Berlin. Moderatorin Lisa Ortgies fordert Frauen über 50 auf, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Wozu sie angestaut führen kann, erlebte sie selbst.
- Ein Herzinfarkt aus Wut? Moderatorin Lisa Ortgies musste das erleben
- In ihrem Buch schildert sie, wie es dazu kam
- Außerdem hat sich einen wichtigen Rat für andere Frauen
TV-Moderatorin Lisa Ortgies hat einen Herzenswunsch: „Frauen ü 50“ sollten einfach mal ihre Wut herauslassen. Die Wut über jahrzehntelange Demütigungen und Bevormundungen, zum Beispiel durch die Schönheitsindustrie. „Wenn man schon in jungen Jahren mit Botox anfängt, wo soll das im Alter hinführen? Dann kann ich ja meinen Kopf nur noch in die Kloschüssel stecken, oder wie?“, sagt Ortgies im Gespräch mit dieser Redaktion. Auch in ihrem im September veröffentlichten Buch „Heißer Scheiß“ (Knaur, 22 Euro) macht sie sich stark für die „Liebe, die Wut und das Leben“ der Frauen im fortgeschrittenen Alter.
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Das Thema Cremes & Co. kann Ortgies („Frau TV“, WDR, donnerstags, 22 Uhr) auf die Palme bringen. „Ich kaufe mir auch mal eine viel zu teure Creme, aber ansonsten mache ich eher einen Bogen drumherum“, sagt sie. Ihr gehe es auch nicht um einen Lippenstift, ein Parfum, eine Lotion, einen Nagellack oder darum, Frauen Vorschriften zu machen. Aber was sie so zornig macht, sei die Botschaft dieser Konzerne, deren „Umsätze höher sind, als die der Waffenindustrie“: „Man ist nie schön, schlank oder glatt genug.“ Und überhaupt Anti-Aging? Was soll das eigentlich, fragt sie sich. „Man kann doch nicht gegen das Altern sein – die Alternative wäre doch der Freitod.“
Flugbegleiterinnen-Trauma: Als Freundlichkeit zur Überlebensstrategie wurde
Wie Frauen ticken sollen, würde ihnen aber auch im Arbeitsumfeld klargemacht. Wenn sich Ortgies an ihren ersten Job als Stewardess erinnert, kann sie immer noch nicht begreifen, wie man diese vielen Demütigungen übersteht. „Eigentlich war das ein cooler Job, mit gutem Verdienst, weltweiten Reisen. Aber diese Art, nach außen freundlich sein zu müssen zu Leuten, die sich wie Arschlöcher benehmen, das war sehr ungesund.“
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Es seien diese „kleinen Demütigungen des Alltags“, an denen auch abzulesen sei, „wer zum Beispiel die Definitionsmacht über den Humor hat“. Stichwort „me too“. Viele Frauen seien ja eher bemüht, so etwas einfach beiseite zu schieben. Aber dann spürten sich doch, dass es ihnen damit schlecht gehe. Über die spektakulären Fälle wie Weinstein oder Trump, darüber werde ja öffentlich geredet, „nicht aber über diese alltäglichen Vorkommnisse, die Frauen klein machen.“
Ihre Erfahrungen als Stewardess klingen für sie bis heute nahezu bizarr. „Da saßen diese Männer und taten allen Ernstes so, als hätten sie das Recht, mich nach irgendwelchen privaten Dingen zu fragen. In welchem Hotel ich übernachte und so weiter.“ Man habe als Anfang Zwanzigjährige schon Mut gebraucht, um darauf zu antworten: „Was geht Sie das an?“ Oder mal zu fragen, was wohl die Ehefrau davon halte. Sich zu wehren? Wie hätte das gehen sollen? Als Stewardess sei man zur Freundlichkeit verpflichtet.
Manchmal half eine gewisse Gepflogenheit: „Na ja, es gab dann ja auch immer noch den Eiseimer, den man dann mal, versehentlich in den Schoß des jeweiligen Herren entleerte.“ Aus Versehen natürlich. Und mit einem Lächeln. Wie es Frauen schon immer eingeimpft worden sei.
