Ahrensburg. Stormarn wird 150: Wir haben aus allen Ecken des Kreises berichtet und Erfahrungen gesammelt. Was dabei herausgekommen ist.
150 Stunden durch Stormarn? Warum nicht, haben wir uns gedacht. Und das 150-jährige Bestehen des Kreises Stormarn liefert uns die perfekte Steilvorlage für diese einzigartige Aktion.
Wir sind mal mit dem VW-Bus unterwegs, mal mit einem der Abendblatt-Smarts, mal mit dem Abendblatt-Fahrrad oder auch zu Fuß oder gar per Boot? Wir werden es sehen. Ein Drehbuch gibt es jedenfalls nicht, allerdings ein paar Ankerplätze. So werden wir von Montag bis Freitag jeden Tag jeweils mittags für zwei Stunden an einem festen Platz in Stormarner Städten und Gemeinden Halt machen und ansprechbar für unsere Leser sein. Abendblatt-Redakteure sind vor Ort und nehmen Anregungen und Kritik entgegen. Kommen Sie vorbei, besuchen Sie uns und geben Sie uns all die Dinge mit auf den Weg, die Sie bewegen. Wir freuen uns auf Sie.
Die Analyse der 150-Stunden-Reportage
Es war eine Idee zum 150-jährigen Bestehen des Kreises Stormarn. Es war eine bisher einzigartige Aktion und in gewisser Weise auch ein Experiment: 150 Stunden bin ich von Montagmorgen bis Sonntagnachmittag in Stormarn unterwegs gewesen – mit dem Auto, mit dem Fahrrad, laufend und gehend. Innerhalb dieser 150 Stunden haben wir mit einer kleinen rollenden Redaktion Station in fünf Stormarner Städten und Gemeinden gemacht und waren für unsere Leser vor Ort ansprechbar.
Was ist am Ende dabei herausgekommen? Es ist eine Bestandsaufnahme aus dem Spätsommer 2017, freilich subjektiv geprägt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder gar repräsentativ zu sein – aber gespeist durch 150 Stunden intensive Erfahrungen, durch ungezählte Gespräche mit vielen Menschen und anregenden Begegnungen in nahezu allen Teilen des Kreises. Sechs Themenbereiche haben sich dabei als besonders relevant herauskristallisiert.
Wohnen
Stormarn wächst, im Unterschied zu vielen anderen Teilen des Landes, stetig. Städte und Gemeinden im Hamburger Umland stehen unter großem Siedlungsdruck, da die Metropole eine starke Anziehungskraft ausübt, gleichzeitig aber nicht ausreichend Wohnraum und vor allem bezahlbare Immobilien zur Verfügung stellen kann. Das führt dazu, dass viele junge Familien auf Grundstückssuche im Umland gehen. Überall in Stormarner Städten und Gemeinden werden daher Neubaugebiete ausgewiesen. Auffallend: Sie sehen sich alle ziemlich ähnlich, was aber nicht negativ sein muss. Denn so sehen auch Neubaugebiete beispielsweise in Rheinland-Pfalz aus. Und es dürfte gute Gründe dafür geben, dass sie so aussehen. Ich habe jedenfalls viele Menschen gesehen und getroffen, die voller Freude auf ihren frisch angelegten Terrassen saßen oder voller Vorfreude Fotos von den Rohbauten ihrer Häuser für die Familie machten. Von Problemen bei der Integration der Neubürger haben wir nichts gehört. Vielmehr äußerten alteingesessene Stormarner großes Verständnis, nach dem Motto: „Ist doch klar, dass die hierher ziehen wollen, weil es hier so schön ist.“
Verkehr
Das Thema Verkehr hat mich in verschiedenen Ausprägungen beschäftigt. Da ist zum einen der Wunsch vieler Bürger nach besseren Bus- und Bahnverbindungen in Richtung Hamburg, aber auch innerhalb ihrer Kommunen. Auf der anderen Seite konnte ich häufig beobachten, wie das oben beschrieben Wachstum des Kreises zunehmend zur Herausforderung für Straßen und Anlieger wird. Die Kolonnen, die sich morgens durch die Dörfer in Richtung Autobahn nach Hamburg schlängeln, bedeuten eine Luft- und Lärmbelastung, die mit der Ausdehnung des Radius, in dem die Neubaugebiete geschaffen werden, immer mehr Menschen trifft. Dazu kommt der Lieferverkehr in die Gewerbegebiete. Nicht ohne Grund werden etwa in Hammoor oder Ahrensburg intensive Diskussionen um Umgehungsstraßen geführt. Die Beantwortung der Mobilitätsfrage dürfte eine der zentralen Aufgaben für die nächsten Jahrzehnte werden.
Gewerbe
Das Gewerbe in Stormarn boomt, die Betriebe sind wichtige Arbeitgeber und Steuerzahler für die Region. Nicht zuletzt aufgrund seiner Wirtschaftskraft steht Stormarn so gut da. So kommt es beispielsweise, dass auch eine nach Einwohnerzahl kleine Gemeinde wie Siek aufgrund ihrer strategischen Lage an der Autobahn riesige Gewerbeflächen zu bieten hat. Ich glaube, ich habe – mit Ausnahme von Airbus – noch nie vor einer so großen Halle gestanden wie dem Lidl-Zentrallager im Gewerbegebiet Jacobsrade.
Innenstädte/Einkaufen
In dem Maße wie das Gewerbe floriert, hat der Einzelhandel zu kämpfen – auch in vielen Teilen Stormarns. In den größeren Städten gibt es überall Leerstände und in die Jahre gekommene Ladenlokale. Dazu kommen veraltete innerstädtische Infrastrukturen und Verkehrswege, die den Wunsch nach zentrumsnahen Parkplätzen auf der einen, und verkehrsarmem Einkaufsvergnügen auf der anderen Seite nicht unter einen Hut bekommen. Dazu kommt das geänderte Konsumverhalten, die Konkurrenz durch den Internet-Handel. Auch beim Thema Stadtentwicklung gilt: Hier werden große und eher langfristige Lösungen gefragt sein.
