Hamburg. Heute geht es in der Abendblatt-Serie um ein Thema, über das man wie kaum ein anderes diskutieren und streiten kann.
Bevor wir uns zum Gespräch trafen, wusste keiner etwas über die Ernährungsgewohnheiten des anderen. Deshalb war es Zufall, dass sich am Tisch dann drei Menschen gegenübersaßen, die mehr oder weniger lange kein Fleisch mehr gegessen haben. Und deshalb auch ein gutes Gewissen haben können? Das ist die Frage, die es zu klären galt, und auf die es einfache Antworten nur auf den ersten Blick gibt. Ein Doppelinterview über Fleisch (und Fisch) mit der Soziologin Prof. Dr. Anita Engels und der Sozialgeografin Prof. Dr. Anke Strüver.
Bevor wir loslegen mit dieser elementaren Frage, müssen wir erst einmal klären, wer sich hier gegenübersitzt. Ich fange gern an: Ich bin Vegetarier. Wie halten Sie es mit Fleisch und warum?
Anke Strüver : Ich esse seit 35 Jahren kein Fleisch und keinen Fisch, weil ich das als Kind schon nicht mochte. Ich fand die Konsistenz so furchtbar.
Anita Engels: Ich komme aus einem Umfeld, in dem immer sehr viel Fleisch gegessen wurde, meine Familie hat auch selbst Fisch geangelt. Die vergangenen 15 Jahre ist mein Unbehagen beim Konsum von Fleisch gewachsen, weil ich weiß, unter welchen Bedingungen es produziert wird. Vor fünf Jahren habe ich dann aufgehört, Fleisch zu essen. Aber es hat lange gedauert, bis mein Körper sich darauf eingestellt hat, das war gar nicht so einfach. Ich finde, auf Fleisch zu verzichten, ist eines der größten Opfer, das man bringen kann, wenn man Fleisch mag.
Da haben Frau Strüver und ich es einfacher. Unsere Frage heißt: Kann man mit gutem Gewissen Fleisch essen? Müsste sie nicht heißen: Kann man mit gutem Gewissen Fleisch und Fisch essen? Oder muss man dazwischen trennen?
Strüver: Die Massenproduktion von essbarem Fisch hat zwar in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Doch sind die Folgen für Mensch und Natur derzeit noch nicht so schlimm wie bei der Produktion von Fleisch.
Frau Engels, essen Sie darum weiterhin Fisch?
Engels: Ich esse weiterhin Fisch, damit ich überleben kann. Auf beides zu verzichten, würde mir sehr schwerfallen. Ich esse Fleisch ja vor allem aus moralischen Gründen nicht mehr, weil ich nicht möchte, dass Tiere meinetwegen leiden. Bei Fischen denke ich: Na ja, die leiden hoffentlich nicht so stark wie etwa Schweine oder Kühe.
Unsere Frage kann man grob in einen moralischen, in einen ökologischen Teil und einen sozialen Bereich aufspalten. Fangen wir mit dem moralischen an: Darf man Tiere töten, um sie zu essen?
Engels: Grundsätzlich sehe ich kein Problem darin, dass Menschen Tiere essen, das ist seit Jahrtausenden so. Die Schwierigkeiten fangen damit an, wie wir Tiere heute industriell produzieren. Dort liegt für mich das moralische Problem, und ich kann in unserer Geschichte oder Kultur nichts erkennen, dass das legitimieren würde. Das funktioniert nur, weil wir ausblenden, wie Fleisch heute produziert wird.
Strüver: Ich sehe das Kernproblem auch in der Massentierhaltung und all dem, was sie an gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Nachteilen mit sich bringt. Und natürlich spielt die Entfremdung des Menschen vom Tier eine große Rolle: Es ist einfacher, ein abgepacktes Schnitzel aus dem Tiefkühlfach zu nehmen, als selbst ein Tier zu schlachten. Forschungen mit Kindern offenbaren, dass die genauso lange kein Problem haben, Fleisch oder Fischstäbchen zu essen, bis sie mit solchen Tieren als Lebewesen in Berührung kommen.
Engels: Einerseits kommt das Fleisch viel zu abstrakt auf den Teller. Andererseits haben viele Menschen, nicht nur Kinder, eine viel zu romantische Vorstellung von unserer Landwirtschaft.
