Berlin. Ohne natürliche CO2-Speicher ist der Klimawandel kaum zu bremsen, so Experten. Eine Maßnahme ist für das 1,5-Grad-Ziel aber noch dringender.
Insgesamt zwei Wochen – so viel Zeit haben Vertreterinnen und Vertreter aus aller Welt, um im aserbaidschanischen Baku Wege aus der Klimakrise zu finden. Vom 11. bis zum 24. November diskutieren Expertinnen und Experten auf der UN-Klimakonferenz über Lösungen und Maßnahmen, um weltweite Emissionen zu reduzieren. Die Grundlage ist das Pariser Klimaabkommen. Darin steht als Ziel die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius.
Wenige Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz veröffentlichte Copernicus, der europäische Dienst zum Klimawandel, Daten, wonach 2024 sehr wahrscheinlich das erste Jahr mit einer Temperatur von mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau sein wird. „Wenn wir unsere Klimaschutzziele umsetzen wollen, kommen wir nicht ohne natürliche Klimasenken aus“, sagt Matthias Drösler, Professor für Vegetationsökologie, Klimawandel und Moor-Ökosysteme an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
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Natürliche Treibhausgas-Senken arbeiten am Limit
Unter sogenannten Kohlenstoffsenken oder Klimasenken verstehen Fachleute Systeme, die mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufnehmen als sie abgeben. Böden, Wälder und Ozeane sind riesige Speicher vom klimaschädlichen CO2: Die natürlichen Klimasenken absorbieren rund die Hälfte aller Emissionen, die von Menschen verursacht werden.
Doch auch natürliche Ökosysteme können irgendwann nicht mehr: Wie ein internationales Team aus Forscherinnen und Forschern kürzlich herausfand, gibt es Hinweise darauf, dass die Menge an Kohlenstoff, die Wälder, Böden und Pflanzen 2023 absorbierten, gegen null geht. So lauten die vorläufigen Ergebnisse des Forschungsteams.
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Wälder umbauen und wieder zu Klimasenken machen
Dem Klimaexperten Drösler zufolge gilt der Wald seit langem als die größte Klimasenke. „Allerdings kommt diese Funktion aufgrund von wärmerem Klima oder Schädlingsbefall zunehmend unter Druck“, erklärt der Forscher.
Anstatt Kohlenstoff zu speichern, hat der Wald in Deutschland zwischen 2017 und 2022 sogar rund 42 Millionen Tonnen Kohlenstoff abgegeben. Das ist das Ergebnis der vierten Bundeswaldinventur, das im Oktober 2024 veröffentlicht wurde. Zum Vergleich: Die CO2-Emissionen in Deutschland betrugen laut dem Umweltbundesamt im Jahr 2023 598 Millionen Tonnen.
Sterben Bäume oder Teile von Bäumen durch Stürme, Brände oder Schädlinge ab, entsteht sogenanntes Totholz. Zersetzt sich das Totholz über mehrere Jahre, geht eingespeichertes CO2 teils in den Boden, teils wieder die Atmosphäre. Das schadet dem Klima. Einer Studie der Universität Würzburg und der TU München zufolge verrottet Totholz umso schneller, desto heißer die Temperaturen werden.
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Kurz gesagt, können Wälder dem Klima in Zukunft nur helfen, wenn sie widerstandsfähig sind. „Der Wald muss für den Klimawandel umgebaut werden, hin zu einem angepassten arten- und strukturreichen Bestand“, erklärt Drösler. Eine Lösung: Mehr Laubbäume. Dem Umweltbundesamt zufolge gelten Mischwälder als widerstandsfähiger gegenüber Extremwettern und Temperaturanstiegen als reine Nadelbaumwälder.
Natürliche Klimasenken in Deutschland: Das können Moore
Doch nicht nur Wälder sind wichtige Kohlenstoffspeicher. „Ich halte Moore für die vielversprechendste natürliche Senke, um die Emissionen in Deutschland runterzubekommen“, sagt Drösler. Tatsächlich haben Moore verglichen mit anderen natürlichen Klimasenken das meiste Speichervemögen: Dem BUND zufolge bedecken Moore weltweit nur drei Prozent der Fläche – binden aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen.