Naherholung
Tourismus spielt in Stormarn eine vergleichbar kleine Rolle. Das heißt aber keinesfalls, dass es nicht durchaus Attraktionen gäbe, die vor allem von eigenen Einwohnern, Ausflugsgästen und Kurzurlaubern genutzt werden können. Es gibt viel schönes Wasser (Trave, Herrenteich, Großensee, Lütjensee), viel schönes Holz (Hahnheide, Sachsenwald, Beimoorwald) und viel gutes Essen (von der gehobenen Küche bis zur gemütlichen Landhaus-Gastronomie). Tatsächlich sind mir auch sehr viele Fahrradfahrer auf meiner Reportagereise begegnet, die noch ganz klassisch mit Wander- und Straßenkarten ihre Touren durch Stormarns Landschaften machten.
Menschen
Ein zentrales Element der 150-Stunden-Reportage waren die Abendblatt-Stände in fünf Stormarner Städten und Gemeinden. Wir haben mit vielen sehr freundlich, sehr engagierten, aber auch sehr unterschiedlichen Menschen gesprochen. Gibt es so etwas wie „den“ Stormarner? Natürlich nicht. Genauso wenig wie es „den“ Ahrensburger oder „den“ Hamburger gibt. Und auch jenseits der natürlichen Individualität der Menschen ist es schwer, von einer „Stormarner Identität“ zu sprechen, da der Kreis aus völlig unterschiedlichen Gebieten besteht. Der Süden hat mit der Mitte wenig gemein, die Mitte wenig mit dem Norden – und für den Westen und den Osten gilt das genauso. Je länger ich im Kreisgebiet unterwegs war, desto deutlicher wurde mir das. Das hat weniger mit den geografischen Lagen zu tun, als vielmehr mit gewachsenen Strukturen, in denen sich größere und kleinere Städte und Gemeinden gebildet haben. Sie alle haben eigene Identitäten entwickelt, die von Ort zu Ort unterschiedlich sind. Die Menschen identifizieren sich offenbar weniger mit den durch Kreisgrenzen vorgegebenen Einheiten als viel mehr mit ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. So, wie es an der Grenze zu Hamburg fließende Übergänge gibt, findet man sie auch an der Grenze zum Herzogtum Lauenburg. Das ist eine Erkenntnis, der ich ziemlich viel abgewinnen kann: Wo man sich wohlfühlt, wohin man sich zugehörig fühlt, ist nicht von Verwaltungsakten abhängig, sondern von den Menschen, die dort leben.
Die Tour in Zahlen: Autokilometer 531,7, Fahrradkilometer 37,6, Jogging-Kilometer 24,2
So war der fünfte Tag in Großhansdorf
Der zweite Blick zählt manchmal mehr als der erste Eindruck. Diese Erfahrung machte unser 150-Stunden-Reporter in Bad Oldesloe. Als er am Vorabend hier durch die Straßen ging, war er fest davon überzeugt, dass diese Stadt ihn nicht wirklich begeistern könnte. Am Freitagmorgen, nach einer frühen Radtour durch die gerade zum Leben erwachende Kreisstadt, sieht das schon ganz anders aus: Das ist zum Beispiel der Kurpark – ein richtiger kleiner Wald mitten im Zentrum. Da sind die Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen, in denen morgens um 7.30 Uhr die Läden zwar noch geschlossen haben, vor den Bäckern aber schon gut gelaunte Senioren ihren Morgenkaffee nehmen. Das wirkt ziemlich freundlich und einladend. Gleichwohl haben die Kaufleute auch hier gegen die Konkurrenz aus dem Internet zu kämpfen. Und verschiedene Kampagnen zeigen, dass die Oldesloer durchaus bemüht sind. Die Voraussetzungen in der Innenstadt sind eigentlich nicht schlecht.
Ist Großhansdorf ein Einkaufs-Paradies?
Um das Einkaufen geht es auch in Großhansdorf, wo wir am Freitag zum letzten Mal in dieser Woche unsere rollende Abendblatt-Redaktion aufgebaut haben. Aber mit etwas anderem Tenor. Leerstand? Kein Thema. Parkplätze? „Unsere Stärke“, sagt Bürgermeister Janhinnerk Voß, der am Abendblatt-Stand vorbeischaut. „Sie sind kostenlos und wir haben sie hier im Zentrum extra breiter gebaut, damit die Menschen bequemer aus- und einsteigen können.“ Und er kann sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen, wenn er berichtet, dass immer mehr Ahrensburger nach Großhansdorf zum Einkaufen kommen.
Etwas ernster wird er, wenn er über Gerüchte berichtet, die sich hartnäckig im Dorf halten. Er stellt klar: Entgegen manch kolportierter Meinung seien auf dem Gelände der ehemaligen Reha-Stätte weder ein Großparkplatz, noch ein Supermarkt, noch ein Flüchtlingsheim und auch keine flächendeckende Abholzung des Waldes geplant. „Vielmehr gelten die bereits präsentierten Entwürfe für die angedachte behutsame Wohnbebauung“, so der Bürgermeister.
Zu Meckern gibt’s aber sonst kaum etwas in Großhansdorf. „Wir sind eine glückselige Gemeinde“, sagt Rudolf Lück (80). Kurze Pause. „Und wir haben einen tollen Bürgermeister.“ Mitbürgerin Lore Grube (81) bestätigt das durch entschiedenes Nicken. Die beiden sportlichen Rentner sind die ersten Gäste am Abendblatt-Stand. Wir müssen schon nachfragen, bevor der aktive Herr Lück, der gerade aus dem Fitness-Studio kommt, auch mal etwas Kritisches sagt: „Die Radwege könnten besser sein – das betrifft aber vor allem Ahrensburg.“ Außerdem störe ihn, dass die Sanierung des örtlichen Sportplatzes immer wieder kurzfristig von Haushalt zu Haushalt geschoben werde.
Bemängelt wird eine allgemeine Rücksichtslosigkeit
Lore Grube, die sich für das örtliche Rote Kreuz sowie in der Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge engagiert, lobt das Miteinander in der Gemeinde. Wie auf Stichwort kommt Violetta Asryan (30) vorbei. Die gebürtige Armenierin, die seit drei Jahren mit ihrer Familie in Großhansdorf lebt, bestätigt sofort, dass sie gut aufgenommen wurde und gern hier lebt.
