Moisburg. Ibrahima Camara ist seit drei Jahren fester Bestandteil der Kreisligamannschaft des FC Este 2012. Ihm droht die Abschiebung nach Guinea.

Wenn Ibrahima Camara (21) von seiner monatelangen Flucht nach Europa erzählt, spricht er so leise, dass man ihn kaum verstehen kann. Camara floh im Alter von 16 Jahren aus seinem Heimatland Guinea, kam über Italien und die Schweiz schließlich nach Deutschland. Seit über drei Jahren spielt der 21-Jährige beim FC Este, in dieser Saison lief er erstmals für die erste Mannschaft des Moisburger Kreisligisten auf. Als Camara Mitte Oktober im Auswärtsspiel beim FC Rosengarten das bisher letzte Mal für den FC Este auf dem Platz stand, war ihm noch nicht bewusst, dass das sein letztes Spiel sein könnte.

Camaras Asylantrag wurde bereits abgelehnt, an diesem Freitag soll die Härtefallkommission des Niedersächsischen Innenministeriums über die Abschiebung entscheiden. Den FC Este treibt das auf die Barrikaden. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Richterin, die damals über den Asylantrag von Ibrahima entschieden hat, mit einem ruhigen Gewissen schlafen kann“, sagt Bahittin Saclik, Camaras erster Trainer beim FC Este.

Vater war Oppositioneller

Ibrahima Camara (21) spielt für den Moisburger Kreisligisten FC Este. 
Ibrahima Camara (21) spielt für den Moisburger Kreisligisten FC Este.  © Maximilian Bronner | Maximilian Bronner

Rückblick: Bis zu seinem 17. Lebensjahr lebte Ibrahima Camara in seinem Heimatland Guinea, einem politisch instabilen Staat an der westafrikanischen Küste. Es regiert ein Militärregime, die politische Opposition wird unterdrückt. Als bei Unruhen das Geschäft von Camaras Nachbarn, einem Anhänger des Militärregimes, beschädigt wird, bekommt Ibrahima Camara Probleme.

Weil sein Vater einer oppositionellen Partei angehörte, beschuldigt Camaras Nachbar den damals 16-Jährigen, gemeinsam mit seinen Freunden für die Beschädigungen verantwortlich zu sein. Der Jugendliche war fußballerisch talentiert, spielte früher sogar für eine Auswahlmannschaft. „Als ich noch jung war, haben wir zu fünft im Senegal und in der Elfenbeinküste als Testspieler gespielt. Aber nur eine Person wurde genommen, wir anderen mussten dann wieder zurück nach Guinea“, erinnert er sich.

„Ich hatte Angst, wieder nach Hause zu gehen“

Plötzlich – Camara spielte gerade Fußball – bekam der Jugendliche einen bedrohlichen Anruf. „Mein Onkel hat mich angerufen, und gesagt, dass meine Freunde festgenommen wurden und ich aufpassen muss. Ich hatte Angst, wieder nach Hause zu gehen. Dann habe ich einen Mann kennengelernt, der mich nach Mali bringen konnte“, erinnert sich „Ibra“, wie er beim FC Este genannt wird. Zwei Wochen lang schlug er sich in Mali durch, dann traf er auf einen Schleuser. Von Mali floh Camara über Nigeria, Libyen und das Mittelmeer nach Italien. Von dort reiste er mit dem Zug in die Schweiz und per Bus weiter nach Deutschland.

Als Camara Guinea bereits verlassen hatte, bekam er einen weiteren Anruf. Seine festgenommenen Freunde seien erschossen wurden, heißt es. Auch sein Vater sei mittlerweile ermordet, ergänzt FC-Este-Coach Saclik. „Meine Mutter wurde auch umgebracht. Zu meiner Schwester habe ich schon lange keinen Kontakt mehr“, sagt Camara mit gesenktem Kopf.

Sechs Monate auf der Flucht

Mehr als sechs Monate dauerte die gefährliche Reise, dann kam er in ein Flüchtlingsheim nach Hollenstedt. Beim FC Este habe er mittlerweile eine Ersatzfamilie gefunden, erzählt er. „Als wir mit der zweiten Mannschaft im August 2017 trainiert haben, stand Ibra mit Fußballklamotten plötzlich am Platz. Wir haben ihn dann gleich gefragt, ob er Bock hat mitzuspielen.

