Weltweit müsste man Charlie Chaplin nennen, der auf einzigartige Weise Komik und Tragik verbunden hat. In Deutschland hat mich zuletzt der „Tatortreiniger“ begeistert, weil er so etwas wie die Komik einzelner Mikrokosmen in der Gesellschaft aufspürt.
Riehle: Für mich ist Loriot ganz oben dabei. Ein wunderbarer Spiegel einer Gesellschaft, die ich gar nicht richtig miterlebt habe, weil ich noch nicht geboren war. Und Helge Schneider, ein hochintelligenter Mann, der Witze erzählt, die so dumm sind, dass man eigentlich darüber lacht, dass jemand so dumme Witze erzählt.
Lachen Frauen mehr als Männer?
E llenbürger: Wie wir lachen, entsteht ja in der Kindheit, und es gibt mehrere Studien, die belegen, dass Jungen mehr lachen und sich auch eher lächerlich machen, um sich in einer sozialen Gruppe besser zu positionieren. Als Spaßmacher und Klassenclown genießen sie das Ansehen ihrer Freunde. Mädchen wurde eher beigebracht, sich zurückzuhalten. Aus meinem eigenen Erleben heraus würde ich aber sagen, dass das mittlerweile überholt ist.
Gibt es Unterschiede, worüber Frauen und Männer jeweils lachen?
Riehle: Das glaube ich nicht.
Ellenbürger: Lachen hat viel mit Konventionen beziehungsweise mit Konventionsbrüchen zu tun. Man lernt das Lachen in der Gesellschaft mit ihren spezifischen Normen und Werten, und die sind natürlich für Frauen wie für Männer die gleichen.
Gibt es weltweite Unterschiede ?
Riehle: Lachen klingt weltweit sehr ähnlich. Aber die fernöstlichen Kulturen gelten als eher reserviert beim öffentlichen Zeigen von Emotionen.
Ellenbürger: Die Gründe zu lachen, sind weltweit unterschiedlich. Das hat mit der Sozialisation der Menschen in den einzelnen Ländern zu tun. Umso spannender ist es, dass Charlie Chaplin in der Zeit des Stummfilms eine universale Sprache gefunden hat, die über den ganzen Globus funktionierte.
Gibt es heute noch jemanden wie Charlie Chaplin?
Ellenbürger: Ich kenne keinen, der ganz ohne verbale Sprache arbeitet und so erfolgreich ist – Mr. Bean kommt da vielleicht dran. Aber ich würde sagen, dass der Stummfilm prädestiniert dazu war, einen solchen Künstler hervorzubringen.
Kann man lachen lernen?
Riehle: Es gibt tatsächlich therapeutische Ansätze wie etwa Lachtrainings. Oder ein Lachtagebuch. Da schreibt man auf, worüber man im Laufe des Tages so gelacht hat. Gerade in depressiven Episoden soll das hilfreich sein. Ich glaube aber nicht, dass man das Lachen an sich wirklich lernen muss. Im Endeffekt gibt es für jede Person etwas, worüber er oder sie lachen kann.
Hätte beim Stromausfall in diesem Jahr auf dem Hamburger Flughafen eine lustige Durchsage den Passagieren gutgetan?
Riehle (lacht): In dieser Situation war es wohl eher besser, ernst zu bleiben.