Pastorin Ursula Sieg aus Ahrensburg und Ralph Märcker, Leiter der Grundschule Wöhrendamm, sind zufällig im Eilbergweg und bleiben für ein Schwätzchen stehen.
Am Nebentisch spricht der CDU-Kreistagsabgeordnete Bernd Freytag aus Hoisdorf über ein Thema, das ihm sehr am Herzen liegt. Es ist weniger lokal, sondern ziemlich grundsätzlich. Aber es hat unmittelbare Auswirkungen eben auch hier in Großhansdorf und Umgebung. Freytag beklagt die zunehmende Rücksichtslosigkeit, die sich in der Gesellschaft breit mache. Das zeige sich zum Beispiel daran, dass Grundstückseigentümer häufig ihre Pflanzen auf die öffentlichen Wege wuchern lassen. „Das stellt eine Gefahr vor allem für Fahrradfahrer und Kinder dar“, so Freytag. Er berichtet weiterhin von Radfahrern, die Fußgänger auf Gehwegen „wegklingeln“ und von Autofahrern, die direkt vor den Türen von Supermärkten parken und andere behindern. Er vermutet, dass diese Entwicklung auch damit zu tun haben, dass heute immer alles „schnell, schnell“ gehen müsse. Der ehemalige Lehrer glaubt, dass vernünftige Umgangsformen in Teilen der Gesellschaft erst wieder gelernt werden müssen.
Wie in vielen anderen Orten, in denen wir in dieser Woche Station gemacht haben, wünschen sich viele Großhansdorfer vom Abendblatt noch mehr Berichte aus ihrer Gemeinde. Oft fügen sie ihrer subjektiven Wahrnehmung den verständnisvollen Nachsatz hinzu: „Aber hier ist ja auch nicht so viel los.“ Stefan Kehl widerspricht: „Wir kommen gut in der Zeitung vor.“ Der Großhansdorfer Gemeindevertreter und Kreistagsabgeordnete der Grünen lobt die Abendblatt-Aktion: „Es ist gut, dass Sie hierherkommen und sich den Lesern stellen. Gerade in Zeiten der Digitalisierung ist es besonders wichtig, dass die Zeitung sich zeigt.“ Schon bald diskutiert Kehl so angeregt mit SPD-Fraktionschef Reinhard Niegengerd, dass beide viel länger als die geplante Visite am Abendblatt-Stehtisch bleiben. Einen Abendblatt-Artikel zum Stormarner Dauerstau nehmen beide zum Anlass, am Sinn der aktuellen Verkehrspolitik zu zweifeln. Kehl sagt, es sei ein Fehler, durch den ständigen Ausbau von Kapazitäten auf die Zunahme des Verkehrs zu reagieren („eine Verdoppelung der Spuren wird in 20 Jahren auch wieder nicht ausreichend sein“), statt Verkehr zu vermeiden oder in den Spitzenzeiten zu entzerren. Dazu könnten auch örtliche Unternehmen mit koordinierten Anfangs- und Schlusszeiten ihrer Schichten beitragen.
Ein langjähriger Abonnent sorgt für Staunen
Reinhard Niegengerd wiederum wünscht sich mehr bezahlbaren Wohnraum für Großhansdorf: „Damit auch Kassiererin, Bauhofmitarbeiter oder Schulsekretärin es sich leisten können, dort zu wohnen, wo sie arbeiten. Auch das vermeidet Verkehr.“ Einig waren sich die beiden Politiker mit den Bürgern, dass das erste, was sie täglich im Abendblatt lesen, der Stormarn-Teil ist. „Über allgemeine Politik ist man meist schon aus dem Netz informiert, bevor sie in der Zeitung steht, aber auf lokale Neuigkeiten bin ich jedesmal gespannt“, sagt Niegengerd.
Zum Abschluss bringt ein allzeittreuer Leser das Abendblatt-Team zum Staunen. Heinrich Prüsmann hat etwas mitgebracht, was selbst langjährige Redakteure erstmals sehen: Abonnentenpässe von 1966 und 1968. Der aufgeklappte Paß (ja, noch mit ß) zeigt briefmarkenartige Aufkleber mit Hamburg -Motiven oder Bürgermeister-Köpfen. Mit den Aufklebern bestätigte der Zusteller damals, dass die monatliche Abo-Gebühr bezahlt worden war.
Heinrich Prüsmann hält nicht nur dem Abendblatt die Treue, sondern seit mehr als 50 Jahren auch Großhansdorf: „Ich wohne sehr gern hier, finde aber, dass es dem Namen entsprechend etwas dörflicher sein könnte. Viele leben hier in ihrem privaten Rückzugsraum hinter hohen Hecken und orientieren sich sonst stark nach Hamburg.“
So war der vierte Tag in Bargteheide und Umgebung
Der Tag beginnt mit einem Bad im Großensee. Unser 150-Stunden-Reporter hat die Nacht in Lüjensee verbracht und fährt frühmorgens mit dem Abendblatt-Fahrrad an den Nordstrand des Großensees – an jenen Strand also, um den es im vergangenen Jahr heftige Auseinandersetzungen gegeben hatte. Er war dreckig, vermüllt und häufig ließen die Besucher ihre Hunde und sogar Pferde ins Wasser. Es folgten Verbote, Verbote wurden ignoriert, Verbotsschilder gestohlen, Bußgeldbescheide verschickt, Parkplätze gesperrt. Auch an diesem Morgen sind wieder Spaziergänger mit ihren Hunden unterwegs, lassen sie ins Wasser. Dessen Temperatur ist angenehm, die Sicht ist klar, kleine Fische umschwärmen die Füße.
Der Strand dagegen ist wenig einladend: Kohlereste, grau-schwarzer Sand, Zigarettenkippen. Es scheint, als habe sich an der Situation, die zur Eskalation führte, nicht viel geändert. Allerdings haben sich die Gemüter mittlerweile beruhigt. Nur vorübergehend?
