Mit der Ausweisung der letzten ausländischen Journalisten aus Tibet geht die Chance verloren, den Ursachen der schweren Ausschreitungen in Lhasa auf den Grund zu gehen. Indessen hat China nach Angaben des ausgewiesenen deutschen Reporters Georg Blume seine Truppen in Lhasa massiv verstärkt.
"Letztlich weiß man doch noch gar nicht, was passiert ist", sagte der deutsche Korrespondent Georg Blume vor seiner Abschiebung aus Lhasa am Donnerstag in einem Telefongespräch mit der Deutschen Presse Agentur dpa in Peking. "Es muss hier vor Ort mit den Augenzeugen geredet werden, um die Wahrheit herauszufinden. Denn jede Information, die aus Peking oder Dharamsala kommt, ist doch letztendlich verdächtig." Blume ist China-Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" und der Berliner "taz".
Gerade sei es in Lhasa möglich gewesen, auch ausführlicher mit Augenzeugen und Teilnehmern an den Demonstrationen zu sprechen. Auch Aussagen von chinakritischen Tibetern, die das Vorgehen der Polizei gegen den plötzlichen Gewaltausbruch auch durchaus in einem positiven Licht dargestellt hätten, habe er gehört. "Solche Berichte kommen jetzt eben auch nicht mehr an die Öffentlichkeit", sagte Blume. Ein Tibeter, der sich als Unterstützer des Dalai Lama und scharfer Chinakritiker erwiesen habe, habe ihm gegenüber eingeräumt: "Ehrlich gesagt, mit der Gewalt sind wir zu weit gegangen." Dieser Augenzeuge habe ferner berichtet, dass die Polizei nicht geschossen habe.
"Aber wenn die Behörden dich dann ausweisen, bist du dir wieder nicht sicher, ob sie nicht doch etwas zu verbergen haben", sagte Blume, der auch gesehen hat, wie bewaffnete paramilitärische Polizisten von Haus zu Haus gingen, um verdächtige Tibeter festzunehmen. Auch die tieferen Ursachen der Gewalt wie wirtschaftliche und soziale Diskriminierung könnten nicht weiter ergründet werden, wenn China ausländische Journalisten aus Tibet ausweise. "Es geht viel verloren. Es wäre eine Chance aufzuklären", sagte Blume, dem es mit der Journalistin Kristin Kupfer, die in Peking für das österreichische Magazin "Profil" akkreditiert ist, gelungen war, am Tag nach Ausbruch der schweren Unruhen am Freitag ohne die sonst für Tibet erforderliche Genehmigung nach Lhasa zu reisen. "Es ist hoch interessant, was hier an Leid zu erfahren ist."
Seit ihrer Ankunft in Lhasa habe die Ausländerpolizei sie aufgefordert, das Hochland wieder zu verlassen. "Seit Samstag sind sie jeden Tag ins Hotel gekommen", sagte Blume. Die entsandten Beamten seien immer hochrangiger geworden. Schließlich sei ihre Weigerung auch als Verstoß gegen die Vorschriften für Journalisten in China gewertet worden, weil sie keine Genehmigung für Tibet gehabt hätten. "Man sagte uns, dass wir schon lange bevorzugt behandelt worden seien, dass wir aber Probleme bekommen, wenn wir jetzt nicht gehen", sagte Blume, der von einem "einschüchternden" Ton sprach. "Es wurde mit dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis generell gedroht." Auch das Hotel habe ihnen am Donnerstag mitgeteilt, die Polizei habe verboten, sie weiter als Gäste zu beherbergen.
Zudem hat China nach Angaben Georg Blumes seine Truppenpräsenz in der tibetischen Hauptstadt Lhasa massiv verstärkt. Er habe einen Konvoi von mindestens 200 Armeefahrzeugen mit je 30 Soldaten gesehen - das seien rund 6000 Sicherheitkräfte, die binnen eines Tages in Lhasa unterwegs gewesen seien, sagte Blume der britischen BBC, kurz bevor er Tibet verlassen musste. Ein in West-China ansässiger BBC-Journalist berichtete, er habe mehr als 400 Militärfahrzeuge gezählt, die in Konvois von rund 80 Fahrzeugen in Richtung Tibet unterwegs seien.
Einige Soldaten seien mit automatischen Waffen ausgerüstet, andere trügen Kampfanzüge und Schutzschilde, sagte der BBC-Journalist. "Es sieht so aus, als stocke China seine Truppen in Tibet wenige Tage nach den Protesten in Lhasa drastisch auf", sagte der BBC-Reporter. Andere BBC-Journalisten berichteten, sie hätten rund zwei Dutzend Fahrzeuge von Sicherheitskräften auf einem Zug gesehen, der von West-China nach Tibet fahre. Auf einem der Fahrzeuge habe gestanden, dass es sich um die Schnelle Eingreiftruppe der chinesischen Polizei handle. Auch in der südwestchinesischen Provinz Sichuan, die an Tibet grenzt, waren nach einem Augenzeugenbericht vom Mittwoch große Truppenbewegungen auszumachen. Armeefahrzeuge seien auf Landstraßen an der Grenze zu Tibet unterwegs.