Rückfall in das gefürchtete 25-Prozent-Getto: Die CDU hat ein wenig der Wahlkampf-Blues erfasst, dieser Eindruck drängt sich auf. Dabei hatte eigentlich alles sehr gut begonnen.
Schweigen. Die Reaktion war einfach Schweigen. Als sich am Mittwoch die Ergebnisse der aktuellen Meinungsumfragen zur Bürgerschaftswahl am 15.Februar verbreiteten und die Parteien ihre Kommentierungen absetzten, blieb die CDU stumm. Was sollten ihre Strategen auch sagen? Die 22 Prozent, die der NDR für die Christdemokraten in der Sonntagsfrage auswies, waren niederschmetternd, und die 23 Prozent in der Umfrage der „Bild“-Zeitung machten die Sache nicht besser.
Sicher, Unions-Spitzenkandidat Dietrich Wersich hätte sagen können, dass die absolute Mehrheit der SPD angesichts ihrer stagnierenden Werte nun in weitere Ferne gerückt ist, aber das wird dem Anspruch Wersichs nicht gerecht. Darauf zu verweisen, dass der unmittelbare Konkurrent, Bürgermeister Olaf Scholz, sein Wahlziel möglicherweise nicht erreicht, offenbart schließlich nur die eigene Schwäche. Und von Schwäche der SPD zu reden, fällt ohnehin schwer angesichts eines Abstands von rund 20 Prozentpunkten zwischen SPD und CDU.
Die CDU hat ein wenig der Wahlkampf-Blues erfasst, dieser Eindruck drängt sich auf. Dabei hatte eigentlich alles sehr gut begonnen. Als das Abendblatt im November die Stimmung der Hamburger erkunden ließ, kam die Union noch auf 27 Prozent. Die Reaktionen fielen geradezu euphorisch aus, endlich hatte sich die einstige Regierungspartei deutlich von ihrem Wahldebakel 2011 abgesetzt, als sie auf das Rekordtief von 21,9 Prozent abstürzte.
Und noch Ende der vergangenen Woche hatte der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Neujahrsempfang der CDU-Fraktion im Rathaus Wersich und seine Mitstreiter beflügelt, wenngleich die Kritik Merkels am Scholz-Senat doch recht sparsam ausfiel und leicht auch als verstecktes Lob gedeutet werden konnte. Dann verabschiedete der im Rathaus tagende Unions-Bundesvorstand auch noch die „Hamburger Erklärung für lebenswerte Städte und Metropolen“ – im Grunde eine Blaupause von Wersichs Konzept der CDU als moderner Großstadtpartei.
Nun also der Rückfall in das gefürchtete 25-Prozent-Getto, das in etwa die Kernwählerschaft der Union in Hamburg markiert. Die Christdemokraten schmerzt besonders, dass ausgerechnet die bürgerliche Konkurrenz von der FDP ihre Wiederauferstehung feiert. Zwei Prozentpunkte – von zwei Prozent auf vier Prozent in den Umfragen – lassen die Liberalen plötzlich wieder hoffen, den Sprung in die Bürgerschaft erneut zu schaffen. Der bundesweite Wirbel um einen Zwei-Sekunden-Kameraschwenk in der Tagesschau über die Beine der FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding beim Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart hat auch nach CDU-Lesart eine wichtige Rolle beim Umfrageplus der FDP gespielt. „Zum Glück hat Katja Suding nur zwei und nicht zehn Beine“, heißt es jetzt bei der CDU in einer Mischung aus Sarkasmus und Galgenhumor.
Während die CDU mit der FDP um jede Stimme ringen muss, geben sich die Unions-Strategen mit der Alternative für Deutschland (AfD) nicht lange ab. „Dietrich Wersich ist kein Kandidat für Wähler, die überlegen, der AfD ihre Stimmen zu geben“, sagt ein führender Christdemokrat. Dazu sei das Profil des Scholz-Herausforderers viel zu liberal und weltoffen.
Vier Wochen Zeit bleiben der Union noch, das Ruder herumzureißen. Aber wie? Es fehlt offensichtlich das eine zündende Thema, mit dem Herausforderer Wersich Amtsinhaber Scholz unter Druck setzen könnte. Es fehlt insgesamt, jedenfalls noch, eine Zuspitzung im Wahlkampf – und das nützt nun einmal in erster Linie den Regierenden. Die CDU hatte lange auf den Frust der Bürger über die Staus in der Stadt und das umstrittene Busbeschleunigungsprogramm gesetzt. Doch es gab auch schon einmal wesentlich mehr Baustellen auf den Straßen, die für Ärger bei Autofahrern sorgen konnten, was natürlich kein Zufall ist.
Anders als 2001, als die CDU dank der Schill-Partei nach 44 Jahren Opposition an die Macht kam, gibt es jetzt keine Wechselstimmung. Damals war vor allem das Thema innere Sicherheit wahlentscheidend. Heute ist Bürgermeister Scholz der mit Abstand beliebteste Politiker, und die meisten Hamburger scheinen mit der Arbeit des Senats zufrieden zu sein.
Es sieht nicht danach aus, als ob Wersich noch das berühmte Kaninchen aus dem Zylinder zaubern würde, um die Wähler zu begeistern. Dabei gibt es genug Angriffspunkte gegen Scholz und seinen Senat, sei es eben die Verkehrspolitik oder die Themen Qualität der Kinderbetreuung und Hochschulpolitik. Parteifreunde raten Wersich daher, aggressiver aufzutreten, stärker zuzuspitzen und zu vereinfachen, um sich Gehör zu verschaffen und dadurch stärker wahrgenommen zu werden.
Das ist ein schmaler Grat, schon weil bösartige Schärfe gerade beim konservativ-bürgerlichen Publikum schnell abstoßend wirkt. Und es ist die Frage, ob ein polternder Wersich überhaupt glaubwürdig sein kann. Der Unions-Spitzenkandidat ist ein Intellektueller, dessen Markenzeichen Sachlichkeit und Rationalität sind, darin Scholz im Übrigen recht ähnlich.
Der Bürgermeisterkandidat gibt sich einstweilen relativ gelassen und scheint darauf zu setzen, dass der Wahlkampf erst mit diesem Wochenende, wenn die Großplakate der Parteien aufgestellt werden, so richtig ins Bewusstsein der Hamburger rückt. Wersich weiß, dass er nicht zuletzt bei seinem Bekanntheitsgrad deutlich zulegen muss. Und er hofft dabei auf die rund 30 Prozent noch Unentschlossenen.
Die Union setzt nicht zuletzt auf die beiden direkten Duelle zwischen Wersich und Scholz – Chance zur Profilierung für den Herausforderer. Etwas ist schon jetzt klar: Wenn Angela Merkel zum Wahlkampffinale am 11. Februar nach Hamburg kommt, dann wird sie Scholz attackieren. Dafür werden die Hamburger Parteifreunde beim zweiten Besuch mit Sicherheit sorgen.
Peter Ulrich Meyer leitet das Landespolitik-Ressort des Abendblatts