Bargteheider sind von ihrer Stadt ziemlich begeistert
Von Zwist ist man Bargteheide offenbar weitgehend verschont. Die Bürger dieser Stadt, die am Donnerstag Standort unserer rollenden Redaktion ist, strahlen Glück und Zufriedenheit aus. Ann-Cathrin Röhrl beispielsweise muss lange, sehr lange überlegen, ob es eigentlich irgendetwas gibt, was ihr an Bargteheide nicht gefällt. Sie kommt zu keinem Ergebnis. Dafür sprudeln die Vorteile nur so aus ihr heraus. „Einkaufen gut, Schule gut, Parken gut, Integration von Flüchtlingen gut ...“ Es folgen noch ein paar weitere: „Wir haben ein funktionierendes Rathaus, ein Kino, ein Theater, ein beheiztes Freibad – und wenn ich mal nach Hamburg fahre, bin ich froh, wieder hier zu sein.“
So viel Begeisterung ist schwer zu toppen. Landrat Henning Görtz, der an seinem freien Tag auf dem Fahrrad zum Abendblatt-Stand kommt, hat einen gewissen Anteil daran, dass es in Bargteheide gut läuft. Er war bis vor etwa 1,5 Jahren Bürgermeister der Stadt und damit Vorgänger von Birte Kruse-Gobrecht, die ebenfalls in der rollenden Redaktion vorbeischaut. Henning Görtz hält sich mit dem Lob für Bargteheide heute etwas zurück, ist dafür von der Abendblatt-Aktion zum 150. Jubiläum des Kreises schwer angetan „Das finde ich eine richtig tolle Sache“, so Görtz. Neues erfahren wir auch von Birte Kruse-Gobrecht, der jetzigen Bürgermeisterin. Sie wird von ihrem bisherigen Wohnort Tremsbüttel jetzt auch nach Bargteheide ziehen. „Bald sind es nur noch fünf Minuten zu Fuß zum Rathaus“, sagt Kruse-Gobrecht.
Bereits seit 1950 lebt Günter Schlack in Bargteheide. Aus Überzeugung. Doch mit ihm haben wir dann tatsächlich einen gefunden, der etwas zu kritisieren hat. Besorgniserregend findet der Rentner nämlich die Entwicklung der ärztlichen Versorgung in der Stadt. „Hier fehlen ein HNO-Arzt und ein Urologe. Es mangelt an Fachärzten“, sagt Schlack. Seit Jahren werde über ein Ärztehaus geredet, „doch nichts passiert“, beklagt er sich.
Günter Schlack hat seine beiden Enkel mitgebracht. Die 11-jährigen Zwillinge Tom und Jirka sind zufrieden mit ihrem Heimatort. „Das Freibad ist toll“, sind sich die Jungen einig. Was ihnen allerdings fehlt, ist ein größeres Spielzeuggeschäft, wo es noch mehr zu entdecken gibt. Und gegen einen Apple Store oder ein Restaurant einer bekannten Fast-Food-Kette hätten sie auch nichts einzuwenden.
Von derartigen Wünschen ist man in den umliegenden Dörfern vermutlich weit entfernt. Auf dem Weg nach Bad Oldesloe fährt der 150-Stunden-Reporter kreuz und quer durch die Gemeinden. In vielen Orten gibt es nicht ein einziges Geschäft. Dafür jede Menge dörflichen Charme. Im Steinburger Ortsteil Mollhagen halten wir an, um den Nachschub an Wasserflaschen aufzufüllen. Wir finden mit Kramp den vielleicht kleinsten Edeka-Markt, in dem wir je eingekauft haben. Seit 1920 besteht das Geschäft, heute kostet der Coffee to go nur 1,20 Euro. Wo bekommt man das in einer größeren Stadt noch? Und wer an einem ganz normalen Donnerstagnachmittag in den Steinburger Ortsteil Eichede fährt, der würde niemals darauf kommen, dass hier Stormarns erfolgreichster Fußballverein regelmäßig die Schlagzeilen liefert. „Kühe, Schweine, Eichede!“ lautet der selbstironische Schlachtruf.
Straßen sind teilweise in erbärmlichen Zustand
Es wird ländlicher in dieser Ecke Stormarns. In dem Maße, wie die Luft jauchiger und die Straßen erdiger werden, steigt auch die Frequenz von Treckern, Mähdreschern und anderem landwirtschaftlichen Gerät auf den Straßen. Es ist Erntezeit, die Landwirte nutzen das weitgehend gute Wetter des Tages.
Was ebenfalls auffällt: Viele kleine Landesstraßen, zum Beispiel zwischen Schmachthagen und Rethwisch, sind in einem erbärmlichen Zustand. Das Problem: Es ist hier zu wenig Verkehr, als dass das Land die Sanierung mit einer Priorität versehen würde. Gleichwohl ist es für die Menschen, die hier leben, besonders bitter. Denn sie haben kaum eine Möglichkeit, ihren Wohnort ohne Auto zu erreichen. Und wenn sie fahren, müssen sie ernsthaft Angst um dessen Unversehrtheit haben.
Am Freitag macht die rollende Redaktion der Stormarn-Ausgabe des Hamburger Abendblatts Station in Großhansdorf: von 12 bis 14 Uhr stehen wir am Eilbergweg 11 (bei Budni)
So war der dritte Tag in Trittau
Die Nacht in Witzhave ist früh zu Ende. Der 150-Stunden-Reporter wird von Rauschen der Autos geweckt. Es sind viele, sehr viele, die bereits am frühen Morgen auf der Autobahn 24 in Richtung Hamburg brausen. Und es sind viele, die auf den Zubringerstraßen unterwegs sind.
Diese Szene zeigt etwas Typisches für die grünen Regionen rund um große Metropolen, etwas Typisches auch für Stormarn. Denn es wird sehr deutlich, dass die Kombination „Arbeiten in der Stadt und Wohnen im Grünen“ immer auch mit einer Herausforderung verbunden ist – dem Weg zur Arbeit und zurück. Und wenn nach dem Einatmen der vermeintlich frischen Morgenluft dann Dieselqualm aus den Lungenflügeln wieder ausgeatmet wird, dann ist schnell klar: Das ist auch eine Herausforderung für die Umwelt und für die betroffenen Städte und Gemeinden im noch grünen Umland, durch die der immer weiter zunehmende Verkehr fließt.
