Berlin. Nach dem Teileinsturz gilt die Carolabrücke in Dresden als akut einsturzgefährdet. Die Behörden haben erste Vermutungen zur Einsturzursache.
Für die Stadt Dresden war es ein böses Erwachen: Ein Teil der Carolabrücke ist in der Nacht zu Mittwoch in die Elbe gestürzt. 100 Meter Straßenbahnlinie, Fußgänger- und Radweg liegen im Fluss. Der Rest der Brücke: akut einsturzgefährdet. Die Feuerwehr rief die Menschen auf, der Brücke möglichst fernzubleiben. Auf und an der Brücke, so hieß es, „besteht Lebensgefahr“.
Feuerwehrsprecher Michael Klahre war einer der Ersten am Einsatzort, wie er am Donnerstagmorgen im Rahmen einer Pressekonferenz berichtete. Die Feuerwehr sei um 3.08 Uhr alarmiert worden. Eine erste Bestandsaufnahme habe einen etwa ein Meter großen Spalt am Brückenkopf offenbart. „Wir sind sehr froh, dass nach jetzigen Erkenntnissen keine Menschen zu Schaden gekommen sind“, so der Feuerwehrsprecher.
Noch während der Lageerkundung dann der nächste Schreck: „Es gab es einen lauten Knall und die Fernwärmeleitung brach“, berichtete Klahre. Heißes Wasser flutete demnach einen Teil des Terassenufers. Die Fernwärmeversorgung im gesamten Stadtgebiet war für Stunden unterbrochen. Der Betreiber arbeite „mit Hochdruck“ daran, das Problem zu lösen, hieß es von Seiten der Feuerwehr. Schon am Vormittag konnten die ersten Stadteile offenbar wieder ans Netz gehen.
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Brückeneinsturz in Dresden: Keine Bahn auf der Carolabrücke
Zum Zeitpunkt des Einsturzes befand sich keine Straßenbahn auf der Brücke. Somit seien keine Fahrgäste und Fahrzeuge zu Schaden gekommen, erklärte Christian Schmidt von den Dresdner Verkehrsbetrieben. Für gewöhnlich verkehren auf der Carolabrücke an Wochentagen auch nachts die Linien 3 und 7. „Die letzte Bahn hat die Brücke um 2.50 Uhr passiert“, so Schmidt. Also nur 18 Minuten vor dem Unglück.
Die Ursache des Einsturzes ist noch unklar. Polizisten, die an der nahegelegenen Synagoge im Objektschutz im Einsatz waren, hatten den Vorfall gemeldet. „Es gab ein großes, schweres Geräusch und der Boden hat gewackelt“, sagte Polizeisprecher Thomas Geithner. Eine solche Meldung am Morgen des 11. September – „da schrillen die Alarmglocken“, so Geithner. Wenn eine von Dresdens wichtigsten Brücken an diesem besonderen Tag einbreche, müsse man das „in einem anderen Kontext betrachten“. In den sozialen Medien kursierten bereits Videos mit arabischen Schriftzeichen, die einen mutmaßlichen terroristischen Hintergrund nahelegten. Diese Falschmeldungen werde man genauestens beobachten.
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Die Polizei geht indes von einem Unglück aus. Hinweise auf Fremdeinwirkung gebe es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine und dementsprechend auch kein Ermittlungsverfahren. Nun gehe es zunächst um die Ursachenforschung, so Sprecher Thomas Geithner weiter. Sollte sich herausstellen, dass Fehler gemacht worden seien, würde ein Strafverfahren eingeleitet. „Aber diese Anhaltspunkte fehlen im Moment.“ Sabotage? Laut den Verantwortlichen Stand jetzt „ausgeschlossen“. Durch die Einsturzgefahr sei es den Ermittlern noch nicht möglich gewesen, die Brücke zu betreten. Beamte hätten jedoch damit begonnen, Anwohner zu befragen, ob sie an der Brücke verdächtige Personen beobachten konnten, so der Sprecher.
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Eine Vermutung zur Einsturzursache äußerte indes Holger Kalbe, Projektleiter im Straßen- und Tiefbauamt Dresden und zuständig für die Brücken in der sächsischen Landeshauptstadt. Ein möglicher Einsturz der Carolabrücke sei ein „Risiko, mit dem wir uns seit vielen Jahren auseinandersetzen“, so Kalbe gegenüber Pressevertretern.
Die dreizügige Spannbetonbrücke wurde 1971 fertiggestellt. Auf den Brückenzügen A und B verlaufen je zwei Autospuren. Der dritte Brückenzug C war bislang Straßenbahnen, Radfahrern und Fußgängern vorbehalten. Zwischen 2019 und 2021 wurde der östliche Brückenzug saniert, von 2022 bis Sommer 2024 der mittlere Brückenteil. Der westliche, nun eingestürzte Teil, sollte 2025 an der Reihe sein. Laut einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ soll dessen Zustand bei einer Überprüfung Anfang des Jahres für „nicht ausreichend“ befunden worden sein. Nichtsdestotrotz war am 2. September ein mehrmonatiger Verkehrsversuch auf der Brücke angelaufen, mit dem der künftige Verlauf des Fahrradweges ausgelotet werden sollte. Das Ziel: Die Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer sicherer machen.