Wechseljahre als Befreiungsschlag: Neu erfinden statt anpassen
Nach dem Jobwechsel sei es übrigens nicht besser geworden, sagt die Moderatorin. „Eigentlich wurde es schlimmer – bei der Fliegerei hatte ich die Typen im schlimmsten Fall zwölf Stunden vor der Nase. Aber jetzt waren das ja Vorgesetzte.“ Sie erinnere sich an eine Konferenz bei einem bekannten Magazin. „Ich sollte da als junge Frau eine Blattkritik machen. Mein Urteil fiel nicht besonders gut aus, und der Chefredakteur hat mich während meines Vortrags komplett ignoriert und besonders laut mit den Kollegen gequatscht. Kritik von einer Frau, und dann auch noch eine junge Kollegin. Das war zu viel.“
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Im Job würden Frauen oft einfach auf ihre Hormonlage reduziert, egal, in welchem Alter. „Nach der Stillphase, in der man wegen der Hormone auch nicht wirklich ernst genommen wird, rutscht man dann schon fast übergangslos in die Altersdiskriminierung“, so Ortgies. Und da heiße es auf einmal ganz schnell: „Die ist nicht mehr auf dem Laufenden.“ Bei Männern gebe es das auch, „aber bei Frauen werden noch die Wechseljahre ins Spiel gebracht.“ Der große Unterschied sei auch: „Männer sitzen in dieser Berufsphase fest im Sattel und können ihre Machtpositionen weiter ausbauen. Oft sogar unabhängig davon, ob sie Erfolge vorweisen können. Es ist doch unglaublich, was so alles Männer vor die Wand fahren und dann trotzdem locker in den nächsten Job rübersegeln.“
Die Anatomie der unterdrückten Wut: Wenn Emotionen krank machen
Ob im Job oder privat – Frauen über fünfzig hätten schon so viel erlebt. Leider auch Krankheiten und Lebenskrisen. „Wenn sie aber daraus wieder auftauchen, sind sie so stark wie nie zuvor.“ Und könnten dann endlich ihr Leben nach eigener Regie führen und auch mal ihr Leben ausmisten, indem sie sich bestimmte Fragen stellen: Passen die Freunde noch? Vielleicht doch noch mal den Job wechseln? Will ich eigentlich immer wieder mit meinem Partner „Tatort“ gucken. Ist das noch das Richtige oder sehne ich mich nach etwas ganz anderem?
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Doch häufig trauten sich Frauen das einfach nicht zu und gerieten bei dem Wunsch leicht ins Taumeln. Wer lebenslang konditioniert war, nur das zu tun, was andere wollen, trage eine Menge unterdrückte Wut in sich. Den Schalter umzulegen, sei nicht so einfach.
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Die Moderatorin über unterdrückte Wut und Krankheit: Sie erlitt einen Herzinfarkt
Und unterdrückte Wut, so schreibt Ortgies in ihrem Buch, mache atemlos, verursache Übelkeit und löse Schmerzen aus im Rücken und im Oberbauch. „Zumindest bei mir“, so die Autorin, die auch eine Verbindung zu ihrer eigenen Krankengeschichte sieht, wie sie schreibt. „Vielleicht war sie nicht nur Auslöser, sondern auch Ursache für eine Kombination aus einem Herzkrampf und einem nachfolgenden, durch Entzündungen ausgelösten Herzinfarkt vor rund sieben Jahren.“
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Eigentlich könnte man jetzt Partys feiern. Man hat sein Leben gewuppt, die Kinder sind aus dem Haus. Klingt nach Paradies und Freude, dass die anstrengende Jugend hinter einem liegt? „Ich kenne keine Frau in meinem Alter, die ihre Regel ernsthaft vermisst – die Schmerzen, die Flecken, die Dreckslaune. Auch nicht die Geburtsschmerzen, die Säuglingszeit, die vollen Windeln, die entzündeten Stillbrüste“, schreibt Ortgies.
Doch kann Frau einfach eine andere werden? Nun, das wohl nicht. „Aber sie könnten anknüpfen an das lebenshungrige Mädchen aus der Zeit vor der Pubertät“, sagt Ortgies. „Da waren Mädchen, die, die sich alles zutrauten und die größten Klappen hatten.“
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Dieser Texte wurde erstmals am 21. Oktober 2024 veröffentlicht.