In der „Staatsaffäre Böhmermann“ stellen sich dem juristischen Laien – und den interessierten Präsidenten – noch einige Fragen ...
Warum um Himmels willen gestattet die Bundesregierung ein Gerichtsverfahren nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB) gegen Jan Böhmermann? Schmähkritik an ausländischen Staatsoberhäuptern oder Organen ist ja ein „Ermächtigungsdelikt“, dazu bedarf es neben einem Strafantrag des Betroffenen eben auch einer Ermächtigung der Bundesregierung nach § 104a StGB. Dieser Fall ist so selten, dass sich der Sprecher des Auswärtigen Amts in der Bundespressekonferenz nicht daran erinnern konnte, ihn in dieser Legislaturperiode schon einmal erlebt zu haben. Aber man kann nun nicht in ein und derselben Minute den Paragrafen 103 für „entbehrlich“ erklären und gleichzeitig seine Anwendung freigeben, wie es die Kanzlerin getan hat. Das ist so, als würde man sagen: Wir halten das Baumfällverbot in Gärten für entbehrlich, aber bis wir es abschaffen, kassieren wir von allen baumfällenden Gartenbesitzern noch mal Bußgeld.
Nur damit ich als Journalistin künftig keine Fehler mache, wollte ich es genauer wissen. Die Recherche erwies sich als überraschend sperrig. Im Bundesjustizministerium und im Auswärtigen Amt findet man das Thema offenbar ganz doof und verweist auf den jeweils anderen.
Türkische Hoteliers und spanische Flamenco-Tänzerinnen müssen sich mit § 185 StGB gegen Beleidigung behelfen. Brauchen ausländische Staatsoberhäupter einen besonderen Schutz? Im Prinzip schon: Sie repräsentieren ja mehr als sich selbst, nämlich ihr Land. Aber wie darf ich ein Staatsoberhaupt nicht beleidigen? Nur nicht in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt oder auch nicht als Extremsportler, Minigolfspieler oder Steuerhinterzieher? „Generell und ohne Einschränkung nicht“, so das Justizministerium. Warum müssen ausländische Regierungsmitglieder sich hingegen zur Zeit der Beleidigung amtlich in Deutschland aufhalten und „mit Beziehung auf ihre Stellung“ beleidigt werden? Keiner weiß es.
Jetzt zur „Verfolgungsermächtigung“ nach § 104a StGB. Was genau prüft eigentlich die Bundesregierung, bevor sie zu einer Strafverfolgung ermächtigt? Prüft sie, wie erheblich die Beleidigung oder wie wichtig das betreffende Land für Deutschland ist? Darf es kein Nato-Partner sein? Ist eine Beleidigung der britischen Queen erheblicher als die der Präsidenten von Osttimor oder Kasachstan? Verblüfftes Schweigen in den Pressestellen der Ministerien. Auch hier fällt die Antwort eher schlank aus: Das könne man „abstrakt nicht sagen“, es sei stets eine „Einzelfallprüfung“ und im Grunde „keine juristische, sondern eine diplomatische Frage“ (Justizministerium). Das Auswärtige Amt winkt ab: In der Erklärung der Minister Steinmeier und Maas stehe alles drin.
Tja, nur leider steht da eben nicht drin, warum der Strafverfolgung noch ein Entscheid der Regierung vorgeschaltet ist. Warum entscheidet nicht die „unabhängige Justiz“, auf die Angela Merkel verweist? Also geht es doch um eine politische und diplomatische Vorprüfung. Oder soll der § 104a vielleicht deutsche Bürger davor schützen, von ausländischen Staatsoberhäuptern mit Anzeigen überschüttet zu werden? Dann ist dieser Schutz im Fall Böhmermann gründlich in die Grütze gegangen. Man kann nur hoffen, dass jetzt nicht weitere überempfindliche Staatsoberhäupter (Putin? Assad?) auf die Idee kommen, deutsche Satire-Sendungen aufs Korn zu nehmen, so lange es den § 103 noch gibt.
Deutlich wird aber: Die Bundeskanzlerin hätte einen Spielraum gehabt und anders entscheiden können. Sie hätte zum Beispiel sagen können: Wir können die Ermächtigung nicht erteilen ohne Prüfung, wie oft deutsche Verfassungsorgane von türkischen Medien oder Politikern beleidigt worden sind. Oder: Hier geht es nicht um Schmähkritik, sondern um einen besonderen Fall des Diskurses über die Grenzen der Meinungsfreiheit – am Beispiel Erdogans, weil der mit der Einbestellung unseres Botschafters wegen „extra 3“ die Debatte über Meinungsfreiheit überhaupt erst eröffnet hat. Oder: Wir können über eine Ermächtigung nicht entscheiden, weil sie von der viel wichtigeren Frage des EU-Türkei-Abkommens zum Umgang mit Flüchtlingen ablenken würde.
Das alles hat Angela Merkel nicht gesagt. Verfahrensfragen sind manchmal hochpolitisch, Staatsfragen. Aber die „Staatsaffäre Böhmermann“ ist in Wahrheit ein Trümmerfeld.