Celle. Ein Angestellter aus dem Landkreis Stade wollte seinen Anspruch vor Gericht erstreiten. Ein Gerichtstermin sollte sein Alter klären.
Hand aufs Herz: Welcher knapp 50-Jährige hat sich nicht schon mal die Rente gewünscht? Wenn die Arbeit immer mehr wird, der Stress wächst und Krankheiten einen Menschen belasten, dürfte der eine oder andere ab und zu von der Rente träumen.
Doch sollte man im Alter von 102 Jahren nicht schon längst Rentner und zur Ruhe gekommen sein? Das Leben genießen, auf die Gesundheit schauen und tun, was immer einem lieb und teuer ist?
Über einen skurrilen Fall hatte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Sitz in Celle am Freitag zu entscheiden: Ein Mann aus dem Landkreis Stade sagt über sich, er sei schon 102 Jahre alt – und habe damit Anspruch auf die Rente. Doch für die Rentenversicherung ist er laut Versicherungskonto erst 48, sie lehnte den Antrag ab. Für einen knapp 50-Jährigen käme eine Altersrente unter normalen Umständen tatsächlich wohl etwas früh.
Richter: Kläger ist nicht 102 Jahre alt
Vor Gericht sitzt der Mann, der an einer spastischen Lähmung leidet, gebeugt an seinem Platz, das Haar ist grau meliert und dicht, er sieht aus, wie man mit knapp 50 eben aussieht. Aber ein Greis? "Dass wir es nicht mit einem 102-jährigen Menschen zu tun haben, ist, glaube ich, offensichtlich", sagt Richter Uwe Dreyer.
Das Gericht weist die Berufung des Mannes zurück – eine Feststellungsklage sei in diesem Fall nämlich "schlichtweg unzulässig". Eine Anfechtungs- und Leistungsklage wäre demnach der richtige Weg. Der Versicherungsträger habe den Rentenanspruch ausdrücklich abgelehnt, ein Widerspruchsverfahren habe es nicht gegeben.
Droht dem Mann nun ein Strafverfahren?
Der Richter wirft dem Mann auch vor, das Verfahren mutwillig zu führen, möglicherweise liege eine Straftat vor – "die möglicherweise ein anderes Verfahren nach sich zieht". Schon während der mündlichen Verhandlung warnt der Richter, dass Kläger in bestimmten Fällen die Verfahrenskosten tragen müssen. Im Vorfeld und auch während der Verhandlung versucht ihm Dreyer eine Brücke zu bauen – und fragt: "Sollen wir weitermachen?" Die Antwort lautet, wie aus der Pistole geschossen: "Na klar."
Nach Gerichtsangaben arbeitet der Mann, der 102 Jahre alt sein will, als Verwaltungsfachangestellter beim Landkreis Stade – in Vollzeit. Um seine angeblichen Rentenansprüche zu untermauern, legte er eine eidesstattliche Erklärung und eine selbst verfasste "Geburtsbescheinigung" vor. Die Altersanforderungen habe er "schon ein paar Jahre erfüllt". Und auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt habe wie er bis ins hohe Alter am Schreibtisch gearbeitet.
Mann spricht über mysteriösen Unfall
Die Daten der Deutschen Rentenversicherung seien aus seiner Sicht falsch, nicht 1973 sei sein Geburtsjahr, sondern 1919, betonte der Mann. 1973 habe er in Stade einen Unfall erlitten, über den er "aus Sicherheitsgründen" nicht sprechen dürfe. Dreyer fragte nach, welche Sicherheitsgründe das denn sein sollten. "Das muss ich hier nicht erläutern", antwortet der Mann. Der Richter schmunzelt.
Nun fordern Deutschlands Arbeitgeber zwar eine Debatte über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit in Deutschland – aber bis 102? Wohl kaum. Tatsächlich arbeiten immer mehr Ältere in Deutschland. So waren im vergangenen Jahr 1,04 Millionen Beschäftigte 67 Jahre alt oder älter. Fast 600.000 hatten noch ab 70 einen regelmäßigen Job, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag Mitte Juli ergab. Fast 220.000 waren demnach sogar älter als 75 Jahre – und 72.000 Beschäftigte älter als 80 Jahre.
Bereits seit Jahren stellen Arbeitsmarktforscher fest: Menschen fühlen sich im Rentenalter nicht unbedingt reif für den Ruhestand. Ältere sind im Schnitt auch fitter als frühere Generationen. Dennoch meinte der angeblich 102-Jährige, er könne nicht länger auf die Rente warten. Vergeblich. Stattdessen muss er die Kosten des Verfahrens tragen: 1000 Euro.