Hamburg/Berlin. Erstmals spricht DIHK-Präsident Eric Schweitzer über die Wahlen in der Handelskammer Hamburg. Im Interview äußert er sich ausführlich.
Das Jahr begann für die Hamburger Handelskammer mit einem Erdbeben. Kammerkritiker, die die Pflichtbeiträge abschaffen wollen, errangen bei der Plenums-Wahl die Mehrheit der Sitze. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) hat die Vorgänge von Berlin aus verfolgt .
Herr Schweitzer, jagt Ihnen diese Rebellion in Hamburg Angst ein?
Eric Schweitzer: Es gibt nur wenige Dinge, die mir Angst einjagen, das gehört nicht dazu. Die Pflicht-Mitgliedschaft in den Kammern ist vom Gesetzgeber geregelt. Die IHK beruht auf dem Gedanken der Solidargemeinschaft. Jedes Unternehmen zahlt nach seiner Leistungsfähigkeit und hat dabei eine Stimme, egal ob groß oder klein. Übrigens entrichten rund 40 Prozent der Unternehmen in Deutschland keine Beiträge. Die Politik weiß, was sie an diesem System hat, bei dem die Wirtschaft in Eigenregie solidarisch Aufgaben erfüllt. Deshalb hat sie am Grundgedanken der Mitgliedschaft aller keinen Zweifel aufkommen lassen.
Welche Aufgaben meinen Sie konkret?
Die Kammern nehmen Aufgaben des Staates wahr. Etwa bei der beruflichen Bildung. Das führt dazu, dass Deutschland die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa hat. Ohne eine gesetzliche Mitgliedschaft wäre das in dieser Form nicht möglich. Sonst müsste der Staat und somit der Steuerzahler dafür aufkommen – zudem ginge ehrenamtliches Engagement und Praxisnähe verloren. Darüber hinaus ermöglichen die Beiträge den IHKs ein Engagement auch für Jugendliche beim Ausbildungseinstieg sowie für Flüchtlinge. Deren Integration in Ausbildung und Beschäftigung erfordert vielfältige Kraftanstrengungen, die ohne Beiträge nicht geleistet werden könnten.
Was wird sich ändern, wenn die Beiträge wegfallen oder gesenkt werden?
In Hamburg übernimmt die Handelskammer aus ihrem Haushalt, also aus Beiträgen, rund die Hälfte der Kosten, die an Ausbildungsgebühren entstehen, damit insbesondere kleinere Unternehmen mehr ausbilden. Senkt das neue Plenum die Pflichtbeiträge massiv, müssten im Gegenzug die Ausbildungsgebühren stark erhöht werden. Das wird insbesondere die kleineren Unternehmen belasten.
Wie wird die Zusammenarbeit zwischen DIHK und Hamburg künftig aussehen?
Die Handelskammer Hamburg ist Mitglied im DIHK. Wir werden mit ihr weiterhin gut zusammenarbeiten – in allen Themen der Gesamtinteressenvertretung ebenso wie bei den hoheitlichen Aufgaben und den Dienstleistungen für die Mitgliedsunternehmen. Im Kern ging es in der Auseinandersetzung zuvor um das Gehalt des Hauptgeschäftsführers, das polarisiert hat.
Was ja mit einer halben Million Euro auch nicht gering war...
Richtig. Aber die Kammern sind öffentlich-rechtliche Körperschaften, deren Gremien selbst entscheiden, wen sie zu welchen Bedingungen einstellen. Es obliegt nicht dem DIHK, über Gehälter zu entscheiden. Als Unternehmer Eric Schweitzer halte ich die Bezahlung jedoch für zu hoch. Es ist das mit Abstand höchste Gehalt eines Hauptgeschäftsführers in einer deutschen IHK.
Befürchten Sie, dass sich diese Entwicklung auf andere Kammern ausweiten könnte?
Ich glaube nein, weil es in anderen Kammern diese Polarisierung nicht gibt. Zudem arbeiten wir seit langem an Unternehmensnähe, Transparenz und Modernisierung. Wir sind viel weiter, als uns manchmal vorgeworfen wird.
Nun der Blick auf die Politik. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sieht eine soziale Ungerechtigkeit. Zu Recht?
Ich kann das so pauschal nicht nachvollziehen. Wir haben die höchste Beschäftigung seit 1991, die höchsten Steuereinnahmen und hohe Lohnsteigerungen. Man muss in Einzelfällen sicher gezielt nachsteuern. Grundsätzlich sind Bildungsinvestitionen – gerade auch in die berufliche Aus- und Weiterbildung – aus meiner Sicht das wichtigste Instrument, um Aufstiegschancen zu verbessern. Ob Herr Schulz mit seiner generellen Aussage nicht überzogen hat, müssen letztlich andere bewerten.
Muss man die Agenda 2010 korrigieren?
Die Agenda 2010 hat dazu beigetragen, dass wir de facto vom kranken Mann Europas zum starken Mann wurden. Schulz’ Vorschlag des Arbeitslosengeldes Q...
...also Menschen, die arbeitslos sind, länger zu qualifizieren..
Ja, aus unserer Sicht sollten wir Menschen in den Betrieben qualifizieren, gegebenenfalls mit staatlicher Unterstützung, damit diese gar nicht erst arbeitslos werden. Erfolgreiche berufliche Weiterbildung muss sich immer eng am betrieblichen Bedarf orientieren.
Was halten Sie von der Begrenzung von Managergehältern?
Ich bin gegen gesetzliche Vorgaben. Die Frage, wer was wie vergütet, trifft in einem Unternehmen am Ende der Eigentümer, der dafür auch die Verantwortung übernimmt. Der Staat sollte sich da raushalten. Die Millionen-Abfindungen bei VW in Wolfsburg kann ich aber auch nicht nachvollziehen. Da hätte der Aufsichtsrat mit dem Land Niedersachsen und den Arbeitnehmervertretern seine Aufsichtspflicht sicherlich besser ausüben können.
Der Equal Pay Day am heutigen Sonnabend beschäftigt sich mit der Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau im Job. Hat die Wirtschaft da bislang geschlafen?
Bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich schon einiges getan. Hier spielt Deutschland in der EU oben mit. Viele Frauen arbeiten aber in Teilzeit mit relativ wenigen Wochenstunden, was insgesamt zu Unterschieden bei der durchschnittlichen Bezahlung führt. Hinzu kommt, dass Frauen öfter familiäre Auszeiten nehmen und andere Berufe wählen als Männer. Wichtig sind die richtigen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – dazu gehört vor allem ein Rechtsanspruch auf einen Ganztags-Schulplatz.
Die Koalition konnte sich zuletzt nicht einigen, was mit dem Haushaltsüberschuss passieren soll. Was läuft da falsch?
Was wir für die nächsten vier Jahre brauchen, sind massive Investitionen in den Standort, in die Verkehrsinfrastruktur, vor allem aber auch in den Ausbau der Glasfasernetze. Außerdem brauchen wir eine steuerliche Entlastung von Unternehmen.