Lüneburg/Winsen. Der US-Konzern darf den Betriebsratschef entlassen – so entschied nun das Arbeitsgericht Lüneburg. Wie es in Winsen weitergeht.

Darf Amazon den Betriebsratschef des Logistikzentrums in Winsen fristlos entlassen – trotz besonderen Kündigungsschutzes? Mit dieser Frage hat sich am Mittwoch das Arbeitsgericht Lüneburg beschäftigt – und am Nachmittag zugunsten des US-Konzerns entschieden. Eine außerordentliche Kündigung sei zulässig, urteilte der vorsitzendende Richter Ralf Ermel. „Die Kammer hat entschieden, dass ein wichtiger Grund vorliegt“, sagte er bei der Urteilsverkündigung.

Dass der Betriebsratsvorsitzende Detlev Börs einem Fortbildungskongress in Bonn im November 2022 teilweise fernblieb, sei „eine schwerwiegende Pflichtverletzung“ gewesen. Er habe zudem nicht plausibel darlegen können, dass er – wie gegenüber dem Arbeitsgericht angegeben – während der Abwesenheit anderweitigen Betriebsratstätigkeiten nachgegangen sei.

„Aufgeben ist keine Option“, sagte Börs nach der Verhandlung. Er sei von dem Urteil nicht schockiert, hätte sich jedoch gewünscht, dass der Richter sich ein genaueres Bild der Dinge macht. „Wir werden Beschwerde einlegen und vor die nächste Instanz ziehen“, so Börs. Die Kündigung kann Amazon erst aussprechen, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Darüber würde im nächsten Schritt das Landesarbeitsgericht in Hannover entscheiden.

Amazon: Börs nimmt lediglich an einem von drei Kongresstagen teil

Von Amazon hieß nach dem Gerichtstermin: „Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung ersetzt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu weiteren Details in Personalangelegenheiten nicht äußern.“

Der Winsener Betriebsratsvorsitzende Detlev Börs war im November 2022 mit drei weiteren Betriebsratsmitgliedern zum Deutschen Betriebsrätetag in Bonn (8. bis 10. November) gereist. Die Reise- und Hotelkosten trug Amazon. Börs nahm lediglich am ersten Kongresstag am 8. November teil und blieb der Veranstaltung in den folgenden Tagen fern, weil sie „keinen Mehrwert“ habe, wie Richter Ermel zu Beginn der Verhandlung vortrug.

Amazon-Betriebsratschef reist stattdessen nach Düsseldorf und trifft Ex-Frau

Wie sich in dem Verfahren herausstellte, war der Betriebsratschef mit dem Zug nach Düsseldorf gereist – dort traf er auch seine Ex-Frau und übernachtete in ihrer Wohnung. Vor dem Treffen habe er in einem Café und später in der Wohnung Betriebsratsarbeit verrichtet.

In seinem Arbeitszeitnachweis gab Börs laut Arbeitsgericht für den 9. November Arbeitsphasen zwischen 13 und 16 Uhr sowie zwischen 19 und 22 Uhr an. Für diese Tätigkeiten anstelle der Fortbildungstagung sah das Lüneburger Arbeitsgericht „keinen konkreten Anlass“ und „keine hinreichende Wahrscheinlichkeit“ – und stimmte der Entlassung durch Amazon zu. Bereits das Fernbleiben sei „ein schwerwiegender Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten“, heißt es schriftlich in der Pressemitteilung des Gerichts. „Darüber hinaus besteht nach Überzeugung der Kammer zumindest der dringende Verdacht, dass der Betriebsratsvorsitzende in seinem Arbeitszeitnachweis für den 9.11.2022 bewusst falsche Angaben gemacht hat.“

Amazon-Anwalt erteilt einer gütlichen Einigung eine Absage

Amazons Personalabteilung war von anderen Betriebsratsmitgliedern von den Vorgängen in Bonn und Düsseldorf unterrichtetet worden und leitete am 24. November eine fristlose Entlassung ein. Direkt kündigen konnte das Unternehmen Börs nicht, weil dieser als Betriebsratsmitglied Sonderkündigungsschutz genießt. Eine notwendige Zustimmung verweigerte der Winsener Betriebsrat (17 Mitglieder), woraufhin Amazon sich dafür entschied, die Zustimmung vor dem Arbeitsgericht Lüneburg zu erstreiten – mit Erfolg, wie jetzt klar ist.

In der Verhandlung erteilte der Amazon-Anwalt einer gütlichen Einigung eine Absage. Richter Ermel hatte vor der Beratung der Kammer ein Entgegenkommen beider Parteien ins Spiel gebracht – etwa in der Form, dass Detlev Börs eine Abmahnung für die Pflichtverletzung bekomme und akzeptiere.