Harburg/Buxtehude. Krankenhäuser im Hamburger Süden verzeichnen Geburten-Anstieg. Dabei spielt Pandemie eine andere Rolle als erwartet.
Eigentlich hatte Leonie an einem Freitag zur Welt kommen sollen. Per Kaiserschnitt. Denn die Kleine lag nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Po im Becken. Der Geburtstermin war auf die Minute genau geplant; gute Organisation erleichtert den Klinikalltag. Doch es kam anders.
Die Wehen setzten bereits am Dienstag ein. Leonie wollte rasch ans Licht. Sie brachte nicht nur ihre Eltern auf Trab, sondern auch Mediziner und Pflegepersonal des Buchholzer Krankenhauses. Denn dort sahen zeitgleich noch vier andere Frauen ihrer Entbindung entgegen. „Es musste eine weitere Hebamme einbestellt werden und wir verbrachten die ersten Stunden nach der Geburt in einem Aufwachraum, weil alle Kreißsäle sofort wieder belegt wurden“, berichtet Leonies Vater.
Marke von 1000 Geburten ist in Buchholz erreichbar
Der Andrang an Leonies Geburtstag war offenbar keine Ausnahmeerscheinung. „Wir werden in diesem Jahr sicherlich die magische 1000-Geburten-Marke erreichen“, sagt eine Buchholzer Hebamme stolz. Und Buchholz ist kein Einzelfall. Wer in den Krankenhäusern der südlichen Metropolregion nachfragt, hört meist die gleiche Aussage: Es gibt einen regelrechten Babyboom. „Ich habe eben auf der Geburtsstation angerufen. Aber keiner hat Zeit für ein Gespräch, denn alle Kreißsäle sind belegt“, vermeldet die Sekretärin des Krankenhauses Winsen.
Auch die Helios Klinik Mariahilf in Harburg verzeichnet einen Geburtenanstieg gegenüber den Vorjahren. Im ersten Halbjahr 2021 kamen hier 809 Babys zur Welt. Im Vorjahr waren es 776. Der Kindersegen scheint sich dabei nicht allein auf die als Geburtstermin beliebten Frühjahrs- und Sommermonate zu beschränken.
Kein signifikanter Anstieg der Geburten im ersten Lockdown
Schon im Februar hatte sich laut statistischem Bundesamt eine leichte Zunahme der Geburten angedeutet, nach vorläufigem Stand ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zu Februar 2020. Im März kamen bundesweit 65.903 Kinder zur Welt, so viele wie zuletzt 1998. Im Vergleich zum März 2020 bedeutet die Geburtenzahl einen Anstieg um etwa zehn Prozent. „Der Anstieg steht in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abflachen der ersten Welle der Corona-Pandemie in Deutschland und den Lockerungen ab Anfang Mai 2020. Ein Blick auf die Zahlen vom Jahresbeginn zeigt, dass während des ersten Lockdowns offenbar nicht mehr Kinder gezeugt wurden als sonst: Im Januar 2021 lagen die Geburtenzahlen noch in etwa auf Vorjahresniveau“, so die Statistik-Experten.
Kinder, die jetzt geboren werden, wurden im Oktober gezeugt, als die Inzidenz bereits wieder deutlich anstieg und ein zweiter Lockdown absehbar war. Gibt es trotzdem einen Zusammenhang? „Unsere Tochter ist ein lang ersehntes Wunschkind, ihre Geburt hat nichts mit der Pandemie zu tun. Aber wir haben Freunde, die ihre Familienplanung extra wegen Corona vorgezogen haben“, erzählen Leonies Eltern. Im Fall des befreundeten Paares standen ursprünglich die berufliche Karriere und Reisen im Vordergrund. Dann kam die Corona-Pandemie, die Erkundung fremder Länder rückte in weite Ferne. Das Paar nutzte die Zeit Zuhause anders und erwartet seinen Nachwuchs nun im November.
Familie als Insel der Sicherheit und Verlässlichkeit
Die Krise wirkt durchaus unterschiedlich auf die Menschen. Während einige Beziehungen durch Existenzängste, gesellschaftliche Isolation und ein Zuviel an partnerschaftlicher Nähe belastet sind oder daran zerbrechen, werden andere Paare durch Fokussierung aufeinander enger zusammengeschweißt. Die durch die Pandemie ausgelöste Unsicherheit hat sicherlich auch potenzielle Elternpaare dazu bewogen, den Kinderwunsch aufzuschieben oder ganz ad acta zu legen. Aber offenbar befördert Corona bei vielen anderen die Sehnsucht nach innerer Stabilität. Sie wünschen sich eine Insel der Sicherheit und Verlässlichkeit, wie sie in Zeiten des Ausnahmezustands die eigene Familie zu geben vermag.
Bei allem Glück über den heranwachsenden Erdenbürger – natürlich hatten auch Leonies Eltern während der Schwangerschaft Sorgen und Ängste. Wie würde die Pandemie sich entwickeln? Was wäre, wenn sich die werdende Mutter mit dem Virus infizierte? Sollte sie sich auf eigenen Wunsch gegen Covid-19 impfen lassen, auch ohne Empfehlung der Ständigen Impfkommission? Und vor allem: Wie würde eine Geburt unter Covid-Bedingungen ablaufen?
Videokonferenzen von der Geburtsstation
Die Corona-Situation ist sowohl für Schwangere als auch für Hebammen und behandelnde Ärzte eine besondere Herausforderung. Gerade zu Beginn der Pandemie, als die Kliniken ein Besuchsverbot verhängen mussten und die werdenden Väter ausschließlich zur Geburt dabei sein durften, mussten sich die Hebammen und das pflegerische Fachpersonal noch intensiver um die Mütter und die Neugeborenen kümmern.
„Uns war und ist bewusst, was für eine wichtige Rolle die vertraute Person nicht nur während der Geburt des Kindes, sondern auch danach spielt“, sagt Claudia Stamer, Hebamme im Elbe Klinikum Buxtehude. „Wir haben versucht, diese Aufgabe so weit es geht auszugleichen, und haben es sehr wertgeschätzt, dass zu dieser Zeit zumindest der Kontakt durch Videokonferenzen nach Hause möglich war.“ Um zusammen als Familie in die neue Aufgabe zu wachsen, hätten sich in dieser Zeit mehr Gebärende als sonst für eine ambulante Entbindung entschieden.
Viele Frauen verlassen Kliniken ein bis zwei Tage früher als üblich
Zudem hätten viele Frauen die Klinik ein bis zwei Tage früher als üblich verlassen, erklärt die Hebamme des Buxtehuder Elbe-Klinikums. „Mittlerweile können auch die Familienzimmer wieder belegt werden, oder der Vater kann seine Partnerin und das Neugeborene täglich eine längere Zeit besuchen. Durch die Möglichkeit von Schnelltests und die fortgeschrittenen Impfungen haben wir eine sehr hohe Sicherheit, die das ermöglicht.“
Als Partner einer Schwangeren war auch Leonies Vater frühzeitig impfberechtigt gewesen und genoss schon zwei Monate vor der Geburt vollen Impfschutz. Ein Besucherausweis ermöglichte es ihm, Frau und Kind jederzeit zu sehen. Außer nachts. Denn alle Familienzimmer waren angesichts des Babybooms belegt. Sobald sich ihre Mutter von der Operation nach dem Kaiserschnitt erholt hatte, am dritten Lebenstag, verließ Leonie deshalb das Krankenhaus wieder. So unerwartet schnell, wie sie auf die Welt gekommen war.