Der Siedlungsdruck aus Hamburg ist hoch, viele Familien ziehen nach Stormarn, es gibt überall hübsche Neubaugebiete. Aber da die Preise im direkt angrenzenden Umland ebenfalls massiv ansteigen, weichen die Häuslebauer weiter ins Landesinnere aus. Die Folge: Der Weg zur Arbeit wird länger, mehr Städte und Gemeinden müssen mit mehr Durchgangsverkehr klarkommen.
Einwohnerzahlen haben sich mit der Zeit verdoppelt
Wie sehr die Region in den vergangenen Jahren gewachsen ist, haben auch einige Menschen aus der Region Trittau miterlebt, die am Mittwochmittag zur rollenden Abendblatt-Redaktion auf den Europaplatz gekommen sind. Das ist zum Beispiel Peter Diringer, der am liebsten die Serie „Liebeserklärung an ...“ im Hamburger Abendblatt liest. Und er nutzt die Gelegenheit, eine an seine Gemeinde zu machen: „Lütjensee ist die schönste Gegend Deutschlands.“ Der 79-Jährige muss es schließlich wissen. Vor knapp fünf Jahren war er mit dem Fahrrad nach Spanien geradelt und hat dabei so manche Ecke der Republik gesehen.
Doch leben möchte Diringer nur in Lütjensee, wo er vor 44 Jahren aus Hamburg-Sasel hingezogen ist. „Ich kann auch verstehen, dass andere Menschen dort leben wollen, wo es am schönsten ist.“ Deswegen kann er auch gut nachvollziehen, dass die Region immer weiter wächst. In der Zeit, in der er in Lütjensee lebt, hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt. Diringer hat damit kein Problem, merkt aber auch an, dass es in seinem Ort als Geschäfte eigentlich nur noch einen Penny-Markt und einen Bäcker gibt. Er schwärmt ein wenig von den Zeiten, als er den örtlichen Kaufmannsladen-Betreiber auch am Sonntag anrufen konnte, wenn er etwas dringendes brauchte – und der ihm das dann vor die Tür gestellt hat.
Auch Trittau wird in den kommenden Jahren um acht bis zwölf Prozent wachsen, schätzt Bürgermeister Oliver Mesch, der uns einen Besuch am Abendblatt-Stand abstattet. Derzeit leben rund 8700 Menschen in der Gemeinde. Doch Verwaltung und Politik werden in den kommenden Jahren Neubaugebiete ausweisen. „Dann wird Trittau schätzungsweise 9500 Einwohner haben“, sagt Mesch, der auch betont, dass Trittau behutsam wachsen müsse. Das heißt, auch die Infrastruktur in der Gemeinde muss ausgebaut werden oder mit der Zeit gehen. „Auto war gestern, Fahrrad ist morgen“, sagt der Verwaltungschef. „Alles ist in Trittau innerhalb von fünf Minuten mit dem Rad zu erreichen.“
Langfristig soll mehr Platz für Radwege geschaffen werden
Doch Radwege sind in Trittau ein Problem. Denn es gibt sie kaum, beziehungsweise sie werden derzeit auf den Gehwegen zurückgebaut, weil dort zu wenig Platz ist. Für Radfahrer bedeutet dies, dass sie nun auf der Straße fahren müssen. Eine Lösung erhofft sich Mesch durch langfristig breiter geplante Gehwege oder Alternativrouten abseits der zentralen Durchgangsstraßen.
Mit einem Elektrofahrrad ist auch Norbert Weber (61) zur rollenden Redaktion gekommen. Er ist gebürtiger Trittauer und auch er hat die Verdoppelung der Einwohnerzahlen miterlebt. Er kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, als die Gemeinde nur 4300 Einwohner hatte und noch die Schweine durchs Dorf getrieben wurden.
Wachstum und Änderungen sieht Weber mit gemischten Gefühlen. Der Sportleiter des örtlichen Schützenvereins und dort im vierten Jahr in Folge Erster Ritter, wünscht sich bei der Entwicklung von Trittau mehr Kontinuität und einen überparteilichen Konsens. Dabei kritisiert er, dass beispielsweise Beschlüsse nach zwei Jahren einfach wieder zurückgenommen werden. „Es müsste ein überörtliche Entwicklung festgelegt werden“, sagt Weber.
Und bei den Neubürgern wünscht sich der Ur-Trittauer mehr Zusammenhalt und das typische Gemeinschaftsgefühl eines Dorfes. Als er mit seinem Fahrrad in ein Neubaugebiet fuhr, um die neuen Bürger kennenzulernen, reagierten diese eher distanziert. Dennoch ist Norbert Weber mit dem Wachstum seiner Gemeinde durchaus einverstanden. „Die soziale Struktur ist ausgewogen“. Und wenn es nach ihm geht, wird er die Entwicklung Trittaus auch noch lange verfolgen. Weber, der in Trittau in einer Hausgeburt auf die Welt kam, sagt voller Überzeugung: „Hier möchte ich auch sterben.“
Etwas Kritisches hat er dann aber doch noch loszuwerden, am Stand des Abendblatts. Ihm ist zu wenig über Trittau in der Zeitung, zu wenig über das aktive Vereinsleben in der Region. Ähnlich äußert sich auch Bürgermeister Oliver Mesch. „Die Medien gelten nicht ohne Grund als vierte Gewalt im Staat.“ Sie übten eine sehr wichtige Funktion für die Bürger aus. „Denn die wollen wissen, was los ist.“
Wir von der Abendblatt-Redaktion nehmen die Kritik sehr ernst, und die Wertschätzung gern entgegen. Wir sind wieder etwas schlauer geworden an diesem Tag. Wir haben wieder ein bisschen mehr davon erfahren, was die Sorgen und Nöte der Stormarner sind. Am Donnerstag werden wir diese Erfahrungssammlung in Bargteheide fortsetzen – um 12 Uhr vor dem Stadthaus.
