Harburg. So nachhaltig ist Harburg: Mit der App Too Good To Go können Lebensmittel, die zu gut für die Tonne sind, gerettet werden.
Was wohl drin sein wird im Korb? Ich bin gespannt. Ein bisschen fühlt es sich an wie zu Weihnachten. Ich weiß, dass ich gleich etwas Schönes bekomme, habe aber keine Ahnung was. Allerdings ist heute kein Feiertag und ich erwarte auch keine Geschenke. Ich stehe bei Edeka Meyer in Hittfeld am Infotresen und was jetzt für mich geholt wird, habe ich selbst gekauft, per Smartphone. Allerdings ohne zu wissen, was und wie viel ich erstehe.
Die kostenlose Foodsharing-App Too Good To Go vermittelt überschüssige Lebensmittel. Ich habe mit einem Klick auf dem Display Obst und Gemüse zum Pauschalpreis von drei Euro erstanden. Ware, die nicht verkauft wurde und sonst weggeworfen würde, weil morgen schon die nächste Lieferung kommt. „Die Kiste ist heute aber auch wieder voll“, sagt der Mitarbeiter. Stolz schwingt mit. Denn was er anschleppt, wirkt nicht nur üppig, sondern auch ansprechend.
App ist mittlerweile in 13 europäischen Ländern verfügbar
Zum fleckenlosen Gelb der Bananen bilden knallrote Radieschen und sattgrüner Brokkoli einen ansprechenden Kontrast. Der Stapel ist so hoch, dass er bedenklich wackelt. Obwohl der junge Mann sich alle Mühe gibt, Balance zu halten, stürzen ein paar Weinbergpfirsiche und Kirschtomaten ab und kullern mir vor die Füße. Jede Frucht hat den Sturz unbeschadet überstanden. Die Äpfel sind makellos. Paprika, Blumenkohl, Pastinake, Porree, Suppengrün, das abgepackte Sträußchen Koriander – alles knackfrisch. Viel zu schade, um auf dem Müll zu landen. Genau das ist mit „Too Good To Go“ gemeint. Viel zu gut, um auf der Kippe zu verschwinden.
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Das Unternehmen, dessen deutscher Sitz sich in Berlin befindet, wurde 2015 in Dänemark gegründet. Die App ist mittlerweile in 13 europäischen Ländern verfügbar. Die Mission: Engagement gegen Lebensmittelverschwendung. Nach Recherchen des Teams wird etwa ein Drittel der zum menschlichen Verzehr bestimmten Nahrung weggeworfen. Das ist schon angesichts des Hungers in der Welt moralisch nicht zu vertreten. Darüber hinaus schädigt die Produktion für die Müllhalde die Umwelt massiv. Da werden Flächen für den Anbau von Lebensmitteln gerodet, die nie gegessen werden. Da wird Wasser fürs Wachstum verschwendet, Dünger und Pestizide auf Äcker aufgebracht, Energie in Ernte und Verarbeitung gesteckt sowie in Transport und Lagerung investiert. Und das alles nur, damit ein Großteil der Waren schlussendlich verrottet und auch dabei noch klimaschädliche Treibhausgase produziert.
Nutzer erwerben Waren zum niedrigen Preis und gutes Gefühl
Die Technik der App verbindet Konsumenten mit Betrieben, die überschüssige Lebensmittel haben. Die Nutzer erwerben Waren zum niedrigen Preis, die Läden können einen Teil ihrer Überschüsse zu Einnahmen machen und vielleicht sogar neue Kunden werben. Alle haben dazu das gute Gefühl, sich für die Umwelt engagiert zu haben. „Wir packen täglich drei Kisten mit Obst und Gemüse und darüber hinaus drei Überraschungstüten mit Waren aus dem übrigen Sortiment. Und alle sind stets sofort vergriffen, sobald das Angebot auf der App eingestellt ist“, erzählt der Edeka-Mitarbeiter. Warum bei so großer Nachfrage nicht noch mehr über Too Good To Go vertrieben wird, erklärt Junior-Chef Jonas Meyer: „Wir unterstützen ja auch noch die Tafel und die Organisation Food Sharing mit Waren kurz vor dem Verfallsdatum. Und wenn wir Saisonware übrig haben, packen wir durchaus auch zusätzliche Tüten.“
Weil die Überraschungspakete so begehrt sind, hat es einige Zeit gedauert, bis ich Glück hatte. Denn große Auswahl von Anbietern habe ich nicht. Rund um meinen Wohnort in Seevetal machen Edeka Meyer in Hittfeld sowie in Nenndorf bei der Aktion mit. Edeka Knolle in Ramelsloh bietet Überraschungstüten mit Backwaren an. In Harburg ist Edeka am Seeveplatz dabei, dazu die Rathaus-Bäckerei in der Julius-Ludowieg-Straße und die Shell Tankstelle am Großmoorbogen. Im Phoenix-Center können Interessierte auch bei Mr. Clou und beim Nordsee Restaurant Snacks und Hauptgerichte über Too Good To Go günstig erstehen.
