Hannover. Ein neuer Zeugenaufruf soll die Ermittler endlich zu Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub führen. Den beiden Männern und ihrer mutmaßlichen Komplizin Daniela Klette werden 13 Überfälle vorgeworfen.
Mit einem neu entdeckten Handyvideo wollen die Ermittler auf die Spur des seit Jahrzehnten untergetauchten früheren RAF-Terroristen Burkhard Garweg kommen. Die Aufnahme zeige den Beschuldigten offenbar im Jahr 2020 auf einem Gelände mit Fahrzeugen, teilten das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen und die Staatsanwaltschaft Verden mit. Auf der kurzen Aufnahme sind die Stimme, Mimik und Gestik des Mannes zu sehen, den die Ermittler für Garweg halten. „Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin”, sagt der Mann lächelnd im blauen Muskelshirt. Der heute 56-Jährige könnte den Behörden zufolge zahlreiche Verhältnisse zu Frauen gehabt haben. Das LKA bittet die Frauen, die eine Beziehung zu ihm hatten, sich zu melden.
Das neue Video sowie Fotos aus einem weiteren Video wurden am Abend in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY… Ungelöst” gezeigt. Die Frau namens Karin, an die Garweg in dem Handyvideo eine Grußbotschaft richtet, werde als wichtige Zeugin gesucht, sagte Martin Schanz, Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden in der ZDF-Sendung. Er verwies auch auf Garwegs auffällig Lücke zwischen den Schneidezähnen, die in dem Video zu sehen ist.
Seit vielen Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Verden gegen Daniela Klette (65), Ernst-Volker Staub (70) und Garweg wegen versuchten Mordes sowie versuchten und vollendeten schweren Raubes. Sie sollen zwischen 1999 und 2016 Geldtransporter und Supermärkte vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen überfallen haben, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren. Die Taten hatten demnach keinen terroristischen Hintergrund.
Waffen, Gold und Fotos aus Daniela Klettes Wohnung
Ende Februar dieses Jahres wurde Klette in Berlin-Kreuzberg festgenommen, wo sie unter falschem Namen lebte. Bei den Durchsuchungen in Berlin fanden die Polizisten unter anderem die Attrappe einer Handgranate, Waffen, Handfesseln, Sturmhauben, ein Kilogramm Gold, mehr als 240 000 Euro Bargeld, digitale Medien sowie Fotos. Die Polizei beschlagnahmte kurz nach Klettes Festnahme auch den Bauwagen in Berlin-Friedrichshain, wo Garweg unter dem Decknamen Martin gelebt haben soll. Klette sitzt im Frauengefängnis in Vechta in Untersuchungshaft.
Das Trio gehörte der sogenannten dritten Generation der linksextremistischen Roten Armee Fraktion (RAF) an. 1998 erklärte sich die RAF, die mehr als 30 Menschen tötete, für aufgelöst.
Trio kommt für weitere Überfälle in Betracht
Am Mittwoch teilten Polizei und Staatsanwaltschaft außerdem mit, dass die drei Beschuldigten für weitere Taten in Betracht kommen. Sie sollen 2014 in Elmshorn (Schleswig-Holstein) und 2015 in Osnabrück (Niedersachsen) die Kassenbüros von Einkaufsmärkten überfallen haben. Garweg und Staub sollen zudem 2009 in Löhne-Ulenburg (Nordrhein-Westfalen) einen Einkaufsmarkt überfallen haben.
Insgesamt gehen die Ermittler jetzt von 13 versuchten und vollendeten schweren Raubdelikten mit einem Gesamtschaden von mehr als 2,7 Millionen Euro aus. Gegen das Trio wird auch wegen versuchten Mordes ermittelt, weil bei Überfällen in Stuhr und Cremlingen geschossen wurde. Darüber hinaus wird den früheren RAF-Mitgliedern erpresserischer Menschenraub vorgeworfen.
Klette bestritt Mitte August in einem Statement, Mordversuche begangen zu haben, und sprach von staatlicher „Denunziation” und „Medienhetze” gegen sich sowie gegen Garweg und Staub. Gegen das Trio bestehen nach früheren Angaben auch Haftbefehle wegen des Verdachts der Beteiligung an Terroranschlägen.
Fotos von gefälschten Ausweisen veröffentlicht
Das LKA veröffentlichte zudem gefälschte Ausweisdokumente, die möglicherweise zur Anmietung von Wohnungen in Tatort-Nähe genutzt wurden. Es bestehe der Verdacht, dass Daniela Klette sich bei der Tat in Stuhr bei Bremen 2015 als Sarah und bei der Tat in Hildesheim 2016 als Lucia ausgegeben habe, hieß es. Gesucht werden die damaligen Vermieter. Möglicherweise seien auch an anderen Tatorten Wohnungen angemietet worden, um Objekte auszukundschaften. Unscharfe Fotos zeigen mutmaßlich Garweg in einer angemieteten Wohnung 2016 in Hildesheim.
Die früheren RAF-Terroristen werden schon länger verdächtigt, Supermärkte in Leverkusen (2004), Celle (2011) und Stade (2012) überfallen zu haben. Beim Überfall auf einen Geldtransporter in Cremlingen bei Braunschweig 2016 fiel ein Schuss. Auch in Stuhr sollen die Räuber mehrfach auf einen Geldtransporter geschossen haben.
Gesuchte sollen Unterstützerkreis in linker Szene haben
Garweg soll von 2008 bis 2016 mit einer Lebensgefährtin in einer Wohnung in Berlin-Neukölln gelebt und danach auf das Bauwagengelände gezogen sein. Zudem gibt es Hinweise, dass er sich immer wieder in Hamburg aufgehalten hat. Die Fahnderinnen und Fahnder gehen davon aus, dass der heute 56-Jährige sich noch in Deutschland aufhält und über einen „erheblichen Unterstützerkreis in der linken Szene” verfügt. Zudem soll er in Berlin laut Staatsanwaltschaft Verden zwischen 2008 und 2011 eine private Fotografenschule besucht und zeitweise als Fotograf gearbeitet haben.
Für Hinweise, die zur Ergreifung von Garweg und Staub führen, seien Belohnungen von insgesamt bis zu 125.000 Euro ausgelobt, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft bei „Aktenzeichen XY... ungelöst”. Hinweise können auch anonym gegeben werden. Das Landeskriminalamt warnt davor, die Gesuchten selbst anzusprechen, weil sie möglicherweise bewaffnet sind.
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