Sie erreichen Redaktionsleiter Hinnerk Blombach unterwegs per E-Mail an die Adresse 150stunden@abendblatt.de
So war der zweite Tag in Reinbek
Die Bürger in Stormarns Süden sind gern hin und weg. Und das bezieht sich in diesem Fall nicht auf ihre Begeisterungsfähigkeit, sondern auf den vielfach geäußerten Wunsch nach besseren Verbindungen im öffentlichen Nahverkehr. Wie schon am ersten Tag der 150-Stunden-Reportage des Abendblatts durch den Kreis Stormarn, an dem unsere kleine rollende Redaktion in Barsbüttel Station gemacht hatte, steht auch am Dienstag in Reinbek die Frage nach Abfahrt und Ankunft ganz oben auf der Prioritätenliste vieler Menschen, die sich auf den Weg zum Gespräch mit den Abendblatt-Reportern am Täbyplatz gemacht haben.
Da sind zum Beispiel Rainer (66) und Heinke Gerling (68). Sie wünschen sich mehr S-Bahnen von Reinbek nach Hamburg sowie in umgekehrter Richtung. „Es wäre schön, wenn es durchgängig einen Zehn-Minutentakt geben würde“, sagt der Rentner.
Nicht erzählt haben die beiden allerdings, ob sie manchmal sehnsüchtig blickend auf jener Parkbank sitzen, die wir frühmorgens beim Lauf durch den Reinbeker Krähenwald entdeckt haben. Wie an einem touristisch wertvollen Aussichtspunkt steht sie da und bietet einen eigens vom wilden Laub freigeschnittenen Blick auf die Bahngleise. Ist es das Fernweh, das zu diesem ungewöhnlichen Standort geführt hat? Immerhin fahren hier nicht nur schnöde S-Bahnen, sondern auch ICE-Züge auf dem Weg in die Bundeshauptstadt vorbei. Oder sind die Reinbeker ob des nahegelegenen Eisenbahnmuseums in Aumühle schlicht begeistert von Schienenfahrzeugen aller Art? Wir wissen es nicht genau.
Genau wissen wir aber, dass in Reinbek nicht nur ein besserer Bahnverkehr angemahnt wird, sondern – ebenso wie in Barsbüttel – auch die Taktung und die Streckenführung der Busse ein immer wieder von den Besuchern am Abendblatt-Stand geäußertes Thema ist. Darunter ist auch die Reinbekerin Gisela Rimann, die viel häufiger den Bus nützen würde, wenn er denn häufiger führe.
Auch der Zustand der Straßen wird bemängelt
Zum Thema hin und weg passt auch der Zustand der Straßen und Radwege, über den sich zum Beispiel Peter Denker ärgert. Er sagt: „Es wird miserabel saniert.“ Nur die Hauptstraßen würden gepflegt, der Rest werde notdürftig geflickt. „Die Nebenstraßen sind in einem katastrophalen Zustand“, sagt der 62-Jährige, der jeden Tag mit den Fahrrad nach Bergedorf zur Arbeit fährt. Er erwähnt die Schlaglöcher am Kreutzkamp. Auch der Zustand der wenigen vorhandenen Radwege lasse, wie zum Beispiel am Mühlenredder, sehr zu wünschen übrig.
Die Entwicklung der Innenstädte ist ein Thema in vielen Stormarner Städten, nicht nur im Süden. Abendblatt-Leserin Jutta Hofmann ist oft im Ladenzentrum am Täbyplatz. „Ich bin froh, dass es hier noch einen kleinen Buchladen gibt“, sagt die 79-Jährige. Dass auf dem Areal auch Autos parken und dicht an den Fußgängern vorbeifahren, stört sie im Gegensatz zu anderen Kunden nicht. Dass Reinbek gern noch ein bisschen sauberer sein könnte, findet Ingelore Kunze, die seit 50 Jahren hier wohnt. „Ich habe schon selbst zum Putzschwamm gegriffen, um die von Moos bedeckten Straßenschilder zu reinigen.“ Insgesamt aber, und darauf legt sie Wert, ist sie äußerst gern in Reinbek zu Hause. „Sonst wäre ich doch längst umgezogen“, sagt die 70-Jährige.
Viele Geschäfte in den Städten stehen leer
Doch auch in Reinbek finden wir viele leer stehende Ladenlokale und Geschäfte aus den 70er-Jahren, deren Anmutung nach die Zeit in manchen Ecken von Stormarns zweitgrößter Stadt stehengeblieben zu sein scheint.
Ein ähnliches Bild sehen wir in Glinde, wohin der 150-Stunden-Reporter seine Tour nach dem Abbau der rollenden Redaktion fortsetzt. Der Glinder Markt präsentiert sich an diesem Dienstagnachmittag als ausladender, weitgehend leerer Platz, der von 70er-Jahre-Ladenzeilen gesäumt wird, die nicht mehr den frischesten Eindruck machen. Wie so häufig in kleinen Städten – ein tatsächlich bundesweites Phänomen – sind allein das Eiscafé und der örtliche Döner-Imbiss einigermaßen gut gefüllt.
Im krassen Gegensatz zu den in Teilen nicht ganz so ansehnlichen Innenstädten stehen die vielen Wohngebiete, die sowohl in Reinbek als auch in Glinde in verschiedenen Ortsteilen entstanden sind. Wie zum Beispiel in Reinbek-Krappenkamp. Diese Siedlung besteht quasi aus einer einzigen Sackgasse, die sich über mehrere kleine Straßen verteilt. Manche der Wohngebiete sind mit den Jahren gewachsen und alteingesessen, andere brandneu. Aber in fast jedem Fall gilt: Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto schöner werden die Städte und Gemeinden.
Mit dem schleichenden Verfall der Innenstädte werden sich die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung zunehmend auseinandersetzen müssen. Denn so attraktiv das Hamburger Umland als ruhiger Wohnort auch sein mag: Funktionierende Infrastruktur – siehe öffentlicher Nahverkehr – ist von erheblicher Bedeutung für die Menschen.