Insgesamt rund 20 Millionen Euro sollten in die Sanierung der Carolabrücke fließen. „Dass der Zustand im Brückenzug C so schlimm ist, dass es zum Einbruch gekommen ist, war nicht klar“, sagte ein sichtlich angegriffener Holger Kalbe am Mittwochmorgen. „Man steckt in so einem Bauwerk halt nicht drin.“ Als er jedoch die Schadstelle gesehen habe, sei ihm die mögliche Ursache gekommen. Zu DDR-Zeiten habe es im Zug C durch fehlende Wartung eine massive Chlorid-Einlagerung gegeben. Inzwischen sei ein Chlorid-Entzug vorgenommen worden. An der Bruchstelle befinde sich jedoch ein Mast der Verkehrsbetriebe. „Es ist denkbar, dass Chloride massiv eingedrungen sind und im Innern der Brücke zu einer Korrosion der Bewehrung geführt haben.“ Soweit zumindest Kalbes erste, „im kaffeelosen Zustand“ angestellten, Vermutungen.
Auch am Querriegel, der den Zug C mit A und B verbindet, könnte demnach ein Schaden entstanden sein, der die Stabilität der gesamten Brücke beeinträchtigen könnte. „Deshalb wird es kurzfristig keine Freigabe der beiden Züge geben.“ Auch das Terrassenufer und der Elbradweg müssten fürs Erste gesperrt bleiben. Wie lange? Zum Ende der Woche könne man vielleicht genauere Aussagen treffen.
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„Unser Hauptanliegen ist es jetzt, eine Gefahr für die Züge A und B auszuschließen und eine Zustandsanalyse vorzunehmen“, so Kalbe. Nach der Analyse gelte es, den „aktuell hochgradig gefährdeten“ Zug C und mögliche weitere betroffene Brückenteile zu sichern. „Wenn das geschafft ist, muss ein Abbruchkonzept erarbeitet werden für das Teil, das in der Elbe liegt“. Dann erst könne man überhaupt über einen Neubau nachdenken.
In der Nacht zu Donnerstag haben die Sicherungsarbeiten begonnen. Die Stadtverwaltung teilte mit, dass Spezialisten unter einem Auflagepunkt der Brücke einen sogenannten Bock bauten, welcher das Bauwerk stütze. Mit der Unterstützung des Technischen Hilfswerkes (THW) sollen die gleichen Stützarbeiten auf der anderen Elbseite erfolgen. Nach eigenen Angaben des THW sind aktuell mehr als 50 Helferinnen und Helfer im Einsatz.
Neusten Einschätzungen der Feuerwehr zufolge, sei der eingestürzte Brückenteil C der Carolabrücke jedoch nicht mehr zu halten. Nach Feuerwehrsprecher Michael Klahre werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um den kontrollierten Abriss vorzubereiten.
Autofahrer müssen mit Verkehrschaos rechnen
Durch den Teileinsturz fällt in der Stadt eine wichtige Verkehrsader weg. Umleitungen seien zwar eingerichtet, sagte ein Sprecher der Feuerwehr. Autofahrer und andere Verkehrsteilnehmer müssten sich zunächst aber auf ein Chaos im Berufsverkehr einstellen. Nicht nur die Brücke ist gesperrt, auch die umliegenden Straßen und die Wege, die unter der Brücke hindurchführen. Auch Schiffe dürfen nicht fahren. Stefan Bloch, Geschäftsleiter der Weißen Flotte Sachsen, sprach von einem „finanziellen Desaster“.
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Sorge bereitet auch der Blick auf die Wetterlage: Es gebe Kenntnis über eine mögliche Unwetterlage im Osten, so Michael Klahre von der Feuerwehr Dresden. Ein Hochwasser könnte die Aufräumarbeiten an der Brücke erschweren. Konkrete Maßnahmen würden sich daraus zunächst nicht ableiten, hieß es. Es gebe einen Abwehrplan, der im Ernstfall greife. „Wir sind sensibilisiert und vorbereitet, so Klahre. Eine Wetter- oder gar Hochwasserwarnung besteht für den Freistaat Sachsen jedoch bislang nicht.
Bis auf Weiteres bat die Feuerwehr die Bevölkerung, den Bereich weiträumig zu meiden und die Einsatzkräfte nicht zu behindern. „Gegenwärtig finden sich die Sachverständigen der einzelnen Gewerke, der Stadtverwaltung und aller beteiligten Partner ein, um das weitere Vorgehen zu besprechen“, hieß es weiter. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zeigte sich erleichtert, dass bei dem Unglück niemand zu Schaden gekommen ist. Es sei nicht auszudenken, wenn es am Tag passiert, Straßenbahn und Autos auf der Brücke gewesen wären. Er habe „richtig Gänsehaut“ bei „dieser schrecklichen“ Vorstellung.
Doch der Ministerpräsident zeigte sich zuversichtlich, was den Wiederaufbau anging: „Es ist kein Hexenwerk, eine neue Brücke drüberzulegen“, so Kretschmer. Bürgermeister Jan Pratzka brachte die Lage etwas nüchterner auf den Punkt: „Es ist ein großer Verlust, dass die Brücke fehlt und wir müssen sehen, was das für Folgen haben wird.“
mit dpa