Landkreis Harburg. Befristete Verträge: Eine Kameraassistentin klagte gegen schwangerschaftsbedingte Einkommensnachteile.

Es geht ihr um Gerechtigkeit. Darum, dass Frauen, deren Beschäftigungen befristet sind, keine schwangerschaftsbedingten Einkommensnachteile haben dürfen. Also ist sie vor Gericht gezogen, um dieses Recht für sich und für alle anderen Betroffenen einzuklagen. Und sie hat Recht bekommen. Das Landesgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) mit Sitz in Celle hat entschieden, dass Mütter bei der Elterngeldberechnung nicht benachteiligt werden dürfen, wenn sie als Soloselbständige oder auf Grundlage von Zeitverträgen gearbeitet haben.

Elterngeld: Klägerin geht es darum, eine Gesetzeslücke zu schließen

Geklagt hatte eine Kameraassistentin aus dem Landkreis Harburg. Sie möchte nicht namentlich genannt werden, sagt sie, weil es ihr nicht um ihre Person gehe, sondern darum, eine Gesetzeslücke zu schließen, die viele schwangere Frauen in ganz unterschiedlichen Branchen diskriminiere. Und zwar all jene, die in Branchen mit vielen Kettenbefristungen arbeiten, in Theater- und Konzerthäusern, der Film- und Medienbranche, dem Reinigungs- oder Gastgewerbe.

„Auch in unserer Branche ist es üblich, dass Arbeitsträge mit ständig wechselnden Produktionsunternehmen und nur für die Dauer der Filmaufnahmen abgeschlossen werden“, sagt sie. „In dieser Zeit verdienen wir. Ist der Dreh abgeschlossen, melden wir uns arbeitslos, solange, bis die nächste zeitlich befristete Anstellung kommt.“

Die Arbeit sei körperlich anstrengend, bestehe im Tragen, Umbauen und Verschieben schwerer Kameras und Ausrüstungsteile. „Die Kameras wiegen oft 15 bis 18 Kilogramm“, sagt sie. 30 bis 60 Kameraumbauten pro Drehtag seien üblich. Hinzu komme, dass die Arbeitszeit pro Tag mindestens zehn Stunden betrage. Das sei vertraglich so festgelegt.

Arbeit mit schwerer Kamera dürfen Schwangere nicht ausführen

Als die junge Frau im Frühsommer 2017 schwanger wird, greift auch bei ihr der Schutz des ungeborenen Kindes und damit ein Berufsverbot. „Bis zur Entbindung meines Sohnes im Januar war ich fünf Monate lang arbeitslos“, sagt die Klägerin. „Kurz nach seiner Geburt habe ich dann Elterngeld beantragt.“ Mit dem Antrag kommt das böse Erwachen. Denn: Für die Berechnung des Elterngeldes bei Nichtselbständigen wird normalerweise das Einkommen in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes herangezogen.

Da die Betroffene in den fünf Monaten vor der Entbindung jedoch arbeitslos war, legte der zuständige Landkreis Harburg für eben diese Monate ein Einkommen von null Euro zugrunde. Der Kreis verwies darauf, dass es diesen schwangerschaftsbedingten Einkommensausfall nicht ausklammern dürfe, dies sei nur bei Ausfällen wegen Krankheit möglich.

Dr. Michael Neubauer, Geschäftsführer des Berufsverbandes Kinematografie e.V.
Dr. Michael Neubauer, Geschäftsführer des Berufsverbandes Kinematografie e.V. © HA | Privat

„Ungerecht“, findet die Betroffene das. „Ich habe meinen Beruf wegen der körperlichen Belastung während der Schwangerschaft nicht ausüben können.“ Sie wendet sich an den Berufsverband Kinematografie (BVK), holt sich Rat. Dann schaltet sie einen Anwalt ein.

Mit Fachanwalt für Arbeitsrecht vor dem Sozialgericht Lüneburg

„Die Klägerin hat beim Landkreis beantragt, dass der fünfmonatige Arbeitslosengeldbezug wegen des faktischen Beschäftigungsverbots unberücksichtigt bleibt“, sagt Michael Tsalaganides. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht, spezialisiert auf das Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und das Antidiskriminierungsrecht. Seine Kanzlei liegt in Harburg. Die Behörde lehnte den Antrag ab. Tsalaganides und seine Mandantin zogen vor das Sozialgericht Lüneburg.

Auch dieses Gericht wies die Klage ab. Die nächsthöhere Instanz, das LSG Niedersachsen-Bremen, gab der Klägerin hingegen recht. Findet eine Schwangere aufgrund ihrer Schwangerschaft bereits keine Beschäftigung, darf sich dies beim späteren Elterngeld nicht zu ihrem Nachteil auswirken, so das Gericht. „Mit dem Urteil hat sich die Schutzlücke beim Elterngeld geschlossen“, sagt Tsalaganides.

Analoge Anwendung der gesetzlichen Krankheitsregelungen

Das LSG hat zur Berechnung auf die letzten zwölf Arbeitsmonate abgestellt statt auf die exakt zwölf Monate vor der Geburt des Kindes und hierzu die gesetzlichen Krankheitsregelungen analog angewandt. Es begründete die erweiterte Gesetzesauslegung mit dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag werdender Mütter, die einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge durch die Gemeinschaft hätten.

Der Gesetzgeber habe den Fall von abhängigen Kettenbeschäftigungen übersehen, in welchem eine neue Beschäftigung aus Gründen des Arbeitsschutzes nicht in Betracht komme. Das „besondere gesundheitliche Risiko“ Schwangerer dürfe ihnen bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zum Nachteil gereichen, heißt es in der Urteilsbegründung.

Elterngeld: Landkreis Harburg hat Revision gegen das Urteil eingelegt

„Wir begrüßen das Urteil sehr. Damit ist eine echte Regelungslücke geschlossen“, sagt Michael Neubauer, Geschäftsführer des BVK mit Sitz in München. Es sei ein Unding, wenn die mit einer Schwangerschaft eintretenden Beschwerden und Einschränkungen auch noch von Seiten des Staates abgestraft würden. „Gerecht ist, dass in diesem Fall der Bemessungszeitraum für das Elterngeld vor Eintritt der Schwangerschaft angesetzt wird.“

Der Landkreis Harburg hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Jetzt geht der Fall vor das Bundessozialgericht nach Kassel. Michael Neubauer begrüßt diese Entwicklung. „Nur auf diesem Weg kann es dazu ein höchstrichterliches Urteil geben und damit Rechtssicherheit für alle betroffenen Frauen.“

Praxistipp:

In Branchen mit vielen Kettenbefristungen laufen die Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes weitgehend ins Leere. Das LSG stellt nun sicher, dass diese Diskriminierung nicht auch beim späteren Bezug des Elterngeldes fortwirkt.

Um diesen Anspruch erfolgreich geltend zu machen, muss die Schwangere sich auch für beschäftigungslose Zeiten ein Tätigkeitsverbot ärztlich begründet bescheinigen lassen. Zudem sollten langfristige Einkommensaufzeichnungen geführt werden, um nachzuweisen, dass die akuten Einkommensausfälle und -lücken atypisch sind.