Thabo, der Held in Kirsten Boies neuem Kinderkrimi, ist ein Waisenkind mit besonderen Talenten
So eine Eröffnungsszene muss man erst einmal hinbekommen. Gerade sechs adressatengerecht locker bedruckte Seiten braucht die Kinderbuchautorin Kirsten Boie, um in ihrem neuesten Kinderkrimi „Thabo: Detektiv und Gentleman – Die Krokodil-Spur“ das Szenario aufzublättern und die wichtigsten Beteiligten vorzustellen. Als da sind: eine alte englische Dame (natürlich unverheiratet, Miss Marple lässt grüßen), ihre Gr0ßnichte und fünf afrikanische Kinder.
Jeden und jede von ihnen zeichnet Boie mit wenigen Federstrichen so präzise, dass sie mühelos im Gedächtnis bleiben, sogar die fremdartigen Namen der Kinder. Und etabliert zugleich einen spezifischen Tonfall, nämlich den des Titelhelden und Ich-Erzählers. Thabo versteht sich nämlich, wie der Buchtitel schon sagt, als Gentleman und Detektiv zugleich. Also gebieten es Höflichkeit und gedankliche Präzision, immer mal eine kurze Erläuterung in Klammern einzuschieben. Wie beiläufig Thabo in diesen Aperçus Informationen und Kommentare herüberbringt und damit dem Text eine zusätzliche Ebene einzieht, mal witzig und mal todtraurig, das ist mal wieder ein original boiescher Geniestreich.
Dabei geht es der Autorin ersichtlich nicht darum, ihre schriftstellerische Potenz herauszukehren, es geht ihr um eine Sache. Das nicht näher bezeichnete Land im Süden Afrikas werden Boies Leser als literarisches Gegenstück zum real existierenden Swasiland ausmachen. Dort engagiert sich Boie seit Jahren für Aidswaisen; deren Schicksale schildert sie in ihrem erschütternden Buch „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“.
In diesem Jahr verleiht das Festival Kirsten Boie das „Hamburger Tüddelband“. Schirmherrin Christine Kühne überreicht den mit 3000 Euro dotierten Preis. Die Auszeichnung würdigt Kinder- und Jugendbuchautoren, die auch auf der Bühne ihre Zuhörer besonders begeistern.
Was Boie mit dem Preisgeld machen wird, kann man sich leicht denken. Die Armut im südlichen Afrika ist herzzerreißend. Da hat es Waisenkind Thabo noch gut. Er darf in der Hütte seines Onkels auf einer Matte schlafen, der als Ranger auf einer Lodge für Touristensafaris vergleichsweise privilegiert ist. Die Tränen können einem beim Schicksal von Thabos Freund Sifiso kommen. Der muss sich – das Alter der beiden Freunde gibt Thabo als Gentleman partout nicht preis, aber älter als zwölf Jahre können sie nicht sein – allein um seine drei jüngeren Geschwister kümmern und ist damit restlos überlastet.
Vor diesem Hintergrund eine wirklich lustige Geschichte zu erzählen ist große Kunst. Wie gut Boie das echte Swasiland kennt, das verraten die Details. Leichthin versetzt sie sich in die Perspektive der afrikanischen Kinder. So ist es für Thabo völlig selbstverständlich, dass er später nicht nur Emma heiraten wird, sondern auch die Schwester seines Freundes Sifiso. Woher er die Rinder für den Brautpreis nehmen soll, das muss ihn jetzt noch nicht kümmern.
Ebendiese Schwester ist übrigens verschwunden. Anders als der Titel des Buchs suggeriert, sind die Krokodile als Verdächtige übrigens ziemlich schnell raus aus dem Spiel. (Tröstlich zu erfahren, dass ein Krokodil immerhin vier Wochen braucht, um ein Kind zu verdauen, wenn Sie gestatten, meine Damen und Herren, dass die Rezensentin sich kurz mal Thabos Redestil ausleiht.) Das Mädchen ist entführt worden, und bald zeigt sich, dass es nicht der einzige Fall war. Entführungen sind verbreitet im „Königreich“, wie Thabo sein Land schlicht nennt, weil ein elternloses Kind so schnell von niemandem vermisst wird. Beste Voraussetzungen für organisierten Menschenhandel. Erwachsene graust es bei der bloßen Andeutung, Kinder verschont Boie mit expliziten Ausführungen.
Die Handlung mündet in einen regelrechten Showdown. „Thabo“ ist schnörkellos geradeaus erzählt. Cliffhanger oder Fantasy-Geklingel hat Boie nicht nötig; dies ist einfach ein genau recherchiertes, strikt an der Wirklichkeit erzähltes Buch. Was nicht hindert, dass wundersamerweise die Kinder die entschieden schlaueren Ermittler sind. Dazu gehört im Königreich aber auch nicht allzu viel. Bahnbrechend komisch, wie Boie gleichsam im Vorbeigehen Schlendrian und Korruption der Polizei abwatscht.
Auch die Touristen in der Lodge bekommen natürlich ihr Fett ab. Und erst recht die Gäste, die bei einem fetten, verwestlichten Heiler spirituelle Erneuerung suchen, dabei aber auf weiche Betten und Klos mit Wasserspülung nicht verzichten wollen. Es wäre ja auch schade, hielte Boie uns deutschen Normalverbrauchern nicht ein kleines bisschen den Spiegel vor.
4. „Hamburger Tüddelband“ für Kirsten Boie 15.9., 9 Uhr, St. Katharinen. Ab zehn Jahren. Karten6 Euro, Schulklassen 4 Euro pro Person