Landkreis Harburg. Anders als Hamburg macht Harburg Kitagruppen und Klassen dicht, Freitesten ist nicht möglich. Fünfjähriger 21 Tage gesund zu Hause.

„Mein fünfjähriger Sohn ist aktuell in Quarantäne. Zum dritten Mal innerhalb von fünf Wochen“, sagt Ole Braukmann. Insgesamt 21 Tage hat der Junge seit Mitte Dezember nun in häuslicher Isolation verbracht. Dabei war er immer kerngesund. Nur um ihm herum gab es positive Coronafälle: Seine Schwester, nach Neujahr mehrere Kinder in der Kita und nun ist eine Erzieherin in der Einrichtung positiv auf das Virus getestet. Der Fünfjährige blieb verschont, nur nicht von der Quarantäne. Denn ein Freitesten war nicht möglich.

Das Problem: Ole Braukmann lebt mit seiner Familie in Buchholz, sein Kind besucht eine örtliche Kita. Hier „regiert“ der Landkreis Harburg und der fährt einen deutlich strikteren Quarantäne-Kurs bei den Kitas und Schulen als beispielsweise das nahe gelegene Hamburg. Mit allen Vor- und Nachteilen. In Hamburg, wo die hochansteckende Virusvariante Omikron seit Wochen für genauso rasant steigende Fallzahlen sorgt wie im Landkreis Harburg, sollen Kitas und Schulen möglichst offen bleiben. Nur enge Kontaktpersonen werden nach Hause geschickt – in der Klasse meist der Sitznachbar – und nach fünf Tagen besteht die Möglichkeit mit einem negativen Ergebnis eines PCR- oder eines Schnelltests die Quarantäne frühzeitig zu beenden. Anders im Landkreis Harburg.

Zwei Fälle sind ein Großausbruch

Hier wird alles ab zwei Fällen in kausalem Zusammenhang als Großausbruchgeschehen deklariert. Das bedeutet, treten in einer Schulklasse oder in einer Kitagruppe zwei Krankheitsfälle auf, dann verfügt der Landkreis in solchen Fällen eine Quarantäne für die gesamte Gruppe/Klasse. Eine frühzeitige Freitestung ist dann nicht mehr vorgesehen, wie Andres Wulfes als Pressesprecher des Landkreises Harburg auf Abendblatt-Anfrage erläutert.

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„Hintergrund ist die extrem hohe Wahrscheinlichkeit und Erfahrung, dass weitere Kinder oder Schüler bereits infiziert sind oder sich noch infizieren werden“, erklärt Wulfes. Er verweist auf die rasante Verbreitung des Corona-Virus durch die Omikron-Variante und die aktuell hohen Inzidenzwerte von deutlich über 1000. Am Donnerstag war der Wert nach einer kleinen Verschnaufpause erstmals wieder gestiegen – auf 1290,2 im Vergleich zum Vortag mit 1263,6. Wulfes: „Angesichts dieses Gesamtinfektionsgeschehen ist es umso wichtiger, schnell Infektionsketten zu unterbrechen und eine Weiterverbreitung einzudämmen. Die Quarantäne auch der engen Kontaktpersonen ist in dem Zusammenhang eine wichtige Maßnahme.“

In der Praxis bedeutet dies: Aktuell sind laut Kreisverwaltung 202 Klassen und 20 Jahrgänge sowie 79 Kitagruppen in Quarantäne (Stand: 27. Januar). Von den 101 Schulen im Landkreis ist jede zweite betroffen.

Bedürfnisse der Kinder ausgeblendet?

„Mir ist klar, dass die Behörden eine Abwägung zwischen allgemeiner Infektionsprävention und individuellen Bedürfnissen leisten müssen und dass Kinder in diesem Zusammenhang besondere Schutzbedürfnisse haben“, sagt Familienvater Ole Braukmann. Doch er gibt zu bedenken: „Dieses Schutzbedürfnis aber ausschließlich auf das Vermeiden einer Covid-Infektion zu reduzieren und alle anderen Bedürfnisse der Kinder auszublenden, greift aus meiner Sicht zu kurz.“

Besonders kritisiert er, dass es durch die Großausbruchs-Regel keine Möglichkeit des Freitestens gibt. „Ich finde dieses Vorgehen skandalös den Kindern gegenüber – diese werden damit ja de facto im Vergleich zu einem pauschalen Lockdown noch schlechter gestellt.“ Zudem halte er es auch für unverhältnismäßig und bedrohlich für das Funktionieren vieler Bereiche, die nachgelagert betroffen sind. Von der aktuellen Quarantäne in der Kita seines Sohnes seien drei ganze Kita-Gruppen betroffen. Alle Kinder müssten Zuhause nun betreut werden und ihre Eltern könnten nicht zur Arbeit gehen. Er selbst habe einen Bürojob, könne auch viel aus dem Homeoffice machen. Aber was sei mit Busfahrern, Altenpflegern, Ärztinnen oder Wasserwerkern, die zur kritischen Infrastruktur zählten und nun ihre gesunden Kinder betreuen?

Ein bedauerlicher Einzelfall?

Der Pressesprecher des Landkreises Harburg räumt ein: „Wir wissen, dass diese Situation für die Kinder und Jugendlichen und ganz besonders für die Eltern eine besondere Herausforderung ist. Wir haben vollstes Verständnis für die Belastung gerade der Eltern kleinerer Kinder, aus Gründen des Infektionsschutzes sehen wir dieses Vorgehen aber als unabdingbar an.“ Wulfes verweist zudem darauf, dass man sich beim Vorgehen an die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes und die Richtlinien des RKI halte. Warum das in Hamburg zu einem anderen Umgang mit dem Thema führe? „Das Vorgehen anderer Landkreise und Bundesländer bewerte man nicht, so Wulfes. Aber er sagt: „Wie wir während der Pandemie immer wieder gesehen haben, sind in einem föderalen System die Regeln und Verordnungen durchaus unterschiedlich.“

Auch zum Fall des fünfjährigen Kindes, das nun gesund 21 Tage in Quarantäne verbrachte, kann er sich aus Datenschutzgründen nicht äußern. Nur so viel: Ob es sich um einen bedauerlichen Einzelfall handelt? Laut des Pressesprechers des Kreises käme das in Einzelfällen derzeit durchaus einmal vor, je nach Wirkungskreis der Kinder und Eltern.

Für Braukmann ein Unding: „Das Verwehren der Möglichkeit des Freitestens ist unverhältnismäßig, benachteiligt Kinder in krasser Weise und führt zu nachgelagerten Problemen in Bereichen der kritischen Infrastruktur.“

Ein Hoffnungsschimmer für alle Beteiligten formuliert Wulfes: „Die Lage ist allerdings sehr dynamisch, an diesen Vorgaben mag sich auch künftig wieder etwas verändern.“