Und wichtig ist für sie, dass sie erfahren, was um sie herum passiert. Das ist einer der Punkte, die wir in der rollenden Redaktion häufig zu hören bekommen: Das Abendblatt könnte gern noch mehr über Reinbek berichten. „Unsere Stadt ist in der Berichterstattung unterrepräsentiert“, meint etwa Karin Racine, die mit dieser Meinung nicht allein ist. Auch Rudolf Zahn hat diese Ansicht schon mehrfach uns gegenüber geäußert – immer konstruktiv, immer freundlich. Der 76-Jährige, der nicht nur Vorstandsmitglied der Museumsstiftung des Museums Rade ist, sondern sich vielfältig ehrenamtlich engagiert, ist sogar eigens zum Täbyplatz gekommen, um sich mit einem Präsent beim Abendblatt zu bedanken.
Das freut uns natürlich ungemein. Und angesichts der übrigen Ausbeute des zweiten Tages sind auch wir ganz hin und weg.
So war der erste Tag in Barsbüttel
Es ist nicht ganz leicht, Stormarn zu betreten – zumindest, wenn man sich vornimmt, es am südlichsten Punkt des Kreises zu versuchen. Denn dieser Zipfel ist von zwei Seiten gegen Eindringlinge bewehrt: im Süden die Bille, im Norden die Bahngleise. Und so bleibt als erste Erkenntnis des Tages: Stormarn kann auch Urwald. Der Blick von der Hamburger Seite über den kleinen Fluss in das nur wenige Meter entfernte Kreisgebiet zeigt ein dicht bewachsenes, verwildertes Gelände, das vermutlich sehr lange Zeit nicht von Menschen betreten wurde. Und so halten auch wir uns zurück und lassen diesen Teil Stormarns unberührt. Es gibt ja noch andere Ecken.
Wenige hundert Meter nördlich ebnet uns am Bille-Wanderweg eine Holzbrücke den Weg über den Fluss und damit auf Stormarner Gebiet. Jetzt kann sie also richtig losgehen, die 150-Stunden-Reportage aus Stormarn. Aus Anlass des 150-jährigen Bestehens des Kreises werden wir bis zum kommenden Sonntag immer im Kreis unterwegs sein und berichten. Was bewegt die Menschen hier am nordöstlichen Rand der Metropole Hamburg? Was sind die Themen, die Ihnen wichtig sind? Und für uns als Redaktion besonders wichtig: Was können wir aufgreifen, um zu helfen?
Es ist sehr ruhig an diesem Montagmorgen im südlichen Ende des Kreises. Stormarn arbeitet oder Stormarn ist im Urlaub. Zwei vereinzelte Jogger traben durch den Mischwald, dessen Baumkronen die ersten Sonnenstrahlen durchlassen und die frühmorgendliche Feuchtigkeit auf den Wiesen und Wegen zum Verdampfen bringen. Ein idyllisches Fleckchen Stormarn, ohne Frage. Nur etwas schwer zu erreichen.
Viele Besucher beim Stand des Abendblatts in Barsbüttel
Sehr viel leichter zu erreichen – zumindest mit dem Auto – ist der heutige Standort unserer kleinen rollenden Redaktion, die wir um 12 Uhr im Barsbütteler Nahversorgungszentrum Am Akku aufgebaut haben. Doch die Erreichbarkeit wird auch hier eine Rolle spielen. Denn viele der Bürger, die sich eigens auf den Weg zu unserem Stand gemacht haben, sind mit dem Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs nicht zufrieden.
Walter (79) und Vera (78) Behnken wünschen sich eine bessere Taktung der Busse nach Hamburg. Der Rentner sagt: „Solange sich das nicht ändert, fahren wir mit dem Auto nach Wandsbek und von dort aus mit der Bahn weiter in die Innenstadt.“ Das Paar wohnt in einem Reihenhaus in Barsbüttel und macht sich Gedanken, wo es einmal leben wird, wenn es denn Garten nicht mehr bewirtschaften kann oder der Gesundheitszustand einen Umzug erfordert. „Leider gibt es in Barsbüttel zu wenig Seniorenwohnungen“, moniert Vera Behnken. Deshalb haben sie sich bereits in Einrichtungen in Poppenbüttel und Sasel vormerken lassen. Wie viele andere Barsbütteler fordern auch die Behnkens eine öffentliche Toilette am Nahversorgungszentrum.
Bei Physiotherapeut Nino Meisen, der in einer Reha-Praxis im neuen Ärztezentrum arbeitet, bekommt der Standort Bestnoten. „Er ist ideal, weil man hier ganz viele Dinge an einem Ort vorfindet“, sagt er. Gleichwohl erwähnt er auch, dass Patienten ohne Auto, die womöglich auch noch auf einen Rollator angewiesen sind, sich häufig über die schwierige Erreichbarkeit beklagen. „Eine Bushaltestelle wäre dringend nötig“, so Nino Meisen.
Anwohner wünschen sich eine Tempo-30-Zone
Das Thema Busverbindung brennt auch Jörn Haase aus dem Ortsteil Willinghusen unter den Nägeln. „Früher haben wir von uns bis nach Wandsbek 25 Minuten benötigt. Es wäre klasse, wenn das wieder so sein könnte.“ Inzwischen sei die Strecke über das Gewerbegebiet mit Halt bei Möbel Höffner geändert worden, die Fahrzeit habe sich auf 40 Minuten ausgedehnt. Der 81 Jahre alte frühere Berufsfeuerwehrmann ist Gründer der Tischtennissparte des Willinghusener SC und immer noch an der Platte aktiv. Er freut sich, dass der Verein jetzt eine neue Sportanlage mit einem großen und kleinen Kunstrasen-Fußballfeld, einer 50 Meter langen Tartanbahn sowie einer Weitsprunganlage für rund 1,4 Millionen Euro erhält. Mit dem Bau wurde jüngst begonnen.
Während die einen mehr Buss fordern, macht anderen ein anderer Aspekt des Verkehrs Sorgen. Anwohner Horst Lange spricht sich dafür aus, dass die Straße Am Akku ein verkehrsberuhigter Bereich, also eine Tempo-30-Zone werden sollte. Und: Es gebe nur eine „Sprunginsel“ und keinen Zebra-Streifen zwischen Altenheim und Einkaufszentrum.