Hilft es, wenn man nur Bio-Fleisch isst?
Engels: Ich habe lange Zeit versucht, mein Gewissen damit zu beruhigen, dass ich nur Wild oder Bio-Fleisch gegessen habe. Das ist aber in sozialen Situationen schwer machbar. Wenn ich zu einem Essen eingeladen bin, kann ich den Gastgeber doch nicht fragen, wo sein Fleisch herkommt. Es gibt andere Möglichkeiten, aber die sind komplex: Man kann sich zum Beispiel einen Anteil an einem Rind kaufen, dann weiß man wenigstens, unter welchen Bedingungen es gehalten wird.
Also hilft es nur, weniger oder gar kein Fleisch zu essen. Warum fällt das vielen Deutschen noch so schwer? Jeder von uns isst im Schnitt in seinem Leben 1000 Tiere …
Strüver: Ich glaube, es hängt mit dem Gefühl zusammen, dass man sich nicht vorschreiben lässt, wie man zu leben hat – von den Grünen, die ja mal mit ihrem Veggieday grandios gescheitert sind, schon gar nicht. Die Deutschen mögen diese Art der Bevormundung nicht, für viele ist Fleischkonsum ein Grundrecht. Deshalb muss man sich unsere Frage auch genauer angucken: Wer definiert eigentlich, was man darf und was nicht? Mit Verboten und Ermahnungen ändert sich gar nichts. Das passiert durch andere Entwicklungen, etwa, wenn es auf einmal „in“ ist, vegan zu essen.
Wenn man sagt, „ihr dürft kein Fleisch essen“, dann erreicht man damit genau das Gegenteil?
Engels: Im Moment ist das noch so. Aber es gibt auch gute Beispiele, wie man durch massive regulatorische Eingriffe Verhaltensweisen ändern kann – nehmen Sie nur die Einführung der Gurtpflicht. Damals war sie hoch umstritten, heute fühlt man sich fast nackt, wenn man den Gurt nicht anlegt.
Strüver: Wichtig ist auch, dass sich am Preis etwas tut. Fleisch ist in keinem anderen Land so billig wie in Deutschland, das verführt natürlich zu mehr Verzehr. Bei Zigaretten hat man gemerkt, wie deutliche Preissteigerungen dazu führen können, dass der Verkauf sinkt.
Engels: Um beim Fleisch einen Effekt zu erzielen, müssten die Preise aber sehr, sehr stark steigen – und dann ist auch eine bessere Produktion möglich.
Wenn wir zum ökologischen Teil kommen: Die hohe Fleischproduktion ist weltweit maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich. Soll heißen: Wir müssen alle weniger Fleisch essen, um den Klimawandel aufzuhalten oder seine Folgen zu verringern?
Strüver: Man sagt ja häufig: Wenn ich kein Fleisch esse, darf ich jeden Tag 250 Kilometer mit dem Auto fahren.
Engels: Ich bin ein wenig skeptisch, ob man zum Beispiel mit einem Tag Fleischverzicht weltweit etwas für ein besseres Klima bezwecken könnte.
Womit wir bei der sozialen Dimension unserer Frage sind. Richtig bedenklich für das Gewissen wird es, wenn der Wunsch nach Fleisch dazu führt, dass die Weltmarktpreise für Futtermittel wie Mais oder Weizen steigen. Soll heißen: Weil die Menschen in den Industrieländern Fleisch essen wollen, werden Grundnahrungsmittel für Menschen in ärmeren Ländern, eben Mais, teurer.
Strüver: Zumindest muss man bei der Beantwortung unserer Frage einbeziehen, dass wir nur so viel Fleisch für unseren Verzehr produzieren können, weil die Futtermittel dazu aus Südamerika oder Asien kommen. Und diese Futtermittel fehlen zum Beispiel in Asien dann als Grundnahrungsmittel. Wir ernähren uns fröhlich auf Kosten anderer. Das und mehr von dem, was wir besprochen haben, ist vielen, wahrscheinlich den meisten Menschen, bewusst. Aber im Alltag denkt man eben nicht darüber nach, da bestellt man in der Kantine selbstverständlich eine Currywurst.
