Nenndorf. Gemeinde Rosengarten will mit der „Grotesche Heide“ 42 Grundstücke erschließen. Es gibt 400 Interessenten. Haben die keine Chance?
Wenn Joachim Frädrich aus seinem Wohnzimmer schaut, schweift sein Blick über satte Wiesen, den Hügel hinauf bis zum Waldrand. Er sieht Rehe und wilde Vögel und manchmal den Fuchs durch seine Gemarkung schleichen. Doch mit dieser Idylle könnte schon bald Schluss sein. Joachim Frädrich lebt am Rande von Nenndorf in der Gemeinde Rosengarten. Und genau dort soll jetzt gebaut werden.
Bauherr und Eigentümer der Fläche ist die Gemeinde Rosengarten. Diese möchte auf dem rund fünf Hektar großen Areal das Neubaugebiet „Grotesche Heide“ entwickeln. Auf dem Gelände am südlichen Dorfrand sollen junge Familien, Paare und Singles die Möglichkeit haben, günstiges Bauland zu erwerben und ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen.
Für die Gemeinde und ihren Bürgermeister Dirk Seidler ist das Projekt „Grotesche Heide“ eine Herzensangelegenheit und eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt noch Flächen für den Bau von Häusern und Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Den Anwohnern sind die Baupläne der Gemeinde vor ihrer Haustür ein Dorn im Auge. Sie fürchten nicht nur um ihre eigene Wohnqualität, sondern sind davon überzeugt, dass die Fläche als Baugebiet denkbar ungeeignet ist.
Die Anwohner wehren sich gegen die Bebauung und klagen vor dem OVG
Um die Umsetzung der Planungen zu stoppen, haben sie Klage beim Oberverwaltungsgericht (OVG) eingereicht. Zwei dicke Ordner mit Unterlagen hat Unternehmer Joachim Frädrich inzwischen zum Fall „Grotesche Heide“ gefüllt, unzählige Fakten zusammengetragen, die gegen eine Bebauung sprechen.
Es geht um Themen wie Umweltschutz und Landschaftspflege, um die Zerstörung von Wanderwegen gefährdeter Tierarten, den Abbau seltenen Bodens, um Klimaschutz und darum, dass gebotene Waldabstände nicht eingehalten werden. Zwei wesentliche Faktoren, die gegen eine Bebauung sprechen, soll das Gericht prüfen: die Lärmbelastung und die Beschaffenheit des Geländes.
Lärmschutz ist ein Argument gegen die Bebauung wie auch die Gefahr von Hochwasser
„Das Plangebiet liegt nur ein paar hundert Meter von den Autobahnen 1 und 261 entfernt, die Lärmimmission ist gewaltig“, sagt Joachim Frädrich. „Im schalltechnischen Gutachten wurden Schallpegel von über 55dB(A) bis über 65 dB(A) im Plangebiet ermittelt. Die künftigen Eigentümer sind verpflichtet, zum Schutz der Nachtruhe in Schlaf- und Kinderzimmern schallgedämmte Lüftungen einzubauen.“
Gegen eine Bebauung der Fläche spreche zudem die Tatsache, dass es sich bei dem Gebiet um ein eiszeitliches Trockental handle, das zugleich Teil eines noch größeren Hochwasserentstehungsgebietes sei. „Wir sehen die Gefahr, dass die Gebiete im unteren Bereich des Trockentals bei Starkregen und Schneeschmelze überflutet werden“, sagt Frädrich. „An der Nordseite des Plangebietes verläuft der tiefste Bereich, in dem sich bei Extremwetterlagen eine Flutmulde bildet, die in Richtung Ortskern Nenndorf fließt. Zuletzt hatte sich Mitte der neunziger Jahre ein Fluss durch eine Extremschmelze gebildet, der erheblichen Schaden an einem unterliegenden Doppelhaus angerichtet hat.“
