Harburg. Gegen den Corona-Trend und im Unterschied zum Hamburger Durchschnitt steigen die Zahlen. Was der Grund für die Entwicklung sein könnte.
Harburg trotzt dem Trend: Während in allen anderen Hamburger Bezirken die Kriminalität im vergangenen Jahr verglichen mit 2019 entweder zurückging oder nur leicht anstieg, stieg sie im Bezirk Harburg deutlich, konkret um acht Prozent. Das lässt sich aus dem Stadtteilatlas zur polizeilichen Kriminalitätsstatistik ablesen, der seit kurzem zur Verfügung steht. Warum ist Harburg da so einzigartig?
16.254 Straftaten zählte die Polizei 2020 im Bezirk, das sind 1293 mehr als im Vorjahr und es ist eine Straftat auf jeden zehnten Einwohner. Pro Kopf am meisten Straftaten, nämlich eine auf jeden vierten Bürger, hat Hamburg-Mitte. Aber Harburg liegt im Verhältnis der Verbrechen zur Einwohnerzahl schon auf dem zweiten Rang. Einzelne Stadtteile sind besonders auffällig, je nach Delikt. Die gute Nachricht: Auch in Harburg konnte man sich 2020 gefahrloser auf die Straße trauen als im Vorjahr: Es gab nur 48 Raubüberfälle – ein Rückgang von fast einem Viertel.
Viele Drogendelikte in Harburg
Bei näherem Hinsehen fällt allerdings auf, dass es besonders die zentralen Stadtteile Harburgs sind, in denen die Kriminalität statistisch gestiegen ist. Dabei sind es vor allem Drogendelikte, die in der Statistik verstärkt auftauchen: Allein im Stadtteil Harburg wurden 335 „allgemeine Drogendelikte“ – damit ist der Besitz und Konsum von Rauschgift gemeint – festgestellt und 65-mal der Handel mit Drogen. Das entspricht einer Steigerung von 41 Prozent beim Konsum und 54 Prozent beim Handel.
Was die Zahlen nicht verraten, ist, woher das kommt. Der Leiter des Polizeikommissariats 46 an der Lauterbachstraße vermutet dahinter sogar einen Erfolg: „Wir haben ja im vergangenen Sommer auf Anregung des Bezirksamts einen Schwerpunkteinsatz im Phoenix-Viertel gestartet“, berichtet Dirk Noetzel. „Dabei haben wir unsere Präsenz dort deutlich erhöht. Das führt automatisch dazu, dass wir mehr Delikte feststellen.“
Beschwerden über Gewalt und Drogenszene
Das Sozialdezernat des Bezirksamts hatte sich 2020 an die Polizei gewandt, um Beschwerden von Anwohnern über Gewalt und Drogenszene im Phoenix-Viertel nachzugehen. Die Polizei zeigte sich daraufhin mehr im Viertel und startete eine Aufmerksamkeitskampagne. Zum Auftakt wurde sogar die Reiterstaffel ins Quartier geholt, um Sympathiepunkte für die Polizei zu sammeln.
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Auch die bürgernahen „Beamten im besonderen Fußstreifendienst“ drehten mehr Runden durch das Quartier. Mit Erfolg: Nicht nur, dass den Polizisten selbst mehr auffiel, auch die Meldungen durch Anwohner wurden häufiger. Dadurch, dass man nicht mehr zur Polizei musste, sondern die Polizei schon da war, sank die Hemmschwelle.
„Wo man mehr hinsieht, findet man auch mehr“
Einen besonderen Gewaltschwerpunkt konnte die Polizei dabei für das Phoenix-Viertel nicht feststellen, aber der starke Anstieg der Drogendelikte in der Statistik hängt sehr wahrscheinlich mit dem Schwerpunkteinsatz zusammen, glaubt Noetzel. Der Meinung ist auch Sören Schumacher, Harburger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion: „Wo man mehr hinsieht, findet man auch mehr“, sagt er. Das zeige sich nicht nur bei den Rauschmitteldelikten, sondern auch beim zweiten großen statistischen Ausreißer für Harburg, den Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz.
246 Fälle wurden 2020 festgestellt; 92 mehr als 2019. „Im Zuge von Corona-Kontrollen sind auch viele Vereinslokale überprüft worden“, sagt Schumacher. „Dort ist man wohl besonders fündig geworden.“ Auch in den Randstadtteilen gab es eine Steigerung der Kriminalität: In Hausbruch, Neugraben-Fischbek, Sinstorf und Wilstorf schlugen Einbrecher im Jahr 2020 häufiger zu als noch 2019.
Anstieg der Gewaltverbrechen in Harburg
Im gesamten Bezirk 491-mal, eine Steigerung um 30 Prozent. Besonders beliebt bei Einbrechern: Stadtteile in Randlage mit großen, schlecht einsehbaren Grundstücken und guter Fluchtwegeanbindung. Die CDU-Fraktion in der Harburger Bezirksversammlung treibt das um. „Wir wüssten gern, ob die Polizei im Süden vielleicht die Präventionsarbeit vernachlässigt oder gar ganz einspart“, sagt Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer. „Die Sicherheit des Eigentums muss gewährleistet werden.“
Generell ist auch in Harburg ein Anstieg der Gewaltverbrechen, insbesondere der Körperverletzungen, zu verzeichnen. Das ist ein bundesweiter Trend, der der Corona-Pandemie zugeschrieben wird: Viele Menschen sind aggressiver geworden. Coronabedingt zurückgegangen sind Taschen- und Ladendiebstähle, weil Geschäfte geschlossen und weniger Menschen unterwegs waren, die Diebe hätten bestehlen können.
Mehr Fahrraddiebstähle in Hamburg
Die Mobilitätswende scheint bei Harburgs Kriminellen noch nicht angekommen zu sein: Während in allen anderen Bezirken die Zahl der Fahrraddiebstähle zweistellig in die Höhe schoss, stieg sie in Harburg nur um einen einzigen Drahtesel an, von 730 auf 731. Immerhin ging die Zahl der gestohlenen Autos zurück, allerdings nicht so stark wie in den Bezirken, in denen mehr Fahrräder wegkommen.