Es gibt inzwischen viele Fleisch-Ersatzprodukte. Das heißt: Selbst wenn man auf den Geschmack von Fleisch nicht verzichten will, muss man nicht unbedingt Fleisch essen. Ist das nicht eine Lösung?
Strüver: Ich glaube nicht. Zum einen sind diese Produkte im Moment noch teuer, es kann sich gar nicht jeder leisten. Zum anderen sind viele Produkte auch ungesund. Langfristig muss man gucken, wie man so vegetarisch kochen kann, dass es möglichst vielen Menschen schmeckt – und man sowohl auf Fleisch als auch auf Fleischimitate verzichten kann. Und dann muss man sich Gedanken über die Bezeichnungen machen: Ein Getreidebratling kann total lecker sein, aber der Name an sich klingt schon abschreckend.
Ist die Fleisch-Frage eine, die man für Männer und Frauen anders beantworten muss?
Engels: Fleisch zu essen hat sehr viel mit Männlichkeitsvorstellungen zu tun. Die klassischen Rollenverständnisse sind ja in den vergangenen Jahren stark unter Druck geraten, da werden solche Dinge wie Grillen erst recht verteidigt.
Grillen ist und bleibt Männersache.
Engels: Natürlich. Männer, die kein Fleisch mehr essen, müssen sich viel stärker dafür rechtfertigen als Frauen. Sie büßen anscheinend ein Stück ihrer Männlichkeit ein.
Mich hat mal jemand bei einem offiziellen Essen gefragt: Wie konnten Sie denn als Vegetarier Chefredakteur des Hamburger Abendblatts werden?
Strüver: Bei mir sagen die Leute: Warum sind Sie denn nicht gleich Veganerin, das wäre konsequent! Wenn wir uns die Frauen angucken, sehe ich noch eine andere Bewegung: Bei denen gibt es ja viele, die auf diese Diäten umgestiegen sind, bei denen man fast nur Fleisch isst. Und das sind sportliche, schlanke und angeblich gesunde Frauen.
Fleisch ist ein Stück Lebenskraft – der alte Satz gilt eben immer noch.
Engels: Und der Verzicht von Fleisch wird oft auch als Kritik ausgelegt. Dabei trete ich überhaupt nicht dogmatisch auf. In dem Moment, in dem man in einer Runde erzählt, dass man kein Fleisch isst, wird das als Kritik an den Fleischessern gewertet. Die Leute fangen an sich zu rechtfertigen, was ich als unangenehm empfinde.
Strüver: Aber es ändert sich. Früher musste man sich als Vegetarierin rechtfertigen, heute rechtfertigen sich immer öfter die Fleischesser. Der häufigste Satz, den ich höre, ist: Wir essen auch viel weniger Fleisch. Man ist als Vegetarierin keine Außenseiterin mehr.
Engels: Trotzdem stimmt es, dass Fleisch ein Stück Lebenskraft ist. Ich habe zum Beispiel sehr lange gebraucht, um Lebensmittel zu finden, durch die ich ähnlich gesättigt bin wie durch Fleisch.
Und dann kommt hinzu, dass viele Menschen Fleisch einfach sehr gerne mögen. Gewissen hin oder her.
Engels: Man muss ja auch nicht ganz verzichten.
Strüver: Wenn man wirklich Fleisch so gern mag und es genießen will, dann muss es auch etwas Besonderes sein. Etwas Besonderes sollte man nicht zwei- oder dreimal am Tag essen.
Fassen wir unsere Frage am Ende noch einmal zusammen: Kann man mit ruhigem Gewissen Fleisch essen?
Strüver: Ich kann nicht mit gutem Gewissen Fleisch oder Fisch essen, habe aber nicht das Recht, anderen Leuten Vorschriften zu dieser Frage zu machen. Für die Mehrheit der Menschen sollte vielleicht gelten: Man darf Fleisch nur mit gutem Gewissen essen, wenn man weiß, wo es herkommt.
Engels: Wenn man das Klima schützen will, dann muss man deutlich weniger Fleisch essen. Und wenn eine große Zahl von Menschen nur noch zwei- oder drei- mal die Woche Fleisch essen würde, wäre das ja schon ein unglaublicher kultureller Wandel.