Gemeinde Rosengarten bleibt bei ihrer Argumentation und will das Neubaugebiet
Argumente, die Gemeindebürgermeister Dirk Seidler nicht gelten lassen will. „Das Planungsgebiet befindet sich seit 25 Jahren im Eigentum der Gemeinde und war von Anfang an für eine Bebauung vorgesehen“, so der Verwaltungschef. „2016 wurde das Bebauungsverfahren eingeleitet. Sämtliche Einwendungen der Bürgerinnen und Bürger wurden geprüft. Wir hatten in dem Gebiet nie Probleme mit Hochwasser und haben in den Planungen die Oberflächenentwässerung den Anforderungen entsprechend berücksichtigt.“
So wird die Talmulde im nördlichen Plangebiet als 15 Meter breite Grünfläche ausgebildet, die nicht nur als Fußweg, sondern vor allem der Entwässerung des Plangebietes dienen soll. Hier soll ein naturnah ausgebildetes Muldensystem hergestellt werden, das in ein neu anzulegende Regensickerbecken mündet. Im Bebauungsplan sind zudem Maßnahmen festgesetzt, die einen ausreichenden Lärmschutz sowohl in den Häusern als auch in den Gärten gewährleisten sollen. „Die Grenzwerte werden eingehalten“, so Seidler. „Ich sehe hier keinen weiteren Handlungsbedarf.“
Das Gericht hat einen Eilantrag der Kläger erst vor kurzer Zeit zurück gewiesen
Rückenwind bekommt der Bürgermeister vom OVG. Dieses hatte einen jüngst gestellten Eilantrag der Kläger zurückgewiesen, in dem es darum ging, ob die Gemeinde mit den Straßenbauarbeiten starten könne. „Das OVG hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Rechte der Anlieger nicht verletzt werden“, sagt Dirk Seidler. „Die jetzige (Vor)Entscheidung des Gerichts zeigt, dass dieses die Rechtsauffassung der Gemeinde Rosengarten teilt. Es ist kein Stopp verhängt worden. Das bedeutet, dass wir uns auf sicherem Terrain bewegen.“
Für die Gemeinde gebe es damit keinen Grund, mit den Erschließungsarbeiten weiter zu warten. „Wir werden jetzt die Baustraße einrichten und gegebenenfalls nachschärfen, wenn das Gericht dieses verlangt“, so Seidler. „Ich gehe aber nicht davon aus, dass wir das Hauptverfahren verlieren werden.“
Sobald das Urteil vorliegt, will die Gemeinde mit der Vermarktung beginnen
Sobald das Urteil gesprochen ist, will die Gemeinde mit der Vermarktung der Flächen beginnen. 42 Grundstücke sollen den Planungen nach dann vergeben werden, auf denen etwa 65-75 Wohneinheiten realisiert werden könnten. Das Neubaugebiet soll mit einer Ringstraße erschlossen und harmonisch in die Landschaft eingebunden werden. Die Flächen sollen voraussichtlich Anfang kommenden Jahres vergeben werden. Die Nachfrage ist enorm. „Wir haben bereits mehr als 400 Bewerbungen vorliegen“, sagt Bürgermeister Seidler. „Mit unserem Vorhaben treffen wir also den Nagel auf den Kopf.“
Für die Anwohnerinitiative rund um Joachim Frädrich, Reinhold Horn und Eberhard Wetjen ist die Sache aber noch lange nicht erledigt. Als am vergangenen Dienstag die Mitarbeiter des Bauhofes anrückten, um den bestehenden Spielplatz am Rande des Baugebietes abzubauen und die Fläche als Baustellenzufahrt herzurichten, beschlossen sie einen weiteren Eilantrag zu stellen.
Die Kläger sind fest davon überzeugt, dass sie das Projekt noch stoppen können. „Wir haben noch ein As im Ärmel“, sagt Joachim Frädrich. „Und dann schauen wir mal, wie das Gericht entscheidet.“