Angebot ist im Zentrum Hamburgs größer als im Umland
Die App zeigt mir an, dass das Angebot im Zentrum Hamburgs ungleich größer ist. Aber um der Lebensmittelrettung willen weite Wege in Kauf zu nehmen und Abgase zu produzieren, ergibt keinen Sinn. Als die Bestellung bei meinem Stamm-Supermarkt klappte, habe ich mich wie ein Kind gefreut. Weil ich nun Lebensmittelretterin bin. Und weil ich Geld spare. Der Warenwert übersteigt den Preis um ein Vielfaches. Beim Auspacken am Auto erwachen indes leise Zweifel. Was mache ich bloß mit so viel Obst und Gemüse auf einmal? Wie verhindere ich, dass die leckeren Sachen nach dem Umweg über meinen Kühlschrank letztlich doch verderben, weil wir so viel nicht essen können?
Zum Glück ist es bei uns üblich, zu viel Gekochtes, Gebackenes oder Geerntetes mit der Nachbarschaft zu teilen. Zum Glück sind meine Vorräte gerade fast aufgebraucht. Und zum Glück sind wir flexibel in der Speisenfolge. Ich überschlage im Kopf: Zum Abendbrot gibt es einen Rohkostteller. Morgen zum Frühstück einen Bananen-Milchshake. Mittags Brokkoli-Auflauf – sogar ein paar Kartoffeln finden sich in der Kiste! Obstsalat zum Dessert. Übermorgen Gemüsesuppe. Der Blumenkohl hält hoffentlich noch etwas.
47 Millionen Tonnen an Lebensmitteln landen im Müll
Gute Planung beim Einkauf hilft dabei, Lebensmittelvergeudung drastisch zu reduzieren. Die größten Verschwender sind nämlich überraschender Weise nicht Gastronomie und Handel sondern die Haushalte. Nach Angaben von Too Good To Go landen in europäischen Haushalten jedes Jahr 47 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Tonne. Das ist mehr als die Hälfte der gesamten Lebensmittelverschwendung in der EU. Die Sensibilisierung für das Problem und das Aufzeigen von Lösungswegen gehört deshalb zu den Zielen des Unternehmens.
Die Kiste ist ausgepackt. Ich werde sie wieder abgeben, wenn ich jetzt nochmals den Supermarkt betrete, um zu kaufen, was ich für die geplanten Gerichte noch brauche. Käse, Sahne und Schinken zur Verfeinerung des Blumenkohls zum Beispiel. Nur wie ich den Koriander verwende, ist noch unklar. Ich werde mich zum Gewürz informieren. Auch das ist ein positiver Nebeneffekt der Lebensmittelrettung: Es erweitert den persönlichen Horizont.
Über die App Too Good To Go
- Die App Too Good To Go nutzen zurzeit in Deutschland 5,9 Millionen Menschen. Laut Unternehmen beteiligen sich rund 8711 Cafés, Restaurants, Supermärkte, Bäckereien und Hotels bundesweit an der Aktion.
- Der Weg zum Lebensmittelretter ist einfach: App kostenlos herunterladen. Angebote im Umkreis anzeigen lassen. Gewünschte Anlaufstelle auswählen. Bargeldlos mit Kreditkarte, Sofortüberweisung oder PayPal bezahlen. Ware im vorgegebenen Zeitfenster (außer in Restaurants meist am Folgetag) gegen Vorzeigen der Reservierung abholen.
- Weitere Informationen finden sich im Internet auf der Seite www.toogoodtogo.de.