Dann haben wir ihn erstmal mit richtigen Fußballschuhen ausgestattet“, erinnert sich Saclik. Camara überzeugte, der Trainer nahm ihn in die zweite Mannschaft auf. „Ich habe schon in vielen Mannschaften gespielt, aber hier beim FC Este ist es anders. Alle Leute, Trainer und Fans zeigen hier Solidarität. Das ist die beste Mannschaft von allen die ich je hatte. Wenn ich ein Problem habe, kann ich meinen Trainer fragen. Der hilft mir dann“, sagt der Stürmer.

Ihm ist anzumerken, welche Bedeutung der Verein für ihn hat. Das Training mit der Mannschaft habe ihm zudem geholfen, besser Deutsch zu lernen. Camara entwickelte sich so gut, dass Sven Timmermann, Trainer der ersten Mannschaft ihn im Sommer zur Vorbereitung einlud. „Man hat gesehen, dass er in die erste Mannschaft will. Nach der Vorbereitung hat sich das dann schnell entwickelt. Er hat sich super angepasst, ist nie negativ aufgefallen.

Dazu hat er eine Dynamik und Schnelligkeit, die uns als Mannschaft vorher gefehlt hat“, sagt Timmermann. Obwohl es sportlich immer besser lief, gab es regelmäßige Rückschläge durch die Behörden. Da Guinea kein unsicheres Herkunftsland sei und Camara zunächst in Italien einreiste, wurde der Asylantrag abgelehnt. Auch deshalb erhielt Camara keine Arbeitsgenehmigung. „Wir haben ihm in Neu Wulmstorf sogar eine Ausbildungsstelle gesucht. Nach den drei Tagen Probearbeit wurde ihm 2019 ein Ausbildungsplatz bei einer Stahlfirma angeboten. Letztendlich hat er aber keine Arbeitserlaubnis bekommen“, berichtet Bahittin Saclik.

„Das Ganze ist ein Arschtritt für das Ehrenamt!“

Camara will arbeiten, darf aber nicht. „Ich habe sogar alleine beim Landkreis angerufen und nach einer Arbeitserlaubnis gefragt“, erzählt Camara. Nun soll an diesem Freitag endgültig über die Abschiebung entschieden werden. Der FC Este hat jedoch das Gefühl, dass seine Argumente nicht gehört werden. „Ibra hilft beim Jugendtraining, engagiert sich und ist total integriert. Er hat sich hier in drei Jahren etwas aufgebaut, hat neue Freunde gefunden, wird zu Geburtstagen eingeladen und geht mit zu Mannschaftsabenden. Am Ende scheitert es aber an der Arbeitserlaubnis“, klagt der Vereinsvorsitzende Björn Wendler.

Ihm sei es vollkommen egal, woher Camara kommt. „Man verliert den Glauben an das Prinzip der Integration, die die Vereine ja leisten sollen. Das Ganze ist ein Arschtritt für das Ehrenamt“, sagt Wendler. Um die Härtefallkommission zu überzeugen, hat Camaras Mitspieler Julius Perlowski eine Online-Petition ins Leben gerufen. Binnen 24 Stunden konnten mehr als 2000 Unterschriften für einen Verbleib gesammelt werden.

„Vielleicht muss ich dann sterben, keine Ahnung“

„Die Behörden fordern vom Verein immer Integration. Wenn das jetzt aber am Freitag schiefgehen sollte, macht uns das die ganze Arbeit kaputt. Wenn das Schule macht, werden sich andere Vereine zukünftig die Frage stellen, wieso sie die Leute überhaupt erst integrieren sollen“, ärgert sich Saclik.

Noch wisse Camara nicht, was ihn bei einer möglichen Abschiebung in Guinea erwartet. Bahittin Saclik befürchtet, dass der 21-Jährige nach seiner Rückkehr bereits am Flughafen festgenommen werden könnte. „Ich weiß nicht, was ich mache, wenn ich zurück nach Guinea muss. Ich weiß auch nicht genau, wo meine restlichen Freunde dort leben. Ich bekomme Angst, wenn ich mit meinen Freunden spreche“, sagt Camara mit leeren Augen. „Vielleicht muss ich dann sterben, keine Ahnung“.