Dadurch können die Speicher jedoch auch zum Problem werden. Jens Heinke, Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Hydrologe, erklärt den Prozess: „Wird ein Moor trockengelegt und der Torf ist nicht komplett abgebaut, steckt in dem Moor immer noch viel CO2 drin.“ Torf entsteht in Mooren durch die langsame Zersetzung von Pflanzenresten. „Reagiert der trockene Moorboden dann mit Sauerstoff, wird Kohlenstoffdioxid freigesetzt“, so Heinke weiter. Bedeutet: Die Klimasenken werden zu schädlichen Kohlenstoffquellen.
Moorforscher Drösler zufolge sind in Deutschland rund 90 Prozent aller Moore trockengelegt. Die Böden werden vor allem landwirtschaftlich genutzt und dafür oftmals entwässert, um den Pflanzenanbau zu verbessern. Damit ein Moor aber als Klimasenke funktionieren könne, erläutert Drösler, brauche der Moorboden einen Wasserstand knapp unter der Oberfläche. Nur wenn Moore nass seien, können sie CO2 speichern.
Eine mögliche Lösung: „Die sogenannte Paludikultur ist ein Ansatz, mit dem Moorböden weiterhin landwirtschaftlich genutzt und gleichzeitig wieder vernässt werden können“, erläutert der Moorforscher. Dafür baue man Rohstoffpflanzen an, die an die feuchten Bedingungen in Mooren gut angepasst sind. Beispiele dafür seien Schilf oder Sauergräser.
Klimaexperte: „Wenn wir damit anfangen, haben wir nichts gewonnen“
Hydrologe Heinke weist darauf hin, dass jede Lösung für den Klimaschutz nicht unbegrenzt einsetzbar ist: „Sobald die Moorrenaturierung oder die Aufforstung größere Ausmaße erreicht, konkurriert sie mit anderer Flächennutzung.“ Das Ganze brauche eben Platz – und der sei begrenzt.
Außerdem müssten die entstandenen CO2-Speicher dauerhaft über mehrere Jahrhunderte erhalten bleiben, damit sie effektiv zum Klimaschutz beitragen können. Das erfordere eine sorgfältige Planung und langfristige Finanzierung. „Wenn wir nach der Aufforstung und Renaturierung wieder anfangen, die Wälder abzuholzen, haben wir nichts gewonnen. Dann wird CO2 wieder freigesetzt.“ fügt Heinke hinzu.
Moorforscher Drösler betont, wie wichtig das sogenannte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) der aktuellen Bundesregierung sei. Enthalten sind neben dem Schutz von Wäldern und Meeren auch Förderprogramme zum Schutz und zur Renaturierung von Mooren. Die Bundesregierung hat sich auf eine Finanzausstattung von mehr 3,5 Milliarden Euro für die Jahre 2024 bis 2028 geeinigt.
Natürliche Klimasenken vs. technologische Klimasenken? Vor- und Nachteile
Der Erhalt von natürlichen Klimasenken hat Drösler und Heinke zufolge gleich mehrere Vorteile: Werden die CO2-Schwämme erhalten, sorgen sie für Biodiversität. „Moore können auch als Puffer und Speicher gegen Starkregenereignisse und Dürreperioden helfen“, sagt Drösler. Neben natürlichen Klimasenken diskutieren Expertinnen und Experten auch technologische Lösungen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern.
Zu den technologischen Klimasenken gehört beispielsweise, dass Kohlenstoffdioxid mit speziellen Anlagen aus der Luft gefiltert und dann sicher gelagert wird. Die Entwicklung solcher Methoden wird auch als Geoegineering bezeichnet. Das ist unter Expertinnen und Experten jedoch umstritten. „Natürliche Lösungen wie Moorrenaturierung sind besser erforscht und weniger riskant als technische Eingriffe in komplexe Ökosysteme“, sagt Heinke.
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So oder so: „CO2-Speicherung allein, egal ob natürlich oder technologisch, wird nicht ausreichen, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen“, warnt Heinke. Die Maßnahmen könnten lediglich dabei helfen, die Emissionen, die sich schwer vermeiden lassen, durch negative Emissionen auszugleichen. Auch Drösler fasst zusammen: „Der wichtigste Hebel, um Emissionen zu reduzieren, bleibt die Abkehr von fossilen Energien.“