Buchholz. TSV Buchholz 08 arbeitet mit großem Aufwand an einem Projekt gegen Sexualisierte Gewalt. Bald sind 60 Personen aus allen Bereichen geschult.
Man stelle sich folgende Situation vor: Das Training ist beendet, der Trainer räumt Utensilien zusammen, die Spielerinnen ziehen sich in der Kabine um, einige duschen. Plötzlich Schreie aus der Kabine: Ein Mädchen ist gestürzt und liegt blutend am Boden. Was tun? Für einen männlichen Trainer wäre es keine gute Idee, unvermittelt in die Kabine zu stürmen. Die jungen Frauen könnten unbekleidet sein und sich in ihrer Privatsphäre verletzt fühlen. Der Trainer möchte sich später nicht vorwerfen lassen, die Situation ausgenutzt zu haben. Andererseits ist er als Aufsichtsperson verpflichtet zu helfen.
„Darüber sprechen, hinschauen und für das Thema sensibilisieren“
Um es in Situationen wie dieser (und vielen anderen) gar nicht erst zu unangenehmen Folgen für die Beteiligten kommen zu lassen, hat der TSV Buchholz 08 ein Präventionsprojekt gegen Sexualisierte Gewalt im Verein auf den Weg gebracht. „Uns geht es nicht darum, ein Regelwerk aufzustellen. Wir wollen darüber sprechen, wollen hinschauen und alle Sportlerinnen, Sportler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verein für das Thema sensibilisieren“, sagte der Vorsitzende Holger Petruschke.
Der Pädagoge begleitet das Thema seit 35 Jahren, ebenso lange begleitet es ihn. „Sexualisierte Gewalt begegnet uns in jedem Bereich der Gesellschaft: in der Kirche, bei der Arbeit, in der Familie, beim Sport. Das bedeutet nicht, dass es sie in unserem Verein gibt. Buchholz 08 ist seit jeher gegen jede Form von Gewalt. Wir müssen nur genauer hingucken“, so Petruschke. Das Präventionsprojekt ist Teil der Strategie von Buchholz 08, die da lautet: „Mit Tradition ins nächste Jahrzehnt“.
Nadine Becher aus Ramelsloh bringt ihre Erfahrungen ein
Bei ihrer Recherche, wie man das Thema am besten angehen kann, sind die Vorstandsmitglieder auf ein Programm des Landessportbundes (LSB) und der Sportjugend in Niedersachsen gestoßen, in dem die einzelnen Schritte genau erklärt werden. Motto: „Schweigen schützt die falschen“. Erfahrung und Expertise hat sich Projektleiterin Daniela Petruschke in Person von Nadine Becher (MTV Ramelsloh) und Kenneth Dittmann, einem freiberuflichen Experten für Kinder- und Jugendschutz, ins Boot geholt. Daniela Petruschke, im Vorstand von Buchholz 08 zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Ehefrau von Holger, bezeichnet die beiden als „unser Schulungstandem“. „Uns war es ein besonderes Anliegen, das Programm im Verein zu initiieren“, sagt die Bildungswissenschaftlerin.
Aus der Zusammenarbeit erwachsen ist ein Sechs-Punkte-Papier: Im ersten Schritt wurde ein Schriftstück mit der Haltung des Vereins ausgearbeitet. „Gewalt ist ein No-Go, wir missbilligen sie jeder Form und werden entschieden dagegen vorgehen“, lautet die Kernaussage. Sportlerinnen und Sportler sollen ihre körperlichen Betätigungen ohne „komisches Gefühl“ erleben können.
Expertise vom Deutschen Kinderschutzbund und Landessportbund
Obwohl jede Trainerin und jeder Trainer seit Jahren ein aktuelles Führungszeugnis vorlegen muss, will Buchholz 08 die Kultur im Verein zum „Hingucken“ verschärfen. Das leitet über zum zweiten Schritt: Derzeit werden alle Vorstände, Abteilungsleitungen, Trainerinnen und Trainer, Angestellte des Vereins von der Geschäftsstelle bis zu den Hausmeistern durch den Deutschen Kinderschutzbund und den Landessportbund geschult.
„Ziel ist es, dass wir alle Netzwerkknoten geschult und sensibilisiert haben“, sagt Daniela Petruschke. Demnächst werden 60 Personen die Schulung durchlaufen haben. Wenn man weiß, dass der Sportverein etwa 200 Übungsleiter beschäftigt, wird dieser Punkt noch mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen.
Risikoanalyse und Entwicklung eines Handlungsleitfadens
Parallel angelaufen ist der dritte von sechs Schritten. Zehn Kontaktpersonen aus allen Bereichen des Vereins, sie stellen einen repräsentativen Querschnitt dar, werden als direkte Ansprechpartner ausgebildet. „Für die Betroffenen soll die Hemmschwelle möglichst klein sein, sich an diese Kontaktpersonen zu wenden. Gemeinsam werden Ereignisse sortiert, besprochen und erste Schritte eingeleitet“, so Petruschke.
Die drei weiteren Maßnahmen liegen noch weiter in der Zukunft. Darin geht es um die Durchführung einer Risikoanalyse und Entwicklung eines Handlungsleitfadens. Es geht um die Überprüfung der Eignung und um Nachbesserungen – Stichwort: „Ist allen Personen im Verein das Thema immer präsent?“ – und im sechsen Schritt schließlich um eine Verstetigung der Maßnahmen.
Junge Menschen brauchen Anlaufstelle für Fragen, Hinweise und Erfahrungen
Zusammenfassend beschreibt Holger Petruschke den Ansatz so: „Es geht uns in erster Linie darum, dass junge Menschen eine Anlaufstelle für ihre Fragen, Hinweise und Erfahrungen im eigenen Verein haben. Auch Eltern und Mannschaftsverantwortliche sollen mit ihren Ängsten und Unsicherheiten zukünftig nicht mehr allein stehen.“ Eines ist dem Vorsitzenden wichtig: „Das Projekt will nicht verurteilen. Wir wollen dadurch nur aufklären.“ Projektleiterin Daniela Petruschke betont den präventiven Charakter: „Wir hoffen, dass sich viele kritische Situationen vermeiden lassen.“
Laurin Jung ist einer, der die Schulung durchlaufen hat. „Ich habe gute Anregungen zur Selbstreflexion bekommen“, sagt der Jugendtrainer einer Hockeymannschaft. „Nun stelle ich mir Fragen wie: Was macht mein Verhalten mit den Jugendlichen? Wie ist das Verhältnis zu den Eltern? Was wäre, wenn ich mit Vorwürfen konfrontiert werden sollte?“
Schulung bietet gute Anregungen zur Selbstreflexion
In der eingangs beschriebenen Situation würde Laurin Jung übrigens von außerhalb der Kabine fragen, wie viel seine Spielerinnen anhätten und ob er reinkommen dürfe, um der verletzten Schülerin zu helfen. „Wenn möglich, würde ich eine weibliche Betreuerin oder eine Mutter, die vielleicht am Platz gewartet hat, mit in die Kabine nehmen.“ Die Ankündigung „Ich komme jetzt rein“ sei ebenso wichtig, meint Daniela Petruschke, damit die Jugendlichen nicht überrascht sind.