Neben dem Thema Verkehr wird in Barsbüttel aber auch immer wieder über die umstrittene Sanierung des Rathauses geredet. Der von der Politik vorgesehene Neubau wurde durch einen Bürgerentscheid gestoppt. Nun soll das alte Gebäude am Stiefenhofer Platz für mindestens 8,5 Millionen Euro renoviert und vor allem brandsicher gemacht werden.
Leser äußern auch ihre Kritik am Hamburger Abendblatt
Viele Abendblatt-Leser nutzen die Gelegenheit, um mit uns über die Zeitung zu sprechen und ihre Meinung zu verschiedenen Teilen des Abendblatts äußern. Mal geht es dabei um die „Leute, Leute“-Rubrik auf der Seite „Aus aller Welt“, mal um den zu sehr mit Fußball überfrachteten Sportteil und mal um die teilweise zu verschachtelten und schwer verständlichen Sätze im Kulturteil. Manche Leser wünschen sich ein kleineres Format der Zeitung, andere berichten von Problemen mit verspäteter Zustellung. Das Ziel der rollenden Redaktion, für all diese Themen ein Forum zu bieten, hat also am ersten Tag schon mal bestens geklappt.
Der 150-Stunden-Reporter macht sich im Anschluss auf den Weg in Richtung Reinbek, wo wir am Dienstag ebenfalls ab 12 Uhr am Täbyplatz stehen werden. Bis dahin gibt es aber noch viel in diesem Teil Stormarns zu entdecken. Und so geht es über Umwege durch die benachbarten Gemeinden. Zum Beispiel nach Stapelfeld, wo die roten Tartanbahnen des neue Sportplatzes Am Drehbarg in den wenigen Sonnenstrahlen leuchten. Das Projekt hatte für viel Wirbel im Ort gesorgt. Und jetzt liegt die Anlage wie gemalt in der Landschaft.
Oder nach Brunsbek, wo die Milchtankstelle von Bauer Christian Fischer auf Kundschaft wartet. Der Hof, der vor rund einem Jahr von einem großen Feuer heimgesucht wurde, wird so langsam wieder aufgebaut. Der abgebrannte Kuhstall hat wieder ein Dach, das Fundament des neuen Wohnhauses ist gegossen.
Ein erstes Fazit nach zwölf von 150 Stunden? Ein Tag kann schnell vorbei gehen, wenn man so viele Eindrücke bekommt. Und: Die 150 Stunden werden – das ist jetzt schon absehbar – niemals reichen, um alles zu verarbeiten, was wir erleben und was wir erfahren. Aber diese 150 Stunden werden viele Ansätze für viele weitere Geschichten bieten. Morgen geht es weiter.
Sie erreichen Redaktionsleiter Hinnerk Blombach unterwegs per E-Mail an die Adresse 150stunden@abendblatt.de
Warum gibt es die 150-Stunden-Reportage?
Die Idee dahinter: Der Sitz unserer Redaktion im Zentrum Ahrensburgs ist zwar schön und zentral in der größten Stadt des Kreises gelegen. Doch Stormarn ist natürlich weit mehr, hat 55 Kommunen und erstreckt sich eben von Reinbek im Süden bis Reinfeld im Norden und von Trittau im Westen bis Tangstedt im Osten. Und nicht jeder Leser hat die Gelegenheit, mal eben zu uns in die Redaktion nach Ahrensburg zu kommen und mit uns zu sprechen, mit uns zu schimpfen oder uns gar zu loben.
Deswegen wollen wir zu Ihnen kommen. Dorthin, wo Sie Ihren Lebensmittelpunkt haben. Dorthin, wo die Themen spielen, die Sie am meisten interessieren. Was Sie bewegt, sollte auch uns bewegen. Denn unsere Nachrichten, Berichte, Reportagen und Interviews machen wir nur für Sie – unsere Leser.
Die Abendblatt-Reporter sind zwar viel und zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten in Stormarn unterwegs. Doch natürlich können wir längst nicht alles, was Sie, liebe Leserinnen und Leser, für relevant und interessant erachten, so ohne Weiteres mitbekommen. Deswegen freuen wir uns über Ihre Hilfe. Sagen Sie uns, was in Ihrem Ort, in Ihrem Verein, in Ihrem Unternehmen das Thema der Stunde ist. Erzählen Sie uns, was Ihnen gefällt, worüber Sie sich ärgern und was Sie mit anderen Menschen teilen wollen.
Wir nehmen Ihre Anregungen an den fünf Station gern persönlich entgegen und sprechen mit Ihnen darüber. Oder Sie schauen einfach nur mal vorbei. Darüber würden wir uns natürlich auch freuen.
Erste Stormarn-Station ist Barsbüttel
Wir starten die 150-Reportage am Montag, 21. August, im Süden des Kreises. Unsere erste feste Station, an der wir für Sie da sind, wird Barsbüttel sein. Von 12 bis 14 Uhr stehen wir mit unserer kleinen rollenden Redaktion vor dem Nahversorgungszentrum Am Akku.
Einen Tag später, am Dienstag, kommen wir dann nach Reinbek. Ebenfalls von 12 bis 14 Uhr sind wir auf dem Täbyplatz (Am Ladenzentrum) für Sie da. Mittwoch folgt dann unser Besuch in Trittau, nach Bargteheide kommen wir am Donnerstag und Großhansdorf steht am Freitag auf dem Programm.
Jeden Tag werden wir im gedruckten Abendblatt über die Dinge berichten, die wir erlebt haben. Wir werden darüber hinaus hier nahezu rund um die Uhr unsere Berichte aktualisieren, vielleicht mit zusätzlichen Fotos und kleinen Videos garnieren. Möglicherweise können Sie auch Teil eines ganz besonderen Projekts werden, über das wir an dieser Stelle noch nicht alles verraten wollen. Nur so viel: Es hat etwas mit der Zahl 150 zu tun. Und es wird vermutlich eine ziemlich große Herausforderung. Aber mit Ihrer Hilfe, da sind wir ganz sicher, können wir das schaffen.
Wollen Sie dem Autor etwas mit auf den Weg geben? Wo sollte er unbedingt mal hinfahren? Was darf er auf keinen Fall verpassen? Sie erreichen ihn unterwegs per E-Mail an die Adresse 150stunden@abendblatt.de