Kiel. Schulterschluss von IG Metall und Politik zur Rettung der norddeutschen Werften: In Kiel demonstrieren unter Corona-Bedingungen rund 300 Vertreter von Werften und Zulieferbetrieben. Im Landtag fordern Regierung und Opposition gemeinsam eine Zukunftsperspektive.
Zur Rettung der existenzgefährdeten Werften in Norddeutschland haben die IG Metall und der Landtag bessere Rahmenbedingungen des Bundes und mehr öffentliche Aufträge gefordert. In Kiel demonstrierten am Mittwoch zunächst Beschäftigte aus Werften und Zulieferbetrieben für den Erhalt ihrer gefährdeten Arbeitsplätze - unterstützt von Politikern. Die IG Metall befürchtet den Verlust eines Drittels der rund 18 000 Arbeitsplätze der Werften. Die Substanz der maritimen Wirtschaft sei im ganzen Norden, aber auch gerade in Schleswig-Holstein gefährdet, sagte Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste.
Am Nachmittag sendete der Landtag ein starkes Zeichen in Richtung Berlin. "Die Lage im Schiffbau in Deutschland ist dramatisch", sagte Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP). Die Regierungsfraktionen von CDU, Grünen und FDP und die SPD-Opposition stimmten nach anfangs noch parteipolitischer Debatte wechselseitig ihren Anträgen zu.
Darin wird die herausragende Bedeutung der maritimen Wirtschaft für die Küstenländer unterstrichen und die Landesregierung gebeten, sich in Berlin für konkrete Verbesserungen für den Schiffbau einzusetzen. So solle die uneingeschränkte Anwendung des Großbürgschaftsprogrammes auf den Schiffbau erreicht werden. Weitere Forderung ist der Einsatz des Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung, um die Werften als zentralen Impulsgeber für zehntausende Arbeitsplätze in Kernbranchen und bei Zulieferern zu erhalten. Zudem werden Bundesmittel zur Erneuerung und Instandsetzung der Behördenflotte durch innovative und klimafreundliche Schiffe gefordert.
Und der Marineschiffbau müsse in seiner gesamten Wertschöpfungskette (Design, Konstruktion, Produktion, Zulieferer und Instandhaltung) als Schlüsseltechnologie gestärkt werden. Die Vergabepraxis auf Bundesebene müsse so geändert werden, dass Unternehmen in Deutschland beteiligt werden und die Systemkompetenz aus nationalem Sicherheitsinteresse erhalten bleibe.
Wegen der steigenden Corona-Zahlen beschränkte die IG Metall am Morgen die ursprünglich deutlich größer angelegte Demonstration auf auf etwa 300 "Delegierte" von Werften und Zulieferbetrieben. Die Demonstranten trugen Masken, wie es die Polizei zur Auflage gemacht hatte. Die Demostration zog von den Werften German Naval Yards (GNV) und ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) über die Förde zum Parlament.
Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP), SPD-Landtagsfraktionschef Ralf Stegner und die Oberbürgermeister von Flensburg und Kiel, Simone Lange und Ulf Kämpfer (beide SPD) bekannten sich bei der Demonstration zum Schiffbau als eine Kern- und Zukunftsindustrie im Norden. Wie ein roter Faden zog sich die Forderung nach mehr öffentlichen Aufträgen für Behördenschiffe und die Marine hindurch.
Buchholz überraschte mit der Mitteilung, GNY erhalte einen zweistelligen Millionenbetrag aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes. Der Bescheid sei nach Angaben des Koordinators der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, Norbert Brackmann, am Dienstag unterschrieben worden, sagte Buchholz. Er nannte keine konkrete Summe. Nach dpa-Informationen geht es um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag.
Buchholz betonte, die Landesregierung tue alles, um die Werften, die Zulieferbetriebe und die Arbeitsplätze zu erhalten. Dagegen hielt Stegner im Parlament der Regierung unzureichendes Engagement vor.
Kiels Oberbürgermeister Kämpfer sagte, Werften und maritime Wirtschaft seien noch immer das industrielle Herz Kiels. "Deshalb kämpfen wir für jeden einzelnen Arbeitsplatz in dieser Branche. Wenn die Werften in Schieflage geraten, kommen ganze Regionen ins Rutschen. Diese Botschaft muss die Landesregion noch stärker nach Berlin tragen." Flensburgs Oberbürgermeisterin Lange forderte: "Aufträge für Marine- und Behördenschiffe gehören an deutsche Werften." Die Schiffbauer könnten gute und moderne Schiffe bauen. "Man muss ihnen aber auch die Möglichkeit geben, das zu tun."
Der mehr als fünf Milliarden Euro umfassende Auftrag für das deutsche Mehrzweckkampfschiff MKS 180 war im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung an die niederländische Damen-Werft gegangen. Gebaut werden sollen die Schiffe - unter Federführung der Niederländer - bei Blohm + Voss in Hamburg.
Die Bundesregierung habe den militärischen Schiffbau zwar als Schlüsseltechnologie eingestuft, dieser Beschluss müsse aber auch umgesetzt werden, kritisierte Buchholz. "Es darf nicht bei einem Lippenbekenntnis in Berlin bleiben." Aufträge ins europäische Ausland zu vergeben oder europäisch auszuschreiben, sei mit diesem Grundsatzbeschluss "nicht vereinbar".
Zugleich forderte Buchholz eine weitere Konzentration. Die Werften GNY, TKMS und Lürssen - zu der Blohm + Voss gehört - hätten allein im militärischen Schiffbau keine Zukunft. "Da muss es einen großen Anbieter geben", sagte Buchholz. "Dann schaffen wir auch innovativ die Auslastung der Werften insgesamt." Im Mai hatten GNY und Lürssen eine Fusion angekündigt. Das werde nicht genügen, sagte Buchholz.