Die wertvolle Dokumentation „It Must Schwing – The Blue Note Story“ erzählt von den Gründern des legendären Labels
„Frauen konnten für ihn nie so wichtig sein, wie die Musik“, sagt Ruth Lion über Alfred Lion (geborener Löwe), einen der Gründer des legendären Jazz-Labels Blue Note. Sie muss es wissen, war sie doch viele Jahrzehnte mit ihm verheiratet. In Eric Friedlers „It Must Schwing“ ist sie eine der Zeitzeuginnen.
Geboren 1908 in Berlin, kam Alfred Lion in den frühen 1930er-Jahren in seiner Heimatstadt erstmals mit dem Jazz in Berührung. Nach der Machtergreifung der Nazis wanderte er nach New York aus, sein Freund Francis (Frank) Wolff, ebenfalls jüdischen Glaubens, folgte ihm 1939. Gemeinsam hoben die beiden Jazz-Enthusiasten Blue Note aus der Taufe, veröffentlichten noch 1939 die erste Schellack-Platte und schickten sich an, Musikgeschichte zu schreiben. Wolff als Produzent, Lion als Schöpfer der heute legendären Plattencover.
In Friedlers sehenswerter Dokumentation kommen mit Herbie Hancock, Sonny Rollins, Wayne Shorter oder Quincy Jones viele Jazz-Größen zu Wort, die berichten, wie die beiden Deutschen sie unterstützten und mit Respekt behandelten – im Amerika der Rassentrennung keine Selbstverständlichkeit. Großartig auch die kurzen Konzertmitschnitte etwa von Art Blakey’s Jazz Messengers und Thelonious Monk.
Nicht alles konnte mit Archivmaterial bebildert werden: Von Lions erster Jazz-Erfahrung in Berlin gibt es keine Aufnahmen, auch nicht vom Besuch in Thelonious Monks Wohnung oder den ersten Blue-Note-Aufnahme-Sessions. Die Lösung: Liebevoll gestaltete Animationsszenen, die sich perfekt einfügen und diese historischen Lücken schließen. Besonders beeindruckend ist eine Passage über den Pianisten Bud Powell, der wie viele seiner Kollegen dem Alkohol verfallen war und deshalb immer wieder in Schwierigkeiten geriet. Lions und Wolff kümmerten sich um ihn, wohl auch – wie Saxofonist Benny Golson mutmaßt –, weil sie selbst Erfahrungen mit Not und Elend gemacht hatten.
1965 verkauften die beiden Jazz-Pioniere Blue Note, Alfred Lion ging in den Ruhestand, sein Freund Francis starb 1971. Geblieben ist ein musikalischer Schatz, der bis heute weltweit Jazz-Fans begeistert und zum 80. Jubiläum im kommenden Jahr gewiss noch einmal stärker in den Blick kommen wird. Friedlers Dokumentation ist die perfekte Einstimmung auf das Feierjahr; wenn der Abspann läuft, möchte man sofort in den nächsten Secondhand-Plattenladen laufen, um sich wenigstens einen Teil all dieser legendären Platten in ihrem ursprünglichen Format ins Haus zu holen.
Übrigens: Lions erste Frau Lorraine trennte sich von ihm, nachdem er auf ihre Frage, warum sie eigentlich kein Kind hätten, geantwortet hatte: „Aber wir haben doch ein Kind: Blue Note Records.“ Der Mann wusste Prioritäten zu setzen.
„It Must Schwing – The Blue Note Story“
D 2018, 118 Min., o. A., R: Eric Friedler, täglich im Abaton (OmU), 3001 (OmU); itmustschwing.com