Hamburg. Berliner Investoren kauften 2017 einen Gewerbehof. Mieter bangen und wollen das Areal in Eigenregie übernehmen.
Auf dem Grill liegen Aale, dazu gibt es Kaffee. Auch an diesem sonnigen Freitagnachmittag pflegen die Handwerker und Künstler des Gewerbehofs an der Bernstorffstraße in Altona, den sie liebevoll „Bernie“ nennen, ihr Ritual. Noch mal schnacken, bevor das Wochenende beginnt.
Seit Monaten sind die Gespräche indes unerfreulich. Sie kreisen um die eine Frage: Was wird aus unserem Hof? Über Jahrzehnte zahlten sie nur eine bescheidene Miete an den Eigentümer, im Gegenzug hielten sie das Anwesen in Schuss. Doch 2017 kauften zwei Berliner Investoren das Areal. „Seitdem geht es um unsere Existenz“, sagt Ralf Gauger, Bauunternehmer und Sprecher der Hofgemeinschaft.
Wie unter einem Brennglas zeigt sich im Herzen von St. Pauli der Konflikt, der derzeit hundertfach in der Metropolregion ausgetragen wird: hier die Käufer, die auf eine Wertsteigerung ihrer Investition hoffen, dort die Mieter, die um ihre Heimat bangen.
Prominente Unterstützter
Längst macht der Streit auch bundesweite Schlagzeilen – dafür sorgen schon die bekanntesten „Bernie“-Mieter, die Hip-Hopper Fettes Brot und der Künstler Rocko Schamoni mit ihren Aufrufen in den sozialen Netzwerken. Stars wie Jan Delay spielten bei einem Solidaritätskonzert.
Doch der Kreis der Unterstützer reicht längst ins bürgerliche Lager, auch die Handwerkskammer, revolutionärer Umtriebe unverdächtig, solidarisiert sich mit „Bernie“. Als sich jüngst Bewohner eines nahe gelegenen Pflegeheims über den Lärm beim Konzert beschwerten, besuchte eine Hof-Delegation die Senioren. Mit Erfolg: Spontan reihten sich 15 pflegebedürftige Bewohner in den Kreis der „Bernie“-Freunde ein: „Wenn ihr uns fahrt und Stühle hinstellt, kommen wir zur Demo.“
Binnen weniger Wochen sammelten die 110 Künstler und Handwerker Kleinkredite von 160 Geldgebern über insgesamt rund 1,6 Millionen Euro ein. Dank eines Darlehens der Umweltbank konnte die Hofgemeinschaft den Investoren ein Kaufangebot über sieben Millionen Euro machen – laut „Viva la Bernie“ würden die Investoren bei einem Verkauf eine Million Euro Gewinn machen. Nach dieser Rechnung hätte der Hof 2017 für rund sechs Millionen Euro inklusive Nebenkosten den Besitzer gewechselt.
Aufgeladene Atmosphäre
Nur: Stimmt diese Kalkulation? „Der geschätzte Gesamtkaufpreis ist nicht korrekt, der kolportierte Gewinn wäre keineswegs so hoch“, sagt Christoph Reschke, der den Hof mit Geschäftspartner Alexander Möll erwarb. Ohnehin wolle man nicht verkaufen, sondern vermieten. Das Bezirksamt setzt nun auf einen Mediator.
Dieser Vermittler ist um seinen Job nicht zu beneiden. Wie verhärtet die Fronten sind, zeigte sich am vorvergangen Mittwoch. Der Bezirk sagte den runden Tisch mangels Einigungschancen kurzfristig an. Die Investoren hatten ihre Verärgerung über den Kundgebungs-aufruf von Fettes Brot vor dem Versammlungsort hinterlegt. Ein „konstruktiver und lösungsorientierter Austausch“ sei aus ihrer Sicht wegen der geplanten Demonstration vor dem Rathaus Altona nicht mehr möglich.
Wie aufgeladen die Atmosphäre ist, zeigt sich auch in der Bitte der beiden Käufer an das Abendblatt, beim bislang einzigen Interview kein Foto von ihnen zu zeigen. Die Berliner fürchten den Internetpranger und sprechen von offener Feindseligkeit: „Wir werden als Geldgeier dargestellt, die alles plattmachen wollen.“ Dabei sei ihr Angebot „weitaus besser als marktüblich“. Das gelte sowohl für den langfristigen Vertrag – 25 Jahre sind im Gewerbe in der Tat eher unüblich – als auch für die Miete von zunächst 7,47 Euro den Quadratmeter. Die Hofgemeinschaft glaubt dennoch, dass die Berliner nur mit Verspätung den großen Reibach machen wollen. Ein Mietvertrag bedeute den Verlust von Eigenständigkeit und den „Tod auf Raten“.
Vertrauen herstellen
Erste Aufgabe eines Mediators dürfte daher sein, wieder Vertrauen herzustellen. Gauger sagt, dass die Käufer den Wert der Gemeinschaft („wie wir zusammen leben und arbeiten, ist einmalig“) nicht begreifen würden: „Der passt nicht in ihre Exceltabellen.“
Reschke und Möll beklagen, dass sie öffentlich diskreditiert werden: „Wären wir die gefräßigen Miethaie, als die wir schon diffamiert wurden, wären wir längst an Unterfütterung gestorben.“ Den Hof, das ist ihnen wichtig, haben sie privat gekauft. Und nicht als Manager des Immobilien-Investors Hines. Immerhin soll es demnächst wieder Gespräche im kleinen Kreis geben.
Falls diese am Ende doch scheitern, plädiert „Viva La Bernie“dafür, dass „das Viertel entscheiden soll“. Wohlwissend, dass die Zustimmungsrate für den Hof die 100 Prozent erreichen dürfte, mit denen die SPD im März 2017 Martin Schulz zum Parteichef kürte. Allerdings wäre eine erneute Kanzlerkandidatur Schulz’ wahrscheinlicher als ein juristisch bindender Volksentscheid, der die neuen Besitzer quasi enteignen würde.