Paris. Im Vergewaltigungsprozess kommen immer brutalere Details zutage: Ein Mann soll Dominique P.s Taten an seiner eigenen Frau nachgeahmt haben.

Obwohl das Strafgericht in Avignon einen zweiten Saal eröffnet hat, steht das Publikum täglich Schlange für den höchst ungewöhnlichen Prozess: Ein Ehegatte mit bestem Leumund soll seine Frau zehn Jahre lang mit vielfachen Schlafmitteldosen betäubt und zahllosen Männern zur Vergewaltigung angeboten haben.

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Deren 51 sitzen nun auf der Anklagebank. Gisèle Pélicot, die heute geschiedene, 72-jährige Ex-Frau, ist zusammen mit ihren drei Kindern präsent. Sie wolle all den Frauen, denen das Gleiche angetan werde, ein Exempel sein, hatte sie zum Prozessbeginn vor zwei Wochen erklärt – denn nicht sie, sondern die Täter müssten sich schämen. Einer von ihnen soll Pélicots Verbrechen sogar an seiner eigenen Ehefrau wiederholt haben.

Frankreich: Hauptangeklagter fand Gleichgesinnte im Internet

Der Organisator der abstoßenden Soireen ist geständig. Dominique Pélicot wolle reden, sagte seine Anwältin. Am Mittwoch, als seine Einvernahme beginnen sollte, verließ er aber den Gerichtssaal; der Gefängnisarzt diagnostizierte eine Harnröhrenentzündung. Den Donnerstag und Freitag verbrachte er in Behandlung. In den sozialen Medien mutmaßen viele, der 71-jährige Ex-Elektriker wolle sich der Vernehmung entziehen. Pélicots Anwältin beteuert, ihr Klient werde am Montag oder Dienstag zurückkehren. Tut er das nicht, müsste der in jeder Hinsicht monströse, viermonatige Prozess mit über hundert Angeklagten, Anwälten und Nebenklägern möglicherweise vertagt werden.

Gisèle Pelicot
Gisèle Pelicot © AFP | Christophe Simon

In der Zwischenzeit hat das Gericht mehrere Psychologen angehört. Alle attestieren Pélicot eine extrem gespaltene Persönlichkeit. Gegen außen sei er der gutmütige Familienvater und Gatte, dahinter aber auch ein voyeuristischer Fetischist und dominanter Sadist, der sich daran errege, seine Frau von anderen Männern geschändet zu sehen.

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Deshalb kreierte er auf der einschlägigen, heute verbotenen Webseite „coco.fr“ den vielsagenden Ordner „gegen ihren Willen“. Schnell fand er Gesinnungsgenossen für seine expliziten Gewaltphantasien an Ehefrauen, unter Insidern „Caudalismus“ genannt. Pélicot lud sie in seine Villa in dem hübschen Provence-Dorf Mazan ein und filmte sie, wie sie seine betäubte Frau auf dem Ehebett missbrauchten. Zwischen 2011 und 2020 vergingen sich mindestens 82 Männer – von denen viele bis heute nicht identifiziert sind – an Gisèle Pélicot.

Ein Vergewaltiger setzte Methoden bei seiner eigenen Ehefrau ein

In Abwesenheit Pélicots widmete sich das Gericht diese Woche einem ersten Angeklagten, dem 63-jährigen Chauffeur Jean-Pierre M. Er soll Pélicots in dessen Chatraum kennengelernt haben. Seine Frau Cilia erklärte im Zeugenstand, sie sei von ihrem Mann und Pélicot ohne ihr Wissen zwischen 2015 und 2020 rund zwölfmal vergewaltigt und dabei stets gefilmt worden. In vier Fällen soll Pélicot nach Aussage seiner Verteidiger die nötigen Schlafmittel selbst mitgebracht haben. Nur einmal sei Cilia M. nach eigener Aussage aufgewacht, weil die Dosis offenbar zu gering war. Sie war noch angezogen, ihr Mann verlor sich in Ausflüchten. Unter Tränen erzählte die kurzhaarige, in Schwarz gekleidete Frau, ihr Mann sei „ein guter Gatte gewesen“, ihre fünf Kinder liebten ihn.

Anders als Pélicot, der aus der Mittelklasse stammt, lebt die siebenköpfige Familie M. in Armut. Beide Anklagte hatten jedoch als Kinder sexuelle Gewalt erlitten; in Pélicots Familie herrschten inzestuöse Verhältnisse, Jean-Pierre M. und seine Geschwister versteckten sich abends vor ihrem Vater, wenn er seine betrunken gemachte Frau vergewaltigte. Eine seiner Schwestern brachte sich um, eine andere versank in den Drogen.

Hauptangeklagter soll zwei Frauen ermordet haben

Abgründe der familiären und sozialen Misere tun sich auf. Sie entschuldigen nicht die kriminellen Akte, zumal die Gewalt an wehrlosen Personen laut französischen Recht ein erschwerender Umstand ist. Die Historikerin Christelle Taraud sagte am Rande des Prozesses, auch in unseren modernen Gesellschaften gebe es noch Spuren einer „Vergewaltigungskultur“. Täglich verfolgen Feministinnen die Gerichtsverhandlung, und für Samstag rufen ihre Verbände zu landesweiten Protestkundgebungen gegen die „traurige Banalität dieser Vergewaltiger-Profile“ auf.

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Ob sie wirklich so banal sind, muss sich weisen. Die Webseite coco.fr war nicht für harmlose Freizeit-Swinger gemacht, sondern klar für kriminelle Zwecke: Neben frauenfeindlichen und pädophilen Fantasien wurden dort zum Beispiel auch Drogen umgesetzt. Pélicot selbst wird sich nach dem Prozess in Avignon auch noch wegen des – in einem Fall unbestrittenen – Sexualmordes an zwei Frauen in den Jahren 1991 und 1999 verantworten müssen. Ein „Monsieur tout-le-monde“ (Herr Jedermann), wie ihn die französische Presse bezeichnet, war er sicher nicht.