In dem neuen Therapiezentrum Ankerland werden traumatisierte Kinder undJugendliche umfassend behandelt. Sie erhalten so die Chance auf ein normales Leben.Ein Projekt, das dringend auf Spenden angewiesen ist. Von Sabine Tesche
Einige Zimmerwände sind lindgrün, andere hellblau gestrichen. Bunte Stühle stehen in den Räumen. Ein dunkelroter Teppich bedeckt die schön geschwungene Treppe des Altbaus mitten in Eppendorf. Das ehemalige Pastorat in der Löwenstraße ist wunderbar renoviert und anheimelnd. Es ist nun eine Art Villa Kunterbunt, denn die wollte der Kinder - und Jugendpsychiater Andreas Krüger immer für seine Patienten haben und nach 15 Jahren intensivstem Engagement hat er sie dieses Frühjahr endlich mit seinem Team eröffnet. Die Villa heißt „Ankerland“ und ist ein ambulantes Behandlungszentrum für schwer verletzte Kinderseelen.
Hierher kommen Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre, die durch Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung, Krieg oder Unfälle Traumata erlitten und daraus Folgeschäden entwickelt haben, sogenannte Posttraumatische Belastungsstörungen. Viele können nicht schlafen, leiden unter Albträumen und Ängsten, Erinnerungsblitzen (Flashbacks), sind unkonzentriert und schnell übererregt. Der Leidensdruck dieser Kinder ist enorm und ihren Alltag können sie manchmal nur schwer bewältigen. Manche werden drogensüchtig, sind selber gewalttätig oder depressiv.
Deswegen werden sie von der Jugend- oder Opferhilfe, von der Schulbehörde oder auch von anderen Ärzten in das Ankerland geschickt, um hier mit Trauma-, Musik- und Kunsttherapeuten ihre Störungen zu erkennen und an Lösungen dafür zu arbeiten. „Wir arbeiten sehr teamorientiert und bieten für Traumapatienten eine spezifische intensivtherapeutische und multiprofessionelle Behandlung an. Damit haben wir ein einzigartiges Therapieangebot in Hamburg“, sagt Krüger, der seine Arztpraxis zur Hälfte mit in das Zentrum genommen hat – um es zum Teil mitzufinanzieren. Denn nur seine Therapiestunden werden von der Krankenkasse bezahlt, die der anderen Therapeuten sind spendenfinanziert. Für die Renovierung des Pastorats hat die Bürgerschaft rund 200.000 Euro dazugegeben. „Die Finanzierung ist nur für ein Jahr gesichert, aber wir hoffen, dass wir genügend Spendengelder bekommen, um dauerhaft überleben zu können. Momentan ist es für alle Mitarbeiterinnen ohne weitere finanzielle Mittel ein ,Kamikaze-Projekt‘. Doch wir haben dafür jahrelang gekämpft“, sagt Krüger, Initiator und ärztlicher Leiter des Trauma-Therapiezentrums.
Der 51-Jährige gilt als ausgesprochener Experte auf dem Gebiet und hat schon als Oberarzt am UKE die dortige Trauma-Ambulanz für Kinder und ihre Familien aufgebaut. „Schon damals war es klar, dass es einen unglaublichen Bedarf in diesem Bereich gibt. Aber für viele Kinder ist ein Krankenhaus negativ besetzt. Manche bekommen sogenannte Flashbacks, wenn sie Kliniken sehen.“ Deswegen hat er nun das Ankerland aufgebaut, das für alle einladend wirken soll und bis zu 60 Patienten im Jahr versorgen kann.
Auch Jonas (Name geändert) kommt gern einmal in der Woche in das schöne Backsteingebäude. Erst geht er zur Gesprächstherapie zu Dr. Krüger, danach zur Kunsttherapeutin Johanna Vogel. Malend kann er das ausdrücken, was ihn bedrückt und was er nicht aussprechen möchte. Malen entspannt den 14-Jährigen. „Die Kreativtherapie ist für viele Patienten der Gegenpol zu den anstrengenden Sitzungen der gesprächsorientierten Therapie und hilft sehr bei der Heilung“, sagt Krüger.
Seit eineinhalb Jahren behandelt er Jonas und seine beiden Schwestern, die seit einem Unfall – ein Auto fuhr in ihren Vorgarten und verletzte eines der Mädchen, das dort spielte, lebensgefährlich – unter schwersten Posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Nur dass das jahrelang niemand entdeckt hat, bis Krüger die Diagnose stellte. „Seither geht es mit uns bergauf“, sagt Jonas’ Vater Ulrich L. (Name geändert). Sein Sohn leidet unter massiven Schlafstörungen, kann sich nur schwer konzentrieren und ist sehr unruhig. Er hatte damals als Vierjähriger den Unfall aus seinem Kinderzimmer mit angesehen. Auch die beiden Schwestern leiden unter Albträumen. „Inzwischen geht es ihnen besser, aber sie haben lange quasi im Bett gewohnt, dort machten sie alles und gingen kaum aus. Ihre Freunde mussten immer zu uns kommen“, erinnert sich L.
Nach diesem Unglück vor zehn Jahren sei nichts mehr so gewesen wie vorher. „Unser Leben geriet aus den Fugen. Vorher hatte ich immer singende Sunshine-Töchter, danach war die Fröhlichkeit weg“, sagt L. Rettungswagen und Polizeiautos lösen nach wie vor Ängste und Panikattacken bei seinen Kindern aus. Während die Mädchen sich immer mehr zurückzogen, wurde der Sohn manchmal aggressiv. Probleme in der Schule haben alle drei nach wie vor. „Aber vor allem auch dadurch, weil die Lehrer oftmals kein Verständnis für unsere Kinder zeigen.“
Als Eltern seien sie zunehmend ratlos und verzweifelt gewesen. Bis sie Andreas Krüger kennenlernten, der den Problemen endlich einen Namen gab: Traumafolgeschäden. Das Trauma war der Unfall, die Störungen der Kinder sind typische Symptome, die Menschen entwickeln, wenn sie unbehandelt weiterleben müssen. Das Gehirn schaltet eine Art Notfallprogramm ein. „Die Seele hat einen draufbekommen“, beschreibt der Psychiater es. Und wenn die Seele unbehandelt zu lange leidet, kann das auch im Gehirn noch tiefere Verletzungen hinterlassen und zusätzlich dissoziative Störungen auslösen. Das sind zum Beispiel Trancezustände, in denen man wie weggetreten ist. Darunter leidet Jonas.
„Als Herr Krüger uns das alles erklärte, fielen die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammen. Ich verstand endlich, warum die Kinder sich so verhalten“, sagt L. Seine Frau und er waren in den ersten Monaten bei den Therapiesitzungen mit dabei. „Das mache ich immer, damit die Bezugspersonen die Probleme verstehen und bei den Lösungen helfen können“, sagt der Arzt. Jonas versteht jetzt nicht nur, warum er manchmal so übererregt ist oder gewisse Situationen vermeidet, er bekommt von Dr. Krüger auch Strategien vermittelt, um damit umzugehen. Ihr Familienleben habe sich seit der Therapie enorm verbessert, sagt L. und „wir haben wieder Hoffnung, dass unsere Kinder wieder fröhlich werden und die Chance auf ein normales Leben haben“.