Berlin. Drei queere Menschen im Handwerk erzählen: Wie stark die Macho-Kultur noch ist, welche Hürden es gibt und wie wichtig das eigene Outing ist.
Der Frisörmeister um die Ecke ist schwul, der Maurer hetero. Stimmen diese Handwerk-Klischees im 21. Jahrhundert überhaupt noch? Während die Gesellschaft insgesamt offener wird, scheint in manchen Handwerks-Branchen, besonders den körperlich anspruchsvolleren, die Diversität der sexuellen Orientierungen noch immer ein heikles Thema zu sein. Genaue Zahlen zur Verteilung verschiedener sexueller Identitäten unter den insgesamt 5,6 Millionen Handwerkern in Deutschland fehlen. Doch beinahe niemand traut sich, im Job vorzutreten und offen über die eigene Sexualität zu sprechen, sofern sie von der Mehrheitsnorm abweicht.
Unserer Redaktion ist es gelungen, mit drei Menschen im Handwerk zu sprechen, die ihre queeren Identitäten nicht länger verstecken. Ihre Geschichten zeigen, wie ein Coming-out nicht nur persönlich befreiend sein kann, sondern auch das Arbeitsumfeld positiv verändert.
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Ben Berger: Der Tischler und Content Creator aus Landau
Nach meiner Erfahrung ist das Handwerk eine Branche der Extreme: Es gibt die sehr progressive Bewegung, unter anderem bei mir in der Tischler-Szene. Als ich als Azubi anfing, hat meine Chefin mich direkt am ersten oder zweiten Tag gefragt, ob ich zur Weihnachtsfeier komme und dann, ob ich meine Freundin oder meinen Freund mitbringe. So hatte ich relativ schnell mein Outing und es war gar kein Problem. Mit meiner Chefin hatte ich echt Glück. Es gibt aber auch noch die vom alten Schlag. Die sträuben sich gegen alles, was anders ist als noch vor 40 Jahren. Da wird jemand, der etwas nicht gleich hinbekommt, als „Pussy“ oder „Schwuchtel“ beschimpft wird. Das ist kein Safe Space.
„Es gibt nicht nur die klassischen, supermaskulinen Macho-Männer. Die sind nur sehr laut, die Branche ist voll von Alpha-Tieren. “
Trotzdem gibt es ganz viele, die total tolerant sind. Es gibt nicht nur die klassischen, supermaskulinen Macho-Männer im Handwerk. Die sind nur sehr laut, die Branche ist voll von Alpha-Tieren. Da muss man mit Selbstbewusstsein gegenhalten. Ich bin zuallererst Handwerker und zeige auch auf den Sozialen Medien vor allem meine Arbeit. Meine Erfahrung ist, wenn ich mir meinen Respekt erst einmal erarbeitet habe, dann reagieren die meisten gut auf meine Homosexualität.
Ich habe da nie ein Geheimnis daraus gemacht. Im Handwerk zählt vor allem die Leistung. Man muss Privates und Berufliches nicht mehr strikt trennen. Nur auf Social Media bekomme ich manchmal negative Kommentare, da fehlt den Leuten die Hemmschwelle. Doch sobald man denen einmal antwortet, sind die auch ruhig.
Alain Rappsilber: Der Schornsteinfegermeister aus Berlin-Kreuzberg
Ich musste mich erst 1994 gegen den Innungsvorstand in der Meisterprüfung durchkämpfen. Und 2012, als ich dann zum Bezirksmeister bestellt wurde, wollten sie immer noch keinen „schwulen“ Betrieb. In dem Jahr habe ich auch einen Film mit Rosa von Praunheim zu meiner Homosexualität gedreht. Spätestens dann wussten ja alle Bescheid. Kunden haben mir dann gesagt, dass sie keinen schwulen Schornsteinfeger wollen. Ein, zwei haben mir dann auch direkt gekündigt. Doch inzwischen habe ich schon seit dreizehn Jahren meinen eigenen Betrieb in Kreuzberg und setze mich für das Thema ein. Und auf Veranstaltungen bekomme ich auch heute noch Kommentare, aber die ignoriere ich.
„Ich kenne viele schwule Handwerker, aber die wollen sich in ihren Berufen nicht als schwul bekennen.“
Es scheitert auf jeden Fall nicht an der Vielfalt im Handwerk. Ich kenne viele schwule Handwerker, aber die wollen sich in ihren Berufen nicht als schwul bekennen. Das liegt viel an den Einstellungen, die man aus dem Elternhaus mitbringt. Ich fände es zum Beispiel sinnvoll, schon an den Berufsschulen anzusetzen und dort in den Kursen präventiv zu arbeiten. Gesellschaftsstunden einführen, aufklären, Normalität für Vielfalt schaffen.
Mit Carola Zarth als Präsidentin der Handwerkskammer haben wir in Berlin eine Frau, die versucht, etwas zu verändern. Aber die meisten in Vorstandspositionen stehen dort kurz vor der Rente. Die trauen sich nicht mehr, Flagge zu zeigen, sind vorsichtig. Doch die Generationen, die jetzt ins Handwerk einsteigen, zeigen: Es wird besser. Im Handwerk braucht einfach alles ein bisschen mehr Zeit.
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Mare Kogge: Die Kirchenmalermeisterin in Chiemgau
Für mich gibt es nichts Erfüllenderes, als etwas mit meinen Händen zu schaffen. Ich würde mich auch im nächsten Leben wieder für ein Handwerk entscheiden, dann vielleicht Bühnenmalerin, Glasbläserin oder Steinmetzin. Vor zwölf Jahren habe ich mich auch als Steinmetzin beworben, doch nur Absagen bekommen. Als ich dann anrief und nachfragte, warum, hieß es: Ja, wir schreiben für Frauen aus, aber wir stellen keine ein. Das würden sie schon an meinen Oberarmen auf dem Bewerbungsfoto sehen, die wären viel zu dünn und schwach. Das ist so ein Quatsch!
Leider hat sich daran bis heute nicht viel geändert. Mich hat vor einigen Wochen eine junge Schreinerin in Ausbildung angerufen und mir erzählt, dass es in ihrem Betrieb keine Toilette für sie gibt. Ihr Chef habe ihr dann gesagt: Du musst hinter dem Holzscheit im Hof pinkeln.
„Ja, wir schreiben für Frauen aus, aber wir stellen keine ein. Das würden sie schon an meinen Oberarmen auf dem Bewerbungsfoto sehen, die wären viel zu dünn und schwach.“
Das sind Zustände, die würde man im 21. Jahrhundert eigentlich gar nicht mehr erwarten. Deshalb habe ich vor sieben Jahren meinen eigenen Malermeister-Betrieb gegründet. Da sorge ich dann selbst für ein cooles und lockeres Umfeld. Aber auch nach sieben Jahren werde ich bei einem Auftrag gefragt: „Wo ist denn der Chef?“, oder bekomme einen Schulterklopfer mit den Worten „Toll, dass Sie schon richtig mitarbeiten‘‘. Es gibt noch viel Staub, den wir vom Handwerk pusten müssen.
Deshalb empfehle ich allen, die am Handwerk überlegen: Schaut euch den Betrieb an. Wie ist die Webseite? Instagram? Wie divers ist das Team? Da bekommt man in der Regel schon einen ganz guten, ersten Eindruck. Und stellt Fragen, vertraut auf euer Bauchgefühl. Ansonsten hat das „Bunte Handwerk“ auch Verbindungen zu Ausbildungsberatungsstellen, die helfen können, den richtigen Betrieb zu finden.
Wo gibt es Hilfe bei Diskriminierung im Handwerk?
Unterstützung für queere Handwerker gibt es vom Verein „Buntes Handwerk“. Er ist per Mail (info@bunteshandwerk.de) oder über seinen Instagram-Account @buntes.handwerk zu erreichen. Das Netzwerk Azubihilfe setzt sich für bessere Bedingungen der Ausbildungsbedingungen und gegen Diskriminierung ein, erreichbar über Instagram (@azubihilfe_netzwerk).
Weitere Schritte können sein: Den Betriebsrat einschalten, sich an eine Gewerkschaft oder die Antidiskriminierungsstelle des Landes wenden und die eigenen Rechte kennen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt seit 2006 vor Antidiskriminierung in Deutschland.