Hamburg. Studenten wohnen in Rotherbaum zu seltsamen Konditionen. Der Mieterverein sieht den Mieterschutz ausgehebelt. Was im Vertrag steht.

Der Blick vom Balkon fällt auf kleine Straßen mit Kopfsteinpflaster, Jugendstilbauten und lauschige Cafés, das Abaton-Kino liegt nur ein paar Steinwürfe entfernt. Nicht umsonst zählt der Stadtteil Rotherbaum zu den begehrtesten Quartieren der Hansestadt. Nicht umsonst trifft es in diesem Fall besonders gut.

Die Altbauwohnung an der Rappstraße mit einer Nutzfläche von 82,90 Quadratmetern im dritten Stock kostet eine Nettokaltmiete von 1442 Euro, die drei Studenten der Wohngemeinschaft zahlen also 17,40 Euro pro Quadratmeter – 19 Prozent mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete. Laut Staffelmietvertrag erhöht sich die Miete jährlich um drei Prozent, der Jahrestakt ist in 21 Schritten exakt terminiert: Von 1485 Euro (1. 9. 2018) über 1996 Euro (1. 9. 2029) bis 2604 Euro, zu zahlen ab dem 1. September 2037. Dann läge der Quadratmeterpreis bei 31 Euro.

Der bauliche Zustand des Hauses mag zu dieser Miete nicht wirklich passen. An den Fenstern und Balkontüren ist die Farbe an vielen Stellen abgeplatzt, Risse durchziehen das Holz. „Der Vermieter weist darauf hin, dass die Fenster und Balkontüren vom Baujahr des Hauses 1905 stammen und selbstver­ständlich nicht den Komfort moderner Isolierglasfenster bieten können“, heißt es dazu in § 25 des Mietvertrages.

Der Part Feuchtigkeit ist in diesem Paragrafen ebenfalls präzise geregelt. „Dem Mieter ist bekannt, dass Feuchtigkeitsschäden auftreten. Zur Reduzierung dieser Schäden und der sie regelmäßig begleitenden Schimmelbildung sind Räume stets ausreichend zu beheizen und zu belüften.“ Der Vermieter habe „diesbezüglich“ keine Verpflichtungen.

Mieterverein Hamburg übt scharfe Kritik

Doch wirklich außergewöhnlich macht dieses Mietverhältnis die Überschrift des Vertrages. Dort heißt es in großer Schrift: „Mietvertrag für Kontore, gewerbliche Räume und Grundstücke“.

Ein Gewerbemietvertrag für eine ganz normale Wohngemeinschaft von drei Studenten? Siegmund Chychla, Vorstand des Mietervereins zu Hamburg, kritisiert dies scharf: „Wohnmietverträge unterliegen dem sozialen Mietrecht und sollen Mieter schützen. Um diesen Mietschutz auszuhebeln, wird der Weg gewählt, Gewerbemietverträge zu schließen.“ Sein Urteil: „Sehr viele Klauseln, die dort verwendet werden, sind nach dem Wohnmietrecht unzulässig. Darüber hinaus bestehen auch hinsichtlich der Wirksamkeit einiger Klauseln des Gewerbemietvertrages ebenfalls erhebliche Bedenken.“

Großmutter schloss Gewerbemietvertrag ab

Der Eigentümer, die Firma Alster-Terrain, sieht das anders. Man komme mit dieser Art des Vertrages Mietern wie den Mitgliedern dieser Wohngemeinschaft entgegen, da sie „über keine ausreichenden Einnahmen verfügen“. Aufgrund „fehlender Bonität“ würden „derartige Mietinteressenten von den meisten Vermietern abgelehnt“. Alster-Terrain schreibt weiter: „Wir tun dies in der Regel nicht, sondern fragen, ob ein bonitätsstarker Hauptmieter bereit ist, einen Mietvertrag abzuschließen. Und dieser Mieter hat dann das Recht, nach seinem Belieben Untermieter auszusuchen.“ Und daher befinde man sich im Bereich des gewerblichen Mietrechts.

In dem Fall, der dem Abendblatt vorliegt, war die Großmutter eines Studenten nur deshalb bereit, einen Gewerbemietvertrag über eine Mietwohnung abzuschließen, weil ihr Enkel dringend eine Wohnung brauchte. Für den Mieterverein bleibt es ein klassischer Fall für die Umgehung des Wohnraumschutzes. Die Begrifflichkeit „Vermietung an Dritte“ stehe für das Verfolgen gewerblicher Zwecke. Und das sei hier „evident nicht der Fall“. Chychla sagt: „Wir sehen im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung große Erfolgsaussichten dafür, dass ein Gericht trotz des geschlossenen Gewerbemietvertrages den Fall nach den Bestimmungen des Wohnraummietrechts beurteilen würde.“

Vermieter weist Verantwortung bei Reparatur von sich

Auch andere Passagen des Mietvertrages klingen ungewöhnlich. So sollen Meinungsverschiedenheiten „möglichst nicht durch Anwälte und Gerichte gelöst werden“. Weiter heißt es: „Vielmehr bemühen sich die Vertragsparteien, in einem solchen Fall ein Gespräch im Büro des Vermieters zu führen mit dem Ziel, eine einvernehmliche Lösung zu finden.“ Für den Mieterverein steht fest: „Der Vermieter scheut aus nachvollziehbaren Gründen gerichtliche Auseinandersetzungen. Diese Regelungen wären in einem Wohnmietvertrag nicht zulässig.“

Seitens Alster-Terrain kann man sich dagegen „kaum an einen einzigen Fall erinnern, in dem ein Mieter es nicht außerordentlich positiv bewertet hat, wenn sein Vermieter angeboten hat, bei einer Meinungsverschiedenheit dasjenige zu tun, was das Selbstverständlichste von der Welt ist: nämlich miteinander zu sprechen.“ Sollte sich ein Mieter anders entscheiden, stünde ihm frei, „dieser Empfehlung nicht zu folgen und den Rechtsweg zu beschreiten.“

Klärungsbedarf gab es in der Tat, als die Heiztherme in der Küche repariert werden musste. Der Vermieter verwies in einer dem Abendblatt vorliegenden Mail auf den Mietvertrag, nach dem „Instandhaltungen und Instandsetzungen im Inneren des Mietobjektes bis einem Maximalbetrag von zwei Brutto-Mieten pro Mietjahr Mietersache“ seien. Weiter heißt es in der Mail von Alster-Terrain: „Dies hat nichts mit Kleinreparaturen oder Schönheitsreparaturen zu tun, sodass Reparaturen an der Heizungsanlage von Ihnen zu tragen sind.“ Laut Mieterverein wäre eine solche Regelung in einem klassischen Mietvertrag unzulässig, die Reparatur Sache des Vermieters.

Alster-Terrain wehrt sich gegen Vorwürfe

Aus ihrem Geschäftsmodell mit Gewerbe-Verträgen macht Alster-Terrain gar keinen Hehl. Auf der firmeneigenen Homepage wirbt das Unternehmen für ein „zukunftsweisendes Mietkonzept“. Abhängig von der „Verweildauer in Hamburg bietet ein Hauptmieter entsprechend kurz- und längerfristiger Mietverhältnisse an“, die „hohe Flexibilität komme dieser Zielgruppe sehr entgegen“.

Der Mieterverein kritisiert diese Praxis: „Wir beobachten diesen Vermieter schon seit gut 25 Jahren.“ Er habe immer wieder auf „unterschiedlichen Wegen“ versucht, das soziale Mietrecht zu umgehen: „Anfangs hat man die Leute gefragt, ob sie ein Instrument spielen und hat dann daraus eine teilgewerbliche Nutzung der Wohnung als Musikstudio gemacht. Nun wird das Modell der Untervermietung für die Begründung eines Gewerbemietvertrages genutzt.“ Alster-Terrain kann sich an „eine derartige Mietsituation nicht erinnern“ und hält es für „extrem unwahrscheinlich, dass diese Geschichte zutrifft“. Man würde keine Verträge abschließen, „bei denen ein Vertragszweck vorgetäuscht wird“.

Der Mieterverein würde „unwahre Behauptungen“ der Presse zuspielen mit dem Ziel, „kostenlose Werbung“ zu erreichen. Über sich selbst sagt Alster-Terrain: „Wir sind ein verhältnismäßig kleiner Vermieter in Hamburg und haben in fünf Jahrzehnten unseren Bestand an Wohnungen, Läden und Büros ganz überwiegend zur Zufriedenheit unserer